33.

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Obwohl plötzlich ganz viele Glückshormone in mir ausgeschüttet wurden, blieb mir erst einmal die Luft zum Atmen weg. Ich wollte das doch so gar nicht. Erst einmal wusste ich noch gar nicht was ich so genau wollte. Ich wusste nur eins, ich wollte mich von Marco distanzieren. Während er mich also öffentlich vor all seinen Freunden küsste, stand ich mit so einem Elan auf, dass der Stuhl hinter mir wegkippte, um so schnell es ging das Weite zu suchen. Das ging mir alles zu schnell. Vor allem erschien mir der Zeitpunkt falsch. Ich war weder bereit für eine neue Beziehung, noch hatte ich Marco bisher von der Sache mit meiner Mutter erzählt. Sobald er das wusste würde er sich eh von mir fernhalten. Und dann? Hatte er mich umsonst vor seinen Freunden geküsst. 
Nachdem ich einige Meter hinter mir gelassen hatte blieb ich völlig außer Atem an der Hauseinfahrt stehen und versuchte mich wenigstens ein wenig zu beruhigen. Mir wurde in den letzten Wochen alles zu viel und jetzt ist auch noch alles wie ein Kartenhaus über mir zusammengebrochen. Nachdenklich kickte ich mit meinem rechten Fuß einen Stein in einen kleinen Fluss der am Haus von Jenny vorbei floss und sah dabei zu, wie er mit der Strömung verschwand. Mir wäre es auch lieber gewesen, so leicht verschwinden zu können. "Yve?" ertönte plötzlich Marcos irritierte Stimme hinter mir. Ich atmete konzentriert ein und aus, um mich dem Gespräch stellen zu können und drehte mich zu dem Blondschopf um, der anders als ich null außer Atem war. "Es tut mir leid. Ich hätte dich nicht einfach so vor allen anderen und deinem Bruder küssen dürfen." entschuldigte er sich. Ich fuhr mir verzweifelt durchs Gesicht: "Nein Marco, dafür musst du dich nicht entschuldigen." sagte ich ehrlich. "Wofür dann?" fragte er irritiert und suchte in meinen Augen nach Antworten, die ihm so langsam auch zustanden. Ich schüttelte meinen Kopf: "Du musst dich für gar nichts entschuldigen." versicherte ich ihm. Er glaubte mir nicht wirklich, das sah ich. Nachdem er sich am Hinterkopf kratzte, antwortete er mir unschlüssig: "Dann weiß ich nicht, was los ist. Klär mich bitte auf." bat er mich ehrlich. Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie verpackte ich das denn jetzt bloß so charmant wie möglich, damit er nicht direkt das verlangen dazu verspürte abzuhauen? Ging das überhaupt? Ich ging zwei Schritte auf ihn zu und seufzte aus tiefstem Herzen, bevor ich meine Hände um seine schloss und mich bemühte, ihm so gut wie es ging meine Bedenken zu äußern: "Also ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wo ich anfangen soll. Ich weiß momentan nicht wo mir der Kopf steht. Durch Lennards Verletzung hat sich mein Leben nochmal um 180 Grad weiter gedreht als es sich ohnehin schon durch ihn und seinen Wechsel hierher gedreht hat. Ich habe irgenwie das Gefühl, dass es nicht richtig wäre jetzt direkt eine neue Beziehung zu beginnen, auch wenn ich dich wirklich sehr sehr gerne habe, Marco." murmelte ich leise. Es versetzte mir einen Stich ins Herz wie traurig er mich ansah. "Aber was hindert dich denn noch? Ich unterstütze dich egal wobei. Lennard, der hat nichts dagegen und wir fühlen das selbe füreinander." erwiderte Marco genauso leise wie ich zuvor. "Es ist gerade einfach alles so viel. Alles versinkt irgendwie im Chaos." antwortete ich. Ich spürte, wie meine Augen immer feuchter wurden, doch diese Tränen versuchte ich so gut es eben in diesem Moment funktionierte zu unterdrücken. "Aber was denn?" hakte Marco weiter nach. Ich biss mir nachdenklich auf die Lippen und entschied mich nun endlich dazu, es ihm zu sagen. Die Wahrheit schien leichter zu sein, als dieses Hin und Her. Ich holte tief Luft: "Meine Familie versinkt im Chaos." bekam ich nur heraus und presste meine Lippen fest zusammen, damit die Tränen, die sich mittlerweile anbahnten nicht überhand nahmen. Nun waren es nicht mehr meine Hände die Marcos hielten, sondern andersherum. "Ich weiß nicht wie ich das sagen soll." "Sag es einfach. So schlimm kann es gar nicht sein." Wenn er wüsste. Ich war bisher auch immer jemand von der Sorte, die sagte es geht immer schlimmer, aber ob es bei mir momentan noch schlimmer ging wagte selbst ich zu bezweifeln. "Mir kam das alles so spanisch vor, dass meine Mutter nur noch so wenig Zeit hatte für Lennard und mich. Irgendwann habe ich halt keinen anderen Ausweg gesehen und bin ihr zusammen mit Jenny hinterher gefahren, damit ich wenigstens endlich wusste wo sie arbeitet. Bis wir dann irgendwann in einem Teil von Dortmund waren, den nicht mal Jenny so wirklich kannte. Meine Mutter ist Gott weiß warum eine Prostituierte in einem Bordell und weder Lennard weiß davon, noch weiß meine Mutter das ich es weiß. Aber das ist auch gut so. Lennard würde nur eine schlechte Medienpräsenz haben. Deshalb will ich mich von dir distanzieren. Damit du dir kein eigenes Bein stellst was deinen Ruf angeht." endlich platzte alles aus mir heraus. Marco schien sichtlich schockiert zu sein über das, was ich ihm gerade erzählt hatte. Ein paar Mal holte er dazu aus etwas dazu zu sagen, aber es kam am Ende doch nichts aus seinem Mund heraus. Auch wenn ich damit rechnete, dass es Marco aus den Socken hauen würde, hoffte ich eigentlich auf nichts mehr als Verständnis oder Hilfe oder eine blöde Umarmung, die war auch in Ordnung. Doch es kam nichts dergleichen. Ich fühlte mich so bescheuert, dass ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Nun konnte ich sie nicht mehr stoppen. Die zahlreichen Tränen bahnten sich einen Weg von meinen Wangen herunter zum Kinn und tropften von dort aus ungehindert auf den Boden. Ein Paar Minuten lang blieb ich noch lautlos vor ihm stehen und hoffte auf ein Wort. Es kamen nicht einmal Füllwörter, kein Pieps oder eine andere Reaktion. Ich hatte das Gefühl, dass er nicht einmal mehr blinzelte. Der eben noch so feste Griff um meine Hände lockerte sich mit jedem meiner Atemzüge. Ich ließ also nach wenigen Sekunden ganz von ihm ab und wich ein paar Schritte von ihm zurück, aber nicht ohne ihn mit meinen Augen zu fixieren. Seine Reaktionslosigkeit verletzte mich noch mehr als die ganze Situation in der ich mich befand an sich. Ich strich mir also mit meinem T-Shirt selbst die Tränen aus dem Gesicht, bevor ich mich umdrehte und mich ohne ein letztes Wort das noch zwischen uns fiel nach Hause begab. Wenigstens wusste ich jetzt wo ich stehe. Als hätte ich es geahnt.

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