"Und du hast diesmal keine Lust Lennard im Stadion zu unterstützen?" fragte ich meine Mutter, während wir zusammen zu Mittag aßen. Sie schüttelte vehement den Kopf: "Ne, das letzte Mal hat mir fürs Erste gereicht." Ich nickte mit hochgezogenen Augenbrauen. Eigentlich hatte ich es mir schon gedacht. Diese vielen lauten Menschen auf einem Fleck, das war einfach nicht ihr Ding und etwas ganz anderes als der Sportplatz in unserer Heimat. "Musst du am Smartphone sitzen während wir essen?" fragte meine Mutter mich daraufhin genervt. "Wenn du mich hängen lässt, dann muss ich doch wenigstens für Ersatz sorgen." antwortete ich ihr extra frech und tippte die Nachricht an Jenny noch schnell zu Ende, auf die ich keine Minute später eine Antwort bekam. Ich verabschiedete mich also schnell von meiner Mutter, beförderte mein dreckiges Geschirr in die Spülmaschine und verschwand noch kurz in meinem Zimmer, um mir etwas warmes anzuziehen, bevor ich mich in Jennys Autositz plumpsen ließ: "Und schon Schmetterlinge im Bauch?","Wieso?" fragte ich verwirrt. "Na, weil du deinen Marco endlich wiedersehen wirst." "Er ist nicht mein Marco! Außerdem habe ich ihn schon einige Wochen lang nicht mehr gesehen. Zwischen uns ist schließlich alles geklärt." sagte ich und verdrehte meine Augen. "Quatsch! Du gehst ihm doch nur ständig aus dem Weg. Wartest im Auto nach dem Training, damit er ja nicht mit dir reden kann. Da ist doch klar das Woche für Woche verstreicht ohne das er die Gelegenheit bekommt mit dir zu sprechen ohne wie ein Stalker dazustehen." "Es gibt immer Gelegenheiten zu sprechen. Wenn er es wollen würde hätte er es auch gemacht." Jenny schüttelte ihren Kopf während sie sich auf die Straße konzentrierte.
Im Stadion angekommen war es diesmal weniger stressig. Ich wusste schon wo ich hingehen musste und mit Jenny an meiner Seite wurde ich auch nicht mehr angerempelt. Schon komisch, was ein gewisser Bekanntheitsgrad auslöste. Wir setzten uns auf unsere Plätze in dem Bereich für Angehörige und warteten darauf, dass das Spiel endlich losging. Lennard würde in der Startelf stehen und auch Marcel, was bei ihm momentan wieder immer öfter vorkam und Jenny stolz wie Bolle machte. Nachdem ich also ein paar Bilder von ihr machte für ihre Social Media Accounts und wir gemeinsam ein paar Grimassen vor der Kamera zogen, ging es endlich los. Die Spieler liefen ein und wir zwei drückten unsere Daumen. In der ersten Halbzeit lief alles perfekt, Sancho hatte bereits zwei Tore geschossen. Als Lennard den Ball in der zweiten dann vor die Füße bekam, hatte er ein freies Feld, um zum Tor zu gelangen. Diese Chance ließ mein kleiner Bruder sich natürlich nicht entgehen und versenkte den Ball souverän in die obere linke Ecke des Tors. Jenny und ich jubelten um die Wette. Dann kam auch schon der Abpfiff. Das Spiel war schneller vorbei als ich Sieg hätte buchstabieren können.
"Yve?" grinste mein Bruder mich nachdem Spiel an, als ich am Auto stand, wo ich auf ihn gewartet hatte. Ich warf ihm einen erwartungsvollen Blick zu: "Naja, ich weiß dass es von Mum heute Mittag nur eine Ausnahme war, dass ich das Auto bekomme, aber ich wollte mit ein paar Mannschaftskameraden ein, zwei Bierchen trinken gehen. Kannst du mich decken?","Natürlich. Das du überhaupt schon wieder Lust darauf hast." schmunzelte ich. Mein Bruder grinste nur blöd. "Aber warte, wie soll ich denn dann nach Hause kommen?" fragte ich ihn dann irritiert, als ich im Augenwinkel beobachtete, wie Jenny zusammen mit ihrem Mann vom Parkplatz fuhren. "Mit mir." grinste Marco, der neben mir stand. Erschrocken wich ich ein kleines Stück von ihm. Ich hatte ihn gar nicht neben mir bemerkt. "Genau, Marco hat sich netterweise dazu bereit erklärt." sagte nun auch Lennard. Ich schluckte laut: "Wieso? Willst du nicht auch mit deinen Kollegen weg?" fragte ich unverblümt, in der Hoffnung Marco würde es sich nochmal überlegen, doch er schüttelte bloß seinen Kopf. Geschlagen zuckte ich mit den Achseln: "Na gut, wenn es dir nichts ausmacht." wendete ich mich an Marco. Schon wieder schüttelte er seinen Kopf: "Natürlich nicht." zwinkerte er mir dann zu. Ich lächelte ihm zu. Mir nichts, dir nichts war mein Bruder dann auch schon weg und ließ mich einfach so mit Blondie alleine. Dieser grinste mich an und zeigte auf seinem luxuriösen Sportwagen: "Komm, da steht mein Auto." Sofort musste ich mich an meine Worte zu Jenny erinnern. Ich hatte also recht, wenn er reden wollte, würde er auch Möglichkeiten finden, um dies zu tun. Ein wenig zögerlich stieg ich also ein und schloss die Tür. In seinem Auto umgab mich direkt sein Duft, der auch an dem Abend der Doku-Premiere an meinen Haaren haftete. Mein Bauch fing direkt an zu kribbeln, als ich daran dachte. Seltsam, dass ich im selben Moment hunger bekam. Nachdem Marco seine Sporttasche in den Kofferraum verfrachtete, nahm er neben mir auf der Fahrerseite platz und startete umgehend den Motor. Als ich ihn von der Seite musterte, bemerkte ich seine gemachten Haare, die Jeans und das karierte Hemd. Er sah so gar nicht danach aus, als hätte er gerade Fußball gespielt. "Hast du heute noch etwas vor?" fragte ich also, wie immer viel zu neugierig. "Wieso fragst du?" lächelte er und warf mir von der Seite aus einen kurzen Blick zu. "Weil du echt schick aussiehst." antwortete ich ehrlich und lächelte zurück. Ich hörte, wie er leise Luft ausstieß und dann tief einatmete: "Danke. Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du nicht Lust hast mit mir eine Kleinigkeit essen zu gehen? Jetzt wo es sich so ergibt." fragte er, fast schon ein wenig nervös. Aber konnte ein Fußballprofi überhaupt nervös sein? Diese frage hämmerte förmlich gegen meinen Kopf. Da ich sowieso Hunger hatte nickte ich: "Ja gerne. Ich hab auch echt Kohldampf." Marco schmunzelte und konzentrierte sich wieder aufs Fahren. Es wurde still in seinem Auto. Was sollte ich mir nur unter einem Essen mit ihm vorstellen? Es kam so plötzlich nach der Funkstille und überrumpelte mich so, dass ich plötzlich total aufgeregt war. Aber ihn zu Fragen, was ihn dazu verleitete, das traute ich mich mal wieder nicht.

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Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...