Gegen achtzehn Uhr wurde es laut im Flur. Nach dem elendigen und niemals endenden Gepolter meines kleinen Bruders, der sich noch nie zusammenreißen konnte was das vernünftige Betreten eines Hauses anging, kam er zu mir in die offene Wohnküche. Natürlich indem er auch noch so laut es ging die Türklinke hinunter drückte. Ich, die auf dem Sofa gepflanzt mit einer großen Tüte Salzchips vor mich hinvegetierte, warf ihm einen warnenden Blick zu: "Wenn du die Tür jetzt auch noch zu knallst ist etwas los Freundchen." Er grinste mich bloß an und tat natürlich genau das, wovor ich ihn gerade noch gewarnt hatte. In Windeseile sprang ich auf und stürzte mich auf ihn, um seine perfekt gestylte Frisur zu zerstören. "Hör auf! Hör auf! Mach meinen neuen Trainingsanzug doch nicht schon direkt kaputt!" wehrte er sich bloß hilflos. So nett wie ich eben als große Schwester war, ließ ich von ihm ab. "Schick, Schick. Wie war's denn?" fragte ich, nachdem ich ihn musterte während ich mich wider auf das Sofa schmiss. Seine Augen funkelten so, als hätte er nur darauf gewartet, dass ich ihn frage: "Es war unglaublich, wirklich! Die Profis sind alle total nett und Hilfsbereit und das Training ist natürlich auch erste Sahne." Ich nickte: "Das hört sich doch perfekt an. Dreh dich mal." grinste ich. Als er sich vor mir ein Mal um seine eigene Achse drehte, staunte ich nicht schlecht als auf seiner Jacke "Marco Reus" und nicht "Lennard Kühnert" stand. "Was ist, steht mir gelb nicht?" fragte er mich als er meinen dezent verwunderten Blick sah. "Äh doch, bloß wusste ich gar nicht, dass du ab heute Marco Reus heißt." lachte ich und hielt mir den Bauch, als er ständig versuchte, seinen eigenen Rücken sehen zu können. Um ehrlich zu sein hatte ich die Begegnung mit dem Fußballprofi im Supermarkt zu diesem Zeitpunkt schon ganz vergessen. Plötzlich schaute er mich mit der schlimmsten bebenden Unterlippe an, die ich jemals in meinem Leben gesehen hatte: "Könntest du nicht bitte die Jacke eben zurück in die Umkleidekabine des Trainingsgeländes bringen?" flehte er mich an. Ich warf ihm, immer noch auf dem Sofa sitzend, einen ablehnenden Blick zu und tippte mir mit dem Zeigefinger auf die Stirn: "Eben?Geht's noch? Nach einem Tag schon Starallüren oder was?" warf ich ihm gegen den Kopf. Er tappste nervös von einem Bein auf das andere und warf mir einen bittenden Blick zu: "Bitte, ich war doch heute schon zwei Mal da und muss echt lernen für die Klausur morgen früh." murmelte er dann. Ich seufzte: "Meinetwegen. Der Reus wird zwar eh nicht mehr da sein, aber dann fahre ich eben los. Das erklärst du ihm aber morgen selbst. Schissbuchse." warf ich genervt in den Raum, schnappte mir die verdammte Jacke aus seinen Griffeln und saß wenig später in meinem Auto auf dem Weg zu dem Trainingsgelände Borussia Dortmunds in Brackel. Welch ein Glück, dass ich Lennard heute Morgen schon hier hin bringen musste, sodass mir der Weg nicht mehr so schwer fiel wie zuvor.
In Brackel schien noch reger Betrieb zu herrschen, jedoch weniger in Richtung Fußball, sondern eher in den Büros. Ich schaute mich einige Male kurz um, nur um sicher zu gehen, dass mich niemand sehen würde, wie ich hier herumlungerte, als wäre es selbstverständlich. Ich ging dann dort hinein, wo auch Lennard heute Morgen mit einem fetten Grinsen hereinspazierte. Gerade als ich fertig war, die Trainingsjacke so zu platzieren, dass man denken könnte sie sei unabsichtlich vom Haken auf die Bank gefallen, schreckte ich auf. "Also eigentlich ist das hier ja eine Herrenumkleide." grinste ausgerechnet der Blondschopf aus dem Supermarkt und auch Besitzer der Jacke Marco Reus, während er sich dazu auch noch lässig an den Türrahmen lehnte. Peinlich berührt stand ich plötzlich kerzengerade vor ihm, richtete mein Oberteil und meine Haare und dankte dem Gott oben im Himmel noch kurz, dass ich meinen Kopf, der der Bank gefährlich nahe kam, nicht vor ihm eingehauen hatte. "Eigentlich dachte ich du wärst schon weg, also Lennard, der hat wohl deine Jacke mitgenommen und ich-" er unterbrach mich mit einer amüsiert hochgezogenen Augenbraue: "Und du bist die doofe, die diese Jacke wieder her bringen sollte?" lachte er leise. Ich nickte meinen mittlerweile dunkelrot angelaufenen Kopf. "Wieso dachtest du denn ich sei schon weg? Wäre doch schade, wenn uns dieser lustige Moment erspart geblieben wäre." grinste er amüsiert. Ich nickte irritiert: "Äh ja, ich denke es ist jetzt an der Zeit für mich, Leine zu ziehen." murmelte ich daraufhin bloß kurz angebunden. Als ich mich schon an ihm durch die Tür vorbei geschummelt hatte, griff er plötzlich nach meinem Handgelenk: "Yve warte doch mal!" und hielt mich fest. Ich war ihm plötzlich so nah, dass ich mich dazu zwang, den Sicherheitsabstand wieder einzuhalten, obwohl er doch ziemlich gut roch. Außerdem - hatte er sich wirklich meinen Namen gemerkt? "Was ist denn?" fragte ich zögerlich. "Hier" grinste er verschmitzt: "möchtest du die nicht mitnehmen?" fragte er dann und zauberte die selbe Jacke hervor, die ich gerade noch unter der Bank in der Herrenumkleide versteckte. Nachdem ich zwei Sekündchen brauchte, um eins und eins zusammen zu zählen um zu wissen, dass es Lennards war, rupfte ich die Jacke, die er mir mit Daumen und Zeigefinger stolz vor die Nase hielt aus seiner Hand und entfernte mich langsam von ihm ohne meinen Blick, von ihm abzuwenden. Seine Augen durchbohrten meine für meinen persönlichen Geschmack dann doch zu sehr, also räusperte ich mich und rief ihm noch zu: "Achja, deine Jacke liegt übrigens unter der Bank Blondie!". Er runzelte verwirrt seine Stirn: "Aber warum denn unter der Bank?" fragte er natürlich total irritiert. Nun war ich diejenige, die schmunzeln durfte. Dennoch sagte ich nichts. Es war besser so. Als er versuchte noch einen letzten Blick von mir zu erhaschen, zwinkerte ich ihm schnell zu, bevor ich ihm dann endlich meinen Rücken zuwendete und das Trainingsgelände des BVBs verließ.
DU LIEST GERADE
Schmetterlingseffekt
FanficKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...