Mitten in der Nacht schreckte ich hoch und rieb mir den Hinterkopf, als hätte mich der Ball von dem ich träumte wirklich dort getroffen. Ich hätte genau das schon als schlechtes Omen für diesen Tag ansehen müssen, aber ich tat es nicht.
Viel eher als sonst raffte ich mich also auf und schob meiner Beine zur Bettkante herüber. Es war stockdunkel draußen, ich wusste nicht mal wie spät es eigentlich war, also machte ich mich ganz leise auf den Weg zu meiner Zimmertür und öffnete sie ebenso leise und vorsichtig. Als ich in der offenen Wohnküche auf Zehenspitzen ankam, erschreckte mich das Rascheln der Tüte mit den Kaffeepads so sehr, dass ich laut die Luft einzog. Meine Mutter legte grinsend ihren Finger auf die Lippen: "Sei leise du Angsthase! Sonst wacht dein Bruder noch auf. Der hat doch morgen ein wichtiges Spiel.","Morgen? Du meinst wohl in ein paar Stunden." verdrehte ich meine Augen als ich einen Blick auf die Küchenuhr warf. Es war gerade mal sechs Uhr. Meine Mutter nickte bloß. "Mach mir mal auch einen." sagte ich ihr dann als ich mich von dem Schreck erholt hatte, während ich meinen Hintern auf den Barhocker unserer hohen Kücheninsel schob. Sie nickte und kurze Zeit später stand die heiße Brühe auch schon vor mir. "Musst du heute arbeiten?" fragte sie verwundert. Innerlich musste ich Schmunzeln. Es sah mit Sicherheit total bescheuert aus wie wir dort im Dunkeln saßen. Nur das Licht von der Straße, das sich an den bodentiefen Vorhängen unserer Wohnzimmerfenster vorbei schummelte erhellte den großen Raum ein wenig. Gerade so, dass wir uns sehen konnten. "Ja aber nur kurz" antwortete ich: "Danach fahre ich direkt zum Stadion. Ich muss ja schließlich Lennard gegen die Bayern unterstützen." lächelte ich. Schon wieder nickte meine Mutter. "Kommt du auch?" fragte ich sie dann hoffnungsvoll. Sie schien zu überlegen, schüttelte aber dann mit zusammen gepressten Lippen den Kopf. "Du weißt aber schon, dass Lennard die Familie finanzieren möchte? Du müsstest gar nicht so viel arbeiten, wie du es gerade tust." fragte ich sie stutzig. "Ich gehe aber gerne arbeiten. Außerdem soll mein eigener Sohn mich gar nicht finanzieren. Ich war schon immer unabhängig von einem Mann und das soll auch so bleiben." stellte sie klar. Diesmal war ich es, die nickte. Irgendwo bewunderte ich sie zwar, aber seit dem wir in Dortmund waren sah ich sie kaum noch. Eigentlich wäre es ihr Job meinen kleinen Bruder so zu unterstützen, wie ich es tat. Das schien ihr aber momentan völlig zu entgehen. Früher hätte ich ihr bestimmt von meiner momentanen Gefühlslage erzählt oder von dem Gespräch mit Lennard, dass er wollte das ich studierte, aber gerade zwischen Tür und Angel hatte ich überhaupt keine Lust dazu. Ich wünschte mir manchmal die Zeit zurück, als wir gemeinsam frühstückten und über alles quatschen konnten, wie beste Freundinnen. Dann, ohne das Gespräch fortzusetzen, geschweige denn es abzuschließen stand sie auf, murmelte ein kleines: "Muss jetzt los, bis später." und dampfte davon. Ein wenig zurück gelassen schaute ich ihr kopfschüttelnd hinterher. Ich schob es aber beiseite, schließlich musste ich duschen und mich fertig machen. Je früher ich auf der Arbeit war, umso früher konnte ich im Stadion sein, dachte ich zumindest.
Wie eine Besenkte düste ich kurz vor dem Anstoß des Spiels dann endlich auf den Parkplatz des Stadions, wo Jenny schon auf mich wartete: "Sag mal wo bleibst du denn? Und wie fährst du bitte? Und wie siehst du überhaupt aus?" fragte sie mich als ich die Fahrertür schwungvoll öffnete und ausstieg. Ohne Zeit zu verlieren hakte ich mich bei mir ein und zog sie förmlich zum Eingang: "Komme gerade von der Arbeit." murmelte ich nur atemlos. War ja klar, dass heute alle Trikots kaufen mussten. Am liebsten hätte ich ein Schild aufgestellt auf dem stand, dass alle ausverkauft waren. Ich schaute an mir herunter. Schicke Anzughose, Pumps, ein enges Oberteil - das waren mit Sicherheit keine Klamotten, um im Stadion Fußball zu schauen. Genau so wurde ich auch angestarrt. Jenny konnte sich ein Lachen nicht verkneifen, als mich der eine Security-Mann kopfschüttelnd anstarrte, während mir der andere hinterher pfiff. Ich fühlte mich doch eh schon total unwohl. So ein Schwachmat. Lennard war mir aber wichtiger, als extra nochmal nach Hause zu fahren und mich umzuziehen. "Hier nimm den, dann siehst du wenigstens aus, als hättest du es auch vorgehabt deinen Bruder zu unterstützen." lächelte Jenny als wir noch vor Anstoß auf unseren Plätzen saßen und legte mir einen Fanschal um die Schultern. Ich lächelte sie dankbar an, erleichtert es noch geschafft zu haben. "Sieh mal, wer da kommt." flüsterte sie daraufhin plötzlich. Wie ein aufgeschrecktes Reh folgte ich ihrem Blick und sah ihn. Ich schaute wieder zu Jenny: "Mist, was macht der denn hier?" Sie warf mir einen fragenden Blick zu: "Ich dachte du freust dich, nachdem ihr euch letztens so überfallen habt dachte ich, dass minimal etwas zwischen euch läuft." Ich schüttelte den Kopf: "Nein, da habe ich gar keinen Kopf für. Ich will nichts mit ihm am laufen haben." äffte ich sie nach. Jenny schmunzelte kopfschüttelnd: "Ich glaube er sieht das anders." Erneut wagte ich einen Blick hoch und sah ihm erleichtert dabei zu, wie er sich neben einen dunkelhaarigen setzte und mit ihm zu Plaudern begann. Mein Herzschlag beruhigte sich endlich. Ein wenig. "Ach sieh mal er setzt sich zu Mats. Der ist letztens auch gefoult worden und muss diese Woche aussetzen." Erst jetzt erkannte ich den Abwehrchef des BVBs und dankte insgeheim dem Spieler, der ihn gefoult hatte, auch wenn ich ihn nicht kannte. Bis ich mich daran erinnerte das man sowas nicht machen sollte. Stoßgebete um Verzeihung folgten also kurz darauf nach oben. Plötzlich ertönte ein lautes Pfeifen, das mich aufschrecken ließ. Mein erster Blick fiel natürlich auf das Spielfeld, doch von dort kam es nicht. Es kam von Jenny, die mittlerweile mit ihren Knien falsch herum auf dem Stuhl saß und in die Richtung von Marco und Mats winkte. "Warum machst du das?" zischte ich und versuchte panisch meine Beine mit meiner Winterjacke abzudecken, um mich nicht vor den beiden mit meinem Aufzug zu blamieren. Jenny grinste mich blöd an, als sie sich wieder normal in ihren Sitz rutschen ließ und die Zwei schon längst und unaufhaltbar auf dem Weg zu uns waren. "Ich bringe euch jetzt mal voran. Meinst du ich warte noch zig Jahre, bis du dich endlich auf Marcos schmachtende Blicke zu dir herüber, die du gar nicht bemerkst, einlässt?" fragte sie nur, genau in dem Moment, als Marco und Mats auch schon unseren Rang erreichten.

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Schmetterlingseffekt
FanficKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...