Viel zu früh betrat ich dieses riesige Trainingsgelände auf dem mein Bruder schon seit geschlagenen drei Stunden seinen Hintern abrackerte. Ein Glück konnte ich Leon so schell loswerden.
Meine Befürchtungen, viel zu Overdressed nach meinem Vorstellungsgespräch dort aufzukreuzen, bewahrheiteten sich zu meinem Glück nicht als ich manche der Spielerfrauen von dem Fußballspiel letzte Woche wieder sah. Trotz der Januarkälte trugen sie stylische Kleider - aber mir sollte es recht sein. Ein paar Meter abseits von ihnen stellte ich mich an die Banden und winkte meinem Bruder zu, der mir von weitem ein Lächeln zuwarf. Die Blicke der Spielerfrauen ein paar Meter von mir entfernt wanderten langsam, aber gleichmäßig zu mir herüber. Es dauerte keine drei Sekunden die ich in meinem Kopf zählte, als eine von ihnen zu mir kam. Eine blonde junge Frau, vielleicht etwas älter als ich, lächelte mich selbstbewusst-sympathisch an und streckte mir ihre rechte Hand entgegen: "Hi, ich bin Jenny." Ich nickte: "Yve" antwortete ich dann kurz angebunden. "Bist du mit unserem Neuzuwachs zusammen?" fragte sie mich daraufhin ohne Scheu. Schon die zweite die mich das fragte. Gute Bruder-Schwester-Beziehungen schienen hier wohl nicht Gang und Gebe zu sein. Ich schmunzelte ein wenig und wich damit ab von meinem gerade noch so strengen Blick: "Um Gotteswillen, nein! Lennard ist mein Bruder." klärte ich sie auf. Jenny hielt sich peinlich berührt die Hand vor den Mund und konnte sich ein herzhaftes Lachen nicht verkneifen. Sie kannte ich noch gar nicht von meinem ersten Nachmittag im Stadion, vielleicht war sie mir deswegen um einiges sympathischer als die anderen drei Weiber die noch da standen. Ein Glück war Blondchen nicht dabei, um mir ihr dreitausendfünfundachtzigstes Trikot zu präsentieren, dass sie mir aus der Hand gerissen hatte. "Mein Mann ist der blonde dahinten, neben dem anderen Blonden." Da ich den anderen blonden als Marco identifizierte, nickte ich: "Marcel Schmelzer?" fragte ich also. Sie nickte stolz. Ich überlegte, ob es Klug gewesen wäre ihr mitzuteilen, dass ich schon von ihm gelesen hatte, ließ es aber in Anbetracht der Standpauke meines Bruders vor kurzem im Supermarkt lieber sein.
Wir redeten noch ein wenig über den Wechsel meines Bruders und über unseren Umzug nach Dortmund und dann war das Training auch endlich vorbei. Der Gedanke, Marco eben in der Stadt gesehen zu haben, verflog. Schließlich war er hier am trainieren und an zwei Orten gleichzeitig konnte selbst ein Fußballprofi nicht sein.
Ich verabschiedete mich von Jenny und wartete am Auto gelehnt darauf, dass mein Bruder endlich fertig mit dem Duschen war. Mit verschränkten Armen scannte ich das gegenüberliegende Auto ab. Meine Augen fixierten die ausgefallenen Felgen. Bis mir da so eine Ahnung kam. Ein kurzer Blick auf das Nummernschild verriet mir, dass ich richtig lag. Gerade als ich das Auto aufschloss, um mich herein zu setzen hörte ich Schritte. Natürlich sah ich direkt wieder in die braun-grünen Augen des Fußballprofis und erstarrte fast vor Scharm. Natürlich warf er mir ein selbstbewusstes Grinsen zu. "Na, fertig mit deinem Date?" zwinkerte er plötzlich als er dabei war, seine Tasche in die Beifahrerseite seines Autos zu verfrachten. Mir rutschte mein Herz in die Hose, dabei musste es das gar nicht. Also baute ich mich vor ihm auf, schließlich war ich eine erwachsene Frau und auf den Mund gefallen war ich bei Weitem nicht. Nachdem er die Tür ins Schloss schubste, drehte er sich um. Wir standen in der nicht einmal zwei Meter großen Lücke zwischen unseren beiden Autos so nah aneinander, dass ich seinen Atem auf meinen Wangen spürte: "Vor jemanden wie dir muss ich mich nicht rechtfertigen." keifte ich ihn also an. Abwehrend hob er die Hände: "Ruhig Blut, Kleine." Ich warf ihm einen genervten Blick zu. Er seufzte plötzlich und legte seine Hand auf meine Schulter. Sofort wurde mein Herzschlag ruhiger. "Sorry. Das sollte so nicht herüber kommen. Ich habe dich nur zufällig gesehen vor dem Training." Ich nickte bloß und verschränkte meine Arme misstrauisch vor der Brust. Obwohl ich ihm eine Rechenschaft schuldig war, fielen die Worte regelrecht aus meinem Mund: "Das war mein Ex, falls du es genau wissen willst.","Hast du dich wegen des Umzugs getrennt?" fragte er daraufhin plötzlich interessiert und nahm langsam und möglichst unauffällig seine Hand von meiner Schulter. Als er mein Misstrauen bemerkte legter er nach: "Hat Lennard mir neulich beim Aufwärmen erzählt." Ich verdrehte meine Augen. Jetzt redete mein eigener Bruder schon über so private Dinge mit ihm? Das konnte ja noch etwas werden. "Ach übrigens" begann er plötzlich wieder. Man, war der Kerl in Plauderlaune? Der sollte einfach gehen. "Das Scarlett dir das Trikot weggenommen hat tut mir leid." Erneut rutschte mir das Herz in die Hose. "Äh, ist egal. Habe sowieso nicht verstanden, warum du mir das geschenkt hast." murmelte ich also weniger Angriffslustig. "Ich dachte es wäre eine schöne Erinnerung an das erste Mitwirken an einem Tor von deinem Bruder." lächelte er. Ich war ganz beeindruckt, dass so viele Gedanken dahinter steckten und trauerte dem blöden Trikot doch plötzlich hinter her. Vielleicht hätte ich es mir in diesem Moment doch eingerahmt, wer weiß. "Danke für die schöne Idee. Hat nur leider nicht so geklappt bei deiner, nennen wir es mal beschützerischen, Freundin." lächelte ich. Gerade in dem Moment, als er zum Reden ansetzte, kam Lennard angestampft: "Danke, dass du gewartet hast." Ein wenig perplex stand er vor Marco und mir und sah zwischen uns und unserem kurzen Abstand hin und her. "Du, äh, müsstest dann an die Seite gehen, damit ich vorbei komme." murmelte Marco peinlich berührt und kratzte sich an seinem Hinterkopf. Ich nickte: "Achso, ja. Äh, sorry." und machte platz. Wortlos stieg mein kleiner Bruder ein, daraufhin knallte Marcos Fahrertür. Wenig später heulte sein Motor auf und er fuhr mit einem Kick-Start davon. Während ich mich anschnallte tippte Leon auf meinen Arm und schaute mich mit großen Augen an: "Sag mal, was war das denn?" fragte er irritiert. Ich konnte nicht einschätzen, ob es wertfrei oder abwertend gemeint war und schüttelte vehement den Kopf: "Nichts. Ein blöder Zufall. Mach dir keine Gedanken darüber." und startete auch den Motor, um diesen verwirrenden Platz endlich verlassen zu können.

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Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...