Als ich nach dem Frühstück beim Abräumen half, räusperte ich mich ein wenig: "Ich fahre jetzt. Ich habe schon über 24 Stunden das Gleiche an und müsste dringend mal duschen." gab ich beschämt zu. Marco musste schmunzeln: "Ich bringe dich zur Tür." Nachdem ich in meine Jacke und Schuhe schlüpfte, warf ich ihm ein Lächeln zu: "Danke für alles." murmelte ich leise. Er winkte ab: "Nichts zu danken." Wir lächelten uns ein paar Sekunden an, bis ich ein paar Schritte näher zur Tür ging und nicht so recht wusste, was ich machen sollte. Wie verabschiedete man sich nach so einer Nacht? Marco griff daraufhin kurz nach meiner Hand und drückte sie ganz fest.
Ich war froh, überhaupt zuhause angekommen zu sein. Es war echt schwierig sich aufs Fahren zu konzentrieren, wenn einem tausende Gedanken im Kopf herum schwirrten. Es fühlte sich unheimlich gut an, als das heiße Wasser in der Dusche auf meinen Körper traf, aber leider konnte ich so nicht die Ereignisse der letzten 24 Stunden abwaschen. Ich wickelte mich in ein Handtuch ein als ich fertig war und strich mir schnell meine triefend nassen Haare hinters Ohr. Es war niemand zuhause. Ob ich die Gunst der Stunde nutzen und ein paar klitzekleine Nachforschungen anstellen sollte? Langsam schlich ich mich also in das Zimmer meiner Mutter - etwas das mich vielleicht in meine Teenagerjahre zurück versetzte, als ich meiner Mutter einen fünf Euroschein abziehen wollte. Nur ging es jetzt weder um Geld, noch um mich sondern um meine Familie. Irgendwo in diesem Chaos musste sie doch einen Arbeitsvertrag oder Spuren ihrer Arbeit liegen haben. Aber nichts der gleichen. Keine Zettel voller Zahlen und Notizen wie früher als sie noch als Steuerberaterin war. Vielleicht war sie ja keine Steuerberaterin mehr? Das Chaos bestand eher aus Klamotten. Einen Arbeitsvertrag oder ähnliches fand ich auch nicht: "Das kann doch nicht sein!" fluchte ich leise vor mich hin. Irgendetwas, dass auf ihre Arbeit hinwies musste es doch hier geben. Ich gab nach vielen Momenten mühsamer Suche auf und verließ ihr Zimmer dann wieder ziemlich geknickt. Dann musste ich sie halt wirklich damit konfrontieren. Aber wie denn, wenn der eigene Bruder todunglücklich im Krankenhaus lag? Wieder im Bad angekommen meldete sich mein Smartphone mit einem lauten Klang zu Wort. Ein kurzer Blick darauf verriet mir, dass Lennard wissen wollte wo ich bleibe. Ich hatte ganz vergessen, dass er gleich seine Operation haben würde. Schnell antwortete ich ihm, dass es noch eine halbe Stunde dauern würde und föhnte schnell meine Haare, bevor ich mich in relativ gemütliche Klamotten schmiss. Ich schaffte es wirklich innerhalb einer halben Stunde, im Krankenhaus anzukommen und lief in schnellen Schritten den Flur entlang. Diesmal ging es viel leichter in Sneakern als in Pumps. Irgendwie hatte ich Angst ihn zu verpassen, das durfte auf keinen Fall passieren. Ich hoffte, dass meine Mutter noch nicht bei ihm war, weil es mir die Chance geben würde, in Ruhe mit ihm zu reden und ihm Mut zu sprechen. Vielleicht könnte ich später ja sogar Marco anrufen und ihn fragen, ob er morgen Zeit hätte auch noch mal mit meinem kleinen Bruder zu reden. Ich war relativ optimistisch. Die Nacht bei Marco hatte mir anscheinend gut getan und half mir, nicht immer alles so negativ zu sehen. Man konnte schon fast sagen ich war glücklich. Die Frage war nur wie lange noch, denn als ich meine Mutter sah, wurde ich schon das erste Mal wieder wütend an diesem noch so jungen Tag. "Wo warst du die ganze Nacht?" fragte sie überfürsorglich. Skeptisch zog ich meine Augenbrauen in die Höhe und grübelte erst gar nicht über eine Antwort: "Das geht dich nichts an." murrte ich also bloß und öffnete vorsichtig die Tür, die zu Lennards Zimmer führte. "Hi Großer, schon aufgeregt?" fragte ich leise. Er nickte. Ich schloss die Tür hinter mir um meiner Mutter zu verstehen zu geben, dass ich mit ihm alleine sein wollte, doch das verstand sie wohl nicht und kam mir hinterher. Ich ignorierte einfach meine immer weiter ansteigende Wut und setzte mich an den Bettrand von Lennard. "Keine Sorge, das wird wieder. Das hat Marco auch gesagt." lächelte ich und wuschelte ihm durch die Haare. Lennard grinste mich verstohlen an: "Ist das so." und wackelte mit den Augenbrauen. Ich musste lachen: "Ja, das ist so." "Na dann kann ja nichts mehr schief gehen." Unsere Mutter beobachtete uns ein wenig abgeschlagen, als würde sie selbst darüber nachdenken, was in den letzten Monaten schief gelaufen ist in unserer Familie. Zumindest hoffte ich, dass sie darüber nachdachte. Nachdem Lennard dann abgeholt wurde, um ihn für die Operation vorzubereiten warf sie mir einen kritischen Blick zu: "Marco?" fragte sie unsicher. Ich nickte: "Ich, äh, habe ihn auf dem Trainingsplatz zufällig getroffen heute morgen." log ich. Wenn ich nichts mehr über sie wissen durfte, dann sie auch nicht über mich. So einfach war das. "Ich muss dann auch los." wandte sie dann ein. Ich verschränkte meine Haare vor der Brust: "Achja, arbeiten?" "Ja, arbeiten." wiederholte sie mich in dem selben vorwurfsvollen Ton, wie ich ihn gerade verwendet hatte. Noch bevor ich sie also konfrontieren konnte, stiefelte sie auf ihren hohen Hacken davon. Dann wieder ein anderes Mal, dachte ich mir. Und dann wusste ich nichts mit mir anzufangen. Ich lief ein wenig verloren durch die Stadt und ein paar Geschäfte, bis mein Handy wild in meiner Handtasche zu vibrieren begann. "Jenny, was gibt's?" "Guck mal in Richtung Shoppingcenter Süße!" sagte sie euphorisch. Als mein Blick ihr wildes Winken ein paar Meter entfernt identifizierte legte ich auf und ich machte mich auf den Weg zu ihr. Nach einer herzlichen Umarmung machten wir uns auf den Weg in ein kleines Café und setzten uns dort in die hinterste Ecke, um in Ruhe quatschen zu können. "Und?" fragte sie erwartungsvoll, während ich tonnenweise Zucker in meinen Milchkaffee schüttete, ohne darauf zu regieren, bis sie mir den Zuckerstreuer aus der Hand riss: "Du kannst dich gleich als plötzlich Diabeteserkrankt melden wenn du später wieder ins Krankenhaus gehst. Was ist denn los mit dir Yve?" fragte sie mich irritiert. Ich stützte meinen Kopf mit meiner Handinnenfläche und starrte in das Kaffeegebräu: "Wüsste ich auch gerne. Ich bin einfach nur fertig mit den nerven." "Wegen Lennard?" Ich zuckte mit den Achseln: "Eigentlich bin ich mir sicher, dass er wieder fit wird. Ich weiß einfach nicht mehr was mit meiner Mutter los ist. Man kommt gar nicht mehr an sie heran." "Und?" hakte Jenny noch mehr nach. Ich war nun diejenige, die sie irritiert ansah: "Ja und das mit Marco." Jenny wackelte wie Lennard es eben getan hatte mit ihren Augenbrauen. Ich verdrehte meine Augen. "Ich glaube du solltest dich einfach mehr auf ihn einlassen Yve." "Wieso?" fragte ich leise. "Er ist ein toller Mann." grinste sie bloß verschmitzt, bevor sie von ihrem Kaffee trank.

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Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...