"Aua, dämliches Mistding." fluchte ich laut nachdem ich mir den Zeh am Wohnzimmertisch gestoßen hatte. Lennard beobachtete mich vom Sofa aus, auf das ich mich zusammen mit dem Pott Schokoeis in meiner Hand neben ihm fallen ließ und schüttelte seinen Kopf. "Was?" fragte ich mit vollem Mund: "Ich hatte Lust drauf." rechtfertigte ich mich noch nachdem ich den ersten Löffel Eis bereits verdrückt hatte. Lennard zuckte mit den Schultern: "Ist ja dein Ding, wenn du jeden Tag dieses Eis wie bescheuert inhalierst. Heul dann aber nicht herum falls du dick werden solltest." grinste er frech. Ich schlug gegen seinen Arm und schaute ihn empört dabei an. "Ich werde nicht dick." murmelte ich leise und stellte die Schüssel doch lieber erstmal ab. "Rede doch einfach endlich über deinen Streit mit Marco anstatt jeden Tag wie ein Miesepeter durch die Gegend zu laufen.","Ne das verstehst du nicht." sagte ich leise und lies mich in die Kissen hinter mir fallen. "Dann erklär mir was vorgefallen ist." Hätte ich ja gerne. Aber ich hatte schließlich unserer Mutter versprochen Lennard nichts von ihrem Job zu erzählen. Obwohl sie das nicht verdient hatte wohlgemerkt. Ich schüttelte also den Kopf: "Ne, ist privat." redete ich mich heraus. Lennard schüttelte schon wieder den Kopf. Diesmal lachte er dabei, klaute mir fix die Schüssel vom Wohnzimmertisch und wollte sich verdrücken. Gerade als ich ihm lautstark hinterherschreien wollte klingelte es an der Tür. Wir wurden Mucksmäuschenstill. "Yve, sag jetzt nicht du hast wieder Klamotten bestellt?" fragte Lennard mich prüfend. Ich schüttelte den Kopf: "Nein echt nicht. Geh du an die Tür." lachte ich und hielt mir das Kissen vor die Augen. Wer klingelte denn an einem Freitagabend noch an der Tür? "Hi Bro!" hörte ich plötzlich Lennards freudige Stimme und atmete tief durch. Gerade als ich wieder gelassen, mit geschlossenen Augen, in die Kissen hinter mir versunken war und das Kissen was ich mir eben noch vors Gesicht hielt fest an meinen Bauch presste, räusperte sich jemand vor mir. Ich schreckte auf und saß binnen Augenaufschlägen kerzengerade auf dem Sofa: "Marco?" fragte ich genauso irritiert wie genervt. Das letzte Mal hatte ich ihn vor ein paar Tagen nach dem Trainingsplatz gesehen. Eigentlich hatte ich so gar keine Lust mehr auf ihn seit dem. Lennard gab mir hinter seinem Rücken ein Zeichen, dass er in sein Zimmer verschwand. Natürlich mit meiner Schüssel voller Schokoeis. Nachdem ich ihm mit meinen Augen folgte, wanderte mein Blick wieder zu Marco. Entschlossen stand er vor mir und schaute mir in die Augen. Wie von selbst fuhr ich mir plötzlich durch die Haare. Ich sah aus, als wäre ich gerade aus dem Bett gekommen und verbrachte meinen ganzen Tag in schwarzen kurzen Sweatpants und einem stinknormalem schwarzen Top und gerade in diesem Moment, ja da hasste ich mich dafür. Marco schien es jedoch nicht zu interessieren oder gar stören: "Komm mit." sagte er nur und hielt mir die Hand hin. Ich verdrehte meine Augen: "Das kann ich ja wohl noch selbst entscheiden." murmelte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust. "Sonst ja, heute nicht." erwiderte Marco, kam auf mich zu und zog mich an meiner Hand in Richtung Tür. "Ist ja gut." stolperte ich, nicht nur über meine eigenen Worte: "Darf ich mir wenigstens Schuhe anziehen?" fragte ich provokant. Danach ging ich zusammen mit ihm heraus, sein teures Auto stand natürlich perfekt geparkt auf dem Hof. Ich wusste nicht genau, warum ich überhaupt bei ihm einstieg. Eigentlich hatte ich mir wirklich geschworen, mich nicht nochmal auf ihn einzulassen. Irgendwie hatte das alles zwischen uns einen zu holprigen Start. Der hätte sich doch auch durch eine mögliche Beziehung genau so durchgezogen. Da war ich mir sicher. Nachdem wir zwar nicht lange fuhren, aber über eine Autobahn, verlor ich ehrlich gesagt die Orientierung. Ich fragte aber nicht wo er mit mir hin wollte. So sehr konnte ich ihm schließlich vertrauen. Marco parkte nach ungefähr fünfzehn Minuten Fahrt auf einer Seitenstraße und stieg aus. Ich tat es ihm gleich. Mittlerweile erschien der Himmel in einer sommerlichen Abendröte und tauchte alles in ein pinkes Licht. Marco nickte mir zu, dass ich ihm folgen sollte. Augenverdrehend lief ich also hinter dem Blondschopf hinter her. Halde Gotthelf laß ich auf einem großen Schild und runzelte die Stirn: "Marco? Was willst du mit mir an einer Halde?" fragte ich irritiert. Er lachte leise und kam zurück auf mich zu: "Ja oder auch die Hombrucher Alpen wie wir Dortmunder sagen. Ich habe dir vor einigen Wochen versprochen Dortmund zu zeigen. Weißt du es noch?" Ich nickte. Natürlich, nur deshalb hatte ich mich auf ein "Date" mit ihm eingelassen. Um ihn kennen zu lernen, nicht den Fußballspieler sondern den echten Marco und Dortmund. "Heute zeige ich es dir von oben." erklärte er dann schnell. Ein wenig in Eile hastete er dann zusammen mit mir die Halde hoch, während es immer dunkler um uns wurde. Irgendwann griff ich dann nach seiner Hand. Vielleicht weil ich sein Tempo drosseln wollte, vielleicht aber auch weil ich Angst hatte. Oben angekommen war es schon beinahe stockfinster. Meine Augen hatten sich so gut an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich ihn jedoch noch sehen konnte. "Hier siehst du die ganze Skyline von Dortmund." grinste Marco mich an und breitete seine Arme aus. Ich lächelte. Wider erwarten sah es wunderschön aus. Alle Gebäude leuchteten im Dunkeln. Die Autos sahen aus wie kleine Glühwürmchen die sich langsam fortbewegten. Ich konnte mir ein strahlendes Lächeln nicht verkneifen. Man sah Phönix-West mit dem Hoesch-Gasometer, die Universität, den Florianturm und ganz deutlich: "Das Westfalenstadion?" fragte ich vorsichtig. Es erstrahlte im gelben Licht und erhellte die Dortmunder Landschaft von hier oben wie kein zweites Gebäude. Marco nickte: "Den Fußball, den wirst du in Dortmund nie ausblenden können und in mir leider auch nicht." erklärte er. Ich musste lächeln. Auf was er für Ideen kam um es mir zu veranschaulichen war echt genial. Gut, dass er im Dunkeln nicht sehen konnte wie rot ich deshalb wurde. "Das will ich ja auch gar nicht." wisperte ich leise. Marco lächelte nickend: "Ich weiß. Das will ich damit sagen. Du akzeptierst mich wie ich bin, trotz des Fußballs und ich dich so wie du bist. Egal welche Ecken und Kanten du hast. Egal welchen Job deine Mutter ausübt. Egal, ob man dich für den Fußball begeistern kann oder eben nicht." machte er mir klar und kam immer näher auf mich zu. Mir wurde ganz warm ums Herz. Er hatte mich schon als er in unserem Wohnzimmer stand. Schon da wäre ich ihm gerne um den Hals gefallen, hätte er um Entschuldigung gebeten. "Es tut mir wirklich leid, dass ich es dir in dieser einen Nacht nicht sofort deutlich gemacht habe, dass es mir nur um dich geht. Alles andere ist mir egal. Ich nehme dich so wie du bist Yve. Du hast mit ordentlich den Kopf verdreht." murmelte er dann, nachdem er seine Arme um meine Körpermitte gelegt hatte. Ich konnte seinen Atem auf meinen Wangen spüren und seinen Herzschlag beinahe hören, so schnell war er. Ich nickte aufgeregt: "Hab's verstanden." und grinste mit glänzenden Augen. Man, ich hatte mich total in ihn verschossen. Wie konnte ich nur so schlecht über ihn denken? Eigentlich hätte ich wissen müssen, dass ich ihn so nicht kennen gelernt hatte. Auch Marco grinste nun erleichtert. Gefühlvoll legte er also endlich wieder seine Lippen auf meine. War das romantisch mit diesem Ausblick. So etwas hatte noch nie ein Mann für mich getan. Ich genoss diesen Moment richtig, er war nur für mich und ließ die schlummernden Schmetterlinge in meinem Bauch so richtig aufleben. Nachdem wir uns lösten drehte ich mich in Richtung des Ausblicks und spürte, wie Marco behutsam von hinten seine Arme um mich legte und seinen Kopf auf meiner Schulter ablegte. Ich lächelte zufrieden in mich hinein und atmete tief die wunderschöne Sommernachtsluft ein. Am liebsten hätte ich noch ewig dort in seinen Armen gestanden, bis in mir dieser dumme Blitzgedanke aufkam: "Du Marco, wie kommen wir im dunkeln denn diese Halde wieder hinunter?"

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Schmetterlingseffekt
FanfictionKann man alles einfach so stehen und liegen lassen für die Profikarriere des eigenen Bruders? Genau dafür entscheiden sich die 26-Jährige Yve Kühnert und ihre Familie. Obwohl sie in ihrem Alter schon für sich selbst sorgt lässt sie gemeinsam mit ihr...