38.

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Alles war perfekt. Zumindest dachte ich das. Natürlich war es nicht so einfach wie ich es mir vorgestellt hatte, dass endlich mal etwas für mich persönlich gut und ohne Vorkommnisse verlief.  Es wurde immer schlimmer. Wenigstens hatte ich zunächst ein paar Wochen lang meine Ruhe vor dem ganz persönlichen Sturm. Meine kostbare Freizeit verbrachte ich bei Marco. Es fühlte sich bei ihm alles so leicht an und dennoch besonders. Ich fühlte mich geborgen und geliebt. Er hatte immer ein offenes Ohr für mich und vor allem wurde es inniger zwischen uns. Währenddessen nahmen er und mein Bruder gleichzeitig das Training mit der gesamtem Mannschaft wieder auf und ich konnte nicht nur meinen Bruder anfeuern, sondern jetzt auch ganz offiziell meinen Freund. Auch bei deren ersten Spiel war ich natürlich dabei, zusammen mit Jenny. Doch in Lennard schien irgendetwas zu arbeiten. Er war nicht mehr so wie ich ihn kannte. Natürlich würde es jedem schmeicheln, von den Trainern nach einer langwierigen Verletzung so erwartet und gelobt zu werden und auch vom Vorstand das Gefühl vermittelt zu bekommen, dass man der Mann der Saison ist und genau das gönnte ich ihm auch von Herzen. Aber genau das machte ihm zu schaffen. Seinen ausgelatschten Sneakern wichen Designerteilen und auch der Wert seiner Sonnenbrillen hatte sich nun um das Zehnfache gesteigert. Irgendwie komisch anzusehen. Darauf ansprechen wollte ich ihn jedoch nicht. Schließlich war er mein Bruder. Schließlich gönnte ich es ihm. Schließlich freute mich sein Erfolg. Dennoch war es traurig mit anzusehen und zermürbte mich.
Ich fuhr gerade nach der Arbeit auf unseren Hof, da kam Lennard mir mit einem breiten Grinsen entgegen. Ich lächelte zunächst zurück, bevor ich vorsichtig nachhakte: "Was grinst du denn so?" ich kräuselte meine Stirn ein wenig und schloss leise meine Autotür nebenbei. Lennard kratzte sich am Hinterkopf: "Hi Yve, könntest du deine Knutschkugel bitte heute und demnächst am Straßenrand parkten?" fragte er. Ich hatte nicht mit soetwas gerechnet und war überrascht über diese Frage: "Warum?" hakte ich also wieder nach. "Mein Sportwagen kommt doch heute. Der sollte unbedingt vor dem Haus stehen. Wenn bei deiner Karre die Spiegel abgefahren ist es ja nur halb so ärgerlich. Außerdem represäntiert dieses Auto Wohlstand. Das muss quasi vor dem Haus stehen." erklärte er realitätsfern. Ich verkniff mir die offenstehende Kinnlade un das Schütteln meines Kopfs und zuckte lieber mit den Achseln. Erst als ich mich umgedreht hatte und ihn hinter mir ließ schnaubte ich sauer und schmiss meine Autotür mit einem lauten Knall hinter mir zu, nachdem ich einstieg. "Sportwagen" äffte ich ihn sauer nach. Ganz klar. Die kaputten Spiegel die er befürchtete, würde ich ihm in Rechnung stellen. Vielleicht war das der Augenblick in dem ich ihn in die Realität hätte zurückholen können, aber ich tat es nicht. Ich dachte es sei eine Phase oder ein kurzer Anflug von Übermut. Nachdem ich mein Auto also an den Straßenrand an den es verbannt wurde gebracht hatte, trat ich vorsichtig in unser Haus. Ich wollte ihm nicht nochmal auf diesem Fuß begegnen. Aber ließ sich das überhaupt vermeiden? Als ich ihn dann eh in der Küche wiedersah, wo er akribisch seinen Proteinshake zubereitete, fragte ich erstmal das was mir vornerein aufgefallen war: "Sag mal, wo ist denn unsere Mutter?" Lennard zuckte mit den Schultern nachdem er seinen Shake weggezogen hatte. Man wie konnte er das bloß? Die Dinger waren mitunter das ekeligste was ich neben Rosenkohl jemals probieren oder essen musste. Marco hatte mich vor kurzem einen Schluck probieren lassen, da kam es mir echt wieder hoch. Wer das lecker finden konnte, Hut ab. "Ich schätze arbeiten" erwiderte Lennard desinteressiert. "Ich verstehe sowieso nicht warum ihr zwei Frauen überhaupt noch arbeiten geht. Schließlich könnte ich euch Zwei mit meinem kleinen Finger ernähren. Außerdem seid ihr Frauen. Ihr müsst nicht arbeiten gehen." faselte Lennard vor sich her. Mir blieb der Atem im Hald stecken. Meinte er das gerade ernst? Außer einer gehobenen Augenbraue kommentierte ich jedoch seine Aussage nicht. Vielmehr machte ich mir Sorgen um unsere Mutter und ihre mehr oder weniger legale Arbeit. Ich hoffte inständig, sie hatte schon einen neuen Job und ist gerade nicht wieder in Sachen sex-working unterwegs. Ich verbannte diesen Gedanken aus meinem Kopf und beschloss mich dazu meiner Mutter zu vertrauen. Sie hatte mir schließlich ein Versprechen gegeben. Das würde sie mit Sicherheit nicht brechen. So komisch diese Begegnung mit Lennard auch war, umso mehr freute ich mich darüber, gleich zusammen mit Marco zu kochen und danach einen simplen Filmeabend mit ihm zu verbringen. Vielleicht hatte er ja auch Lust auf ein gemeinsames Bad? Grinste ich in mich hinein während ich in gemütliche Klamotten schlüpfte. Nach zwei Mal Training heute hatte er das bestimmt. Ich schminkte mich noch schnell ab und machte mir einen Zopf, bevor ich wieder im Auto saß. Voller Vorfreude ihn zu sehen fuhr ich auf seinen Hof und klingelte an seiner Haustür, nachdem ich die diversen Treppen hoch zum letzten Stock seines Wohnkomplexes beinahe hochgesprintet war. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit bis sich in seiner Wohnung etwas regte und er mich endlich die Tür aufmachte. Als er nur in einem Handtuch eingewickelt vor mir stand zog ich einen Schmollmund: "Du hast schon ohne mich nochmal geduscht?" fragte ich gespielt enttäuscht, grinste aber dann doch. Marco schaute sich erst scheu um und kratzte sich dann nervös am Hinterkopf. "Ja" erwiderte er vorsichtig und kaute dann an seiner Unterlippe herum. Ich zog verwundert meine Augenbrauen zusammen und schaute ihn fragend an, als er mich dann auch noch irgendwie blockierte, als ich herein in seine Wohnung wollte. "Habe ich vergessen, dass du doch keine Zeit hast?" stammelte ich dann ratlos. Er schüttelte den Kopf: "Nein, aber-" begann er, stockte dann aber. Irgendwie kam in mir ein schlechtes Gefühl auf. Ich kämpfte mich also entschlossen an ihm vorbei, nur um weiter in den Flur zu gehen und da zu bemerken, dass Scarlett erwartungsvoll im Türrahmen lehnte. Sie sah irgendwie total zerzaust aus. Ich stand für wenige Sekunden perplex zwischen den beiden im Flur und versuchte das Puzzle in meinem Kopf zusammen zu fügen. Irgendwann schaute ich nur zwischen den beiden her - natürlich blieb mein Blick an Marco hängen, der schnell nach meiner Hand zu greifen versuchte. "Marco? Warum? Warum machst du das?" fragte ich ihn plötzlich leise und voller Enttäuschung. Er fuhr sich verzweifelt durch seine nassen Haare: "Yve, es ist nicht so wie du-" begann er. Ich entriss meine Hand förmlich von seinem Griff, was ihn zum Stocken brachte. Am liebsten hätte ich ihn angeschriehen, ihm eine verpasst oder dieser blonden Kleiderstange mal meine Meinung gegeigt, aber das war es mir in diesem Moment nicht wert. Die Energie dazu fehlte mir auch: "Lass gut sein." warf ich ihm also an den Kopf, bevor ich die Treppen seines Wohnkomplexes noch schneller herunterstolperte als ich sie hätte hochsprinten können. Fußballer, dachte ich mir. Ich hätte auf mein Bauchgefühl am Anfang hören sollen, warf ich mir selbst an den Kopf. So viel dazu. Das Glück, das stand eben einfach nicht auf meiner Seite. Ich fuhr ein paar Straßen weiter bevor ich auf einem Parkplatz anhielt und ich nicht mehr verhindern konnte, dass mir dicke Tränen über die Wangen liefen.

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