twenty nine

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Wenn ich gewusst hätte wie beschissen mein Tag im weiteren Verlauf noch werden würde, wäre ich bestimmt nicht zu Starbucks gelaufen und hätte mir einen XXL Kaffee mit Sahne, Zucker und ohne Milch bestellt, sondern wäre nach Hause gefahren und hätte mich direkt wieder und meiner Bettdecke verkrochen. 

 Aber nun stand ich in der Cafeteria mit einem Tablett und bekam gerade wirklich ungesund aussehenden Kartoffelbrei auf einen Plastikteller geklatscht. 

 Ich würgte kurz und lief dann schnell weiter um der klumpenreichen Erbsensuppe zu entgehen. Schnell setzte ich mich zu Avani, Soph und Dylan an den Tisch. ,,Guckt euch das Zeug an!" Ich zeigte auf mein Tablett. ,,Als hätte das jemand ausgekotzt!" Dylan lachte nur.

 ,,Keine Sorge. Ich hab Cracker dabei. Du kannst gerne welche haben, wenn du willst." Freudestrahlend nickte ich und versenkte den Kartoffelbrei mit einem zufriedenen Lächeln im Mülleimer. ,,Wo wir gerade bei Kotzen sind Leute, was haltet ihr von dem neuen Biolehrer?" Avani guckte in die Runde.

 ,,Hör auf! Ich hasse den Typen! Ich meine er ist die erstes Stunde hier und führt sich auf wie Sultan höchstpersönlich! Wer gibt denn auch Bitteschön direkt ein Referat über den Hormonzyklus einer Frau auf?" Soph schnaubte. 

,,Das sagt doch schon alles. Scheiß Frauendiskriminierung!" Ich kaute derweil genüsslich auf Dylans Crackern. ,,Immerhin sind wir in einer Gruppe!" schmatze ich. ,,Von wegen! Ich bin mit Laura in einem Team!" Avani schaute bitter drein und ballte die Fäuste. ,,Was ist da eigentlich damals zwischen euch vorgefallen dass ihr euch so hasst?" Ich hörte auf zu kauen und guckte sie fragend an. ,,Lange Geschichte... Erzähl ich euch wann anders..." 

 Ich zuckte mit den Schultern und wendete mich zu Dylan. ,,Wollen wir uns dann heute nach der Schule bei dir treffen und alles vorbereiten? Ich kann auch Plakatrollen mitbringen!" Ich lächelte ihn begeistert an. ,,Ich... Ähm." Er kratzte sich am Kopf. ,,Das geht heute leider nicht... Mein... Äh Vater... Ich hab Hausarrest." ,,Och Mann Dylan!" Soph guckte ihn mürrisch an. ,,Immer, wenn wir dich fragen ob wir zu dir kommen können, wimmelst du uns ab! Wir waren noch nie bei dir zu Hause! Ich möchte auch mal deine Eltern kennenlernen und mal dein Zimmer sehen! Ich meine du wohnst quasi bei uns und wir kennen noch nicht mal deine Erzeuger!" Ich schlug Soph gegen die Schulter.

 ,,Soph! Das klingt eklig!" Nun wandte ich mich wieder zu Dylan. ,,Aber sie hat Recht! Ich meine wir sind deine besten Freunde und du willst uns nicht deiner Familie vorstellen! Oder sind wir dir etwa peinlich?" Dylan lachte. ,,Aber sowas von! Daran liegt es wohl!" Avani stieg in sein Lachen ein und schon war die Stimmung am Tisch wieder aufgelockert. Doch als ich Dylan in die Augen sah, war da immer noch etwas. Etwas was er tief verborgen hatte und wir durch dieses Gespräch wieder leicht hatten aufkommen lassen. Etwas was viel tiefer reichte, als wir es uns alle vorstellen konnten.

 ***

 ,,Mister Kamper?" ,,Ja Liv?" Mein Englischlehrer drehte sich genervt um. ,,Ich muss mal für kleine Mädchen..." 

 ,,Nein Liv! Du hättest in der Pause gehen können!" ,,Aber..." ,,Kein Aber!" Er guckte mich streng an. Ich wollte gerade Luft holen, doch schon ergriff meine beste Freundin Partei für mich. ,,Mr. Kamper!" ,,Ja Soph?" Er warf ungeduldig das Kreidestück hoch und fing es wieder auf. ,,Ihnen ist schon bewusst, dass sie Liv aufs Klo lassen müssen!" ,,Nein, warum?" Er zog eine Augenbraue hoch. ,,Weil Liv ein Mädchen ist." 

Die Klasse brach in Gelächter aus, doch Soph fuhr unbeirrt fort. ,,Und Mädchen, haben einmal im Monat "ein kleines Problem". Es ist Mädchen nicht möglich dieses Problem irgendwie aufzuhalten oder zu umgehen. Und Mister Kamper... Ich muss es wissen, denn ich bin auch ein Mädchen." Siegessicher setzte sie sich wieder hin und guckte Mister Kamper erwartungsvoll an. 

 ,,Danke Soph für diese tolle Zusammenfassung des Hormonzyklus einer Frau. Also Liv: Wenn du "dein Problem" nicht länger aufhalten kannst, darfst du natürlich gehen." Er zeigte mit dem Finger auf die Tür. ,,Um ehrlich zu sein, Mister Kamper, muss ich nur mal pullern." Ich kratzte mich am Kopf und guckte zu Soph, die mir gerade einen Killerblick zuwarf.

 Ich hob abwehrend die Hände und guckte wieder zu Mister Kamper. ,,Gut. Dann setzt dich wieder." Ich guckte ihn fassungslos an. ,,Also Mister Kamper! Wenn sie nicht wollen, dass hier gleich ein Unglück passiert, würde ich mich jetzt aufs Klo gehen lassen! Ich kann natürlich auch das Waschbecken benutzen, wenn Sie mir nicht zutrauen alleine die Toilette aufzusuchen..." ,,Hinsetzen." ,,Aber..." ,,Schluss! Ich erdulde keine weitere Störung meines Unterrichts!" Er guckte mich böse an. 

 Mürrisch setzte ich mich hin. ,,Wenn gleich ein Plätschern zu hören ist, ist das nicht die Wasserleitung, sondern meine gerade absterbende Blase..." Wenn Blicke töten könnten... Schnell senkte ich meinen Blick auf mein Heft und schaute Mister Parker für den Rest der Stunde nicht mehr an. 

***

 Fünfunddreißig Minuten später sprintete ich Richtung Toilette. Ich riss die Kabinentür auf und ließ mich auf die Schüssel plumpsen. Das war knapp gewesen... 

Manchmal waren Lehrer echt stur! Mister Parker konnte von Glück reden, dass ich mich so gut zurückhalten konnte, denn das was da gerade aus meiner Blase kam, war mit den Niagarafällen zu vergleichen. Ich wusch mir die Hände und ging um einiges erleichterter aus der Damentoilette. Ich verließ die Toilette, scheinbar mit etwas zu viel Schwung, denn prompt lief ich in jemanden rein. Dylan. ,,Hey!" Begrüßte ich ihn lachend. ,,Hi! Wie geht's?" ,,Gut, gut..." Ich schlug ihm spielerisch gegen die Schulter, wurde dann aber ernst. ,,Dylan... Darf ich dich was fragen? Was war das da gerade eben am Esstisch?" Ich guckte ihn durchdringend an. 

 ,,Was meinst du? Dass ihr nicht zu mir kommen könnt?" ,,Ja... Nein... Keine Ahnung. Das auch, aber da war doch noch was anderes! Dylan du kannst mir nichts vormachen, lag doch noch was auf dem Herzen..." ,,Nein... Alles gut..." ,,Dylan! Du kannst uns alles sagen! Wir sind immer für dich da! Mit dir stimmt doch etwas nicht! Ich weiß es genau!" ,,Vielleicht will ich das aber gar nicht!" zischte er. ,,Kannst du dich nicht einfach mal um deinen eigenen Mist kümmern?" Ich guckte ihn erschrocken an Ihm lief eine Träne über die Wange und mir zerbrach fast das Herz.

 ,,Was ist los?" flüsterte ich. ,,Dylan? Was ist mit dir passiert?" ,,.Manchmal Liv, reicht es nicht einen Menschen einfach anzugucken, ein bisschen mit ihm zu reden und dann zu denken man kennt ihn. Manchmal muss man über die Wände gucken, hinter denen man eigentlich ein Paradis erwartet."

  ,,Dylan! Ich liebe dich wie ein Bruder! Ich habe dich nie oberflächlich bewertet oder dich verurteilt, wegen dem was du bist und dem was du machst! Was willst du mir also damit sagen?" Ich stand kurz vor den Tränen.

 ,,Es liegt nicht an dir..." Ich wollte ihn unterbrechen, doch er hob die Hand. ,,Kommt gleich in der fünften, sechsten zum Klo. Soph und du. Keine Ahnung, ob es richtig ist, was ich jetzt hier tue, aber ich kann nicht mehr länger darauf rumsitzen. Ich erwarte euch. Und... Danke Liv." Mit diesen Worten wand er sich ab und ließ mich vollkommen verwirrt und verstört zurück.

 Ich blickte ihm hinterher und auf einmal sah ich nicht mehr den fröhlichen, sozialen und netten Dylan. Ich sah hinter diese Fassade und blickte auf Hilflosigkeit, Angst und Zerbrechlichkeit. Und die Tatsache, dass ich all dies noch nie zuvor gesehen hatte, erschütterte mich am meisten.

Los Angeles Love | Tony and Ondreaz LopezWo Geschichten leben. Entdecke jetzt