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Eine gefühlte Ewigkeit saßen Miri und ich so fest umschlungen auf unserer Bank. Sie hatte ihr Gesicht an meinen Hals gepresst und jede Träne, die aus ihren geröteten Augen floss, rann auf meine Haut. Meine Tränen versickerten in ihrem Schal. 

Wir sagten nichts, sondern hingen einfach nur unseren Gedanken nach, während wir unserem Kummer freien Lauf ließen und der kalte Wind uns um die Ohren pfiff. Es fühlte sich wirklich wie das Ende an. Wahrscheinlich versuchte deshalb jeder von uns beiden, die Umarmung so lang wie möglich hinauszuzögern. 

Doch irgendwann spürte ich, dass ich loslassen wollte. Miri hatte schon eine ganze Weile zu weinen aufgehört, nur mehr ihre Brust zitterte bei jedem Atemzug. Mir entkam noch immer die ein oder andere Träne, aber wenigstens war der Kloß in meinem Hals weg und meine Atemwege fühlten sich freier an. 

"Miri", nannte ich ihren Namen und lockerte den Griff etwas, um mich aufzurichten, da mir von der gekrümmten Haltung auch schon der Rücken wehtat. 

"Bitte nicht", presste sie aus ihren rissigen Lippen hervor und klammerte sich nur noch stärker an mich. 

Mitfühlend strich ich ihr über die lavendelfarbenen Haare und küsste ihr Ohr. Wenn sie etwas mehr Zeit brauchte, war das okay. Ich würde auch die ganze Nacht mit ihr hier ausharren. 

Doch einen Moment später wurde Miri schon unruhig an meiner Brust und schüttelte meine Arme ab. Sie rückte etwas weg von mir und starrte mit geknicktem Kopf den Boden an. 

"Hat ja keinen Sinn", meinte sie mit unsicherer Stimme und quetschte die Handflächen unter ihre Oberschenkel. 

"Hm...", machte ich nur und schaute in den eisgrauen Himmel, ehe ich noch in leisem Ton hinzufügte, "Das ist also das Ende"

"Ja...Ruf mich dann bitte nicht an. Und auch nicht schreiben"

"Wieso nicht? Ich würd gern wissen, wie es dir geht"

"Ich...ich brauch Abstand, denke ich"

"Warum Abstand? Wir könnten die Trennung doch gemeinsam durchstehen"

"Das geht nicht. Für dich vielleicht schon, aber wenn ich dich küssen will, sobald ich dich sehe, dann geht das einfach nicht", erklärte sie monoton. 

Hm, ich verstand schon, was sie meinte. Wahrscheinlich war es wirklich besser so, wie sie es vorgeschlagen hatte. Abstand und kein Kontakt. Dann würden wir uns einander abgewöhnen, den anderen nicht mehr für selbstverständlich in unserem Leben halten. Man, das machte mich so traurig. Miri spielte eine große Rolle für mich und jetzt musste das alles aufgegeben werden. Aber es war wohl der gescheiteste Weg für uns beide, auch wenn's höllisch wehtat. 

"Ja, du hast recht", stimmte ich ihr langsam nickend zu, "Und dein Zeug, das noch bei mir liegt? Soll ich's vorbeibringen oder wem geben? Lini oder so"

"Gib's bitte Lini"

"Okay"

Dann schwiegen wir wieder eine Weile. Auch meine Gedanken hüllten sich in Schweigen, als wären sie alle mit den Tränen weggeschwemmt worden. Nur das leise Glucksen der Donau, der schnittige Wind und das Rascheln des blassen Laubs klang in meinen Ohren. Graues Wasser, grauer Himmel, graue Gebäude. Alles schien mir so trostlos irgendwie. War das noch mein Wien? 

Da watschelte auf einmal eine Ente vorbei. Wackelig bewegte sie sich über den Asphalt und schwang dabei ihren ganzen Körper mit. Die orangenen Füße, das braunweiß gescheckte Federkleid, die schwarzen Knopfaugen. Eine Ente, genau wie im Sommer. Es war also doch noch mein Wien. 

"Ich sollte gehen", murmelte Miri in ihren Schal hinein. 

"Jetzt schon?"

"Ich hock hier seit vier Stunden, mir ist kalt"

"Ja..."

Ich überlegte kurz, ob ich mich noch entschuldigen sollte, weil ich sie so lange hatte warten lassen. Aber irgendwie schien es mir so unwichtig im Vergleich zum Trennungsschmerz, also ließ ich es sein. 

Stattdessen griff ich mit klammen Fingern nach der Tasche, die Miri vollgestopft hatte mit meinem Kram. Lol, war das nicht das Leiberl, das sie mir noch in der Schulzeit geklaut hatte? Es lag ganz oben auf dem Stapel und war lediglich weiß, aber mit einem Fleck unterm Kragen, den ich nur zu gut kannte. Da hatte Miri nämlich unabsichtlich ein Pommes mit Ketchup drauffallen lassen, als sie mich, während ich geschlafen hatte, füttern hatte wollen. Das Leiberl hatte sie zum Waschen mit nachhause genommen, aber es dann behalten. Und jetzt bekam ich es wieder zurück...hm, nur blöd, dass die Phase, in der ich weiße Shirt getragen hatte, längst vorbei war. Fuck, mir kamen schon wieder die Tränen. 

Miri bemerkte nicht, dass ich schon wieder mit dem Weinen struggelte, da ihr Blick noch immer fixiert auf den Asphalt war. Gut, vielleicht hätte sie sonst nur auch wieder angefangen. Schnell wischte ich mir also mit dem Ärmel die Augen trocken und stand mit der Tasche in der Hand auf.

"Komm, gehen wir", meinte ich trocken. 

"Nein, nicht wir. Geh meinetwegen vor, dann nehme ich die nächste U-Bahn"

Überrascht sah ich mit traurigen Augen an. Nicht mal gemeinsam heimfahren wollte sie. Aber wenn es das leichter für sie machte, sollte ich mich wohl fügen. 

"Okay. Dann...", begann ich, doch mir fiel einfach nichts zum Verabschieden ein. Es fühlte sich so komisch an, jetzt zu gehen. 

"War schön mit dir", meinte Miri noch, wobei sie mich immer noch nicht ansah. Diese Worte taten mir auf einem anderen Level weh.

"Es war auch schön mit dir. Und du kannst mir ruhig schreiben oder so, wenn du vielleicht irgendwann mal willst"

"Mal sehen"

"Hm...dann geh ich jetzt wohl"

"Ja"

"Mach's gut, Miri. Tschüss"

"Tschüss"

Dann drehte ich mich um und ging. Ich ging, ohne Miri noch einmal in die Augen sehen zu können, da sie ihren Blick nicht vom Boden heben wollte. Beim Gehen fühlte sich mein ganzer Körper seltsam steif an, als würden meine Gelenke irgendwie nicht so geschmeidig wie sonst funktionieren. Lag vielleicht daran, dass wir hier so lange in der Kälte gesessen hatten. 

Oder es war einfach, weil ich mich so ausgelaugt fühlte. Weinen war nämlich ziemlich kräftezehrend und danach kam ich mir meistens schlapp vor. Da ich heute literweise Tränen vergossen hatte, war es irgendwie naheliegend, dass ich mich dementsprechend k.o. fühlte. 

Aber wen interessierten schon meine Gelenke? Miri und ich hatten uns gerade getrennt, da war's doch egal, wie's meinem Körper ging. Es hörte sich noch immer surreal an. Miri und ich...getrennt. Verrückt. Vor paar Wochen war diese Vorstellung noch außerweltlich gewesen. Und trotzdem stand ich hier und war ab heute wir ein Single Man. Goddammit, meine Augen wurden schon wieder feucht. 

Ich mein, klar, Miri und ich hatten unsere Differenzen gehabt, aber gleichzeitig war die Zeit mit ihr so schön gewesen. Ich mochte es einfach, jemanden zu haben, dem ich meine Zuneigung zeigen konnte. Überraschungen vorbereiten, dem anderen eine Freude machen und sich einfach mit voller Leidenschaft in die Beziehung stürzen, das gefiel mir so sehr. 

Aber das war jetzt wohl vorbei. Ich war wieder auf mich allein gestellt. Nicht mal in Kontakt bleiben wollte sie...ach fuck, das machte mich alles so traurig. Ich hatte meine erste Liebe verloren. Was anderes als weinen konnte ich da beim besten Willen nicht. 

catching vibes like dreams || taegukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt