Kunstrant

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T hatte Brot, Käse und Aufstrich hergerichtet und auf den kleinen Esstisch mit dem nötigen Besteck gestellt. Ich sah ihm aufmerksam dabei zu, wie er elegant die dünnen Teller mit seinen langen Finger hielt, die Gabeln in seiner Hand drehte. Gut einprägen, solche Bewegungen waren essentiell. 

"Nochmal wegen der Kunst", griff ich das Thema wieder auf, während ich an meinem Käsebrot nagte und T an seinem mit Philadelphia. 

"Ja?"

"Was meinst du damit, dass es keine Ansichten in der Kunst gibt? Ich dachte, es wäre alles nur Ansichtssache"

"Ja, das dachte ich auch früher...also vor paar Wochen noch. Aber irgendwie stellt mich diese Einstellung nicht zufrieden. Einfach die Tatsache, dass ich etwas ausdrücken will, ruiniert das Bild schon"

"Aber wieso? Jeder hat doch eine andere Auffassung von der Welt, drum wäre dann jedes Bild immer noch einzigartig"

"Ja, nur find ich verfälscht der Gedanke, dass ich etwas ausdrücken will, den Ausdruck"

"What?"

"Na ja, wenn ich mir ein Konzept, Ausführung, Interpretation und alles überlege, dann ist das ja nicht mehr der pure Ausdruck. Es müsste ganz unbewusst geschehen. Ich wünschte, ich könnte ohne meinen Kopf malen. Nur dann kann ich sehen, was wahr ist"

Den Ausdruck verfälschen, indem man über den Ausdruck nachdenkt? Crazy Gedanke. Aber ich verstand es schon ein bisschen. Dadurch versuchte man ja, seine Gefühle und Eindrücke zu beschreiben und zu übersetzen, Analogien zu finden. Und dadurch veränderte man schon seine eigenen Empfindungen und passte sie dem Bild an. 

Hm, erinnerte mich ein bisschen an die Elektronen in einem Atom mit ihrem Spin. Das war nämlich lustig, die konnten sich nur entweder in die eine oder in die andere Richtung drehen, alles dazwischen war ausgeschlossen. Aber bis man nachschaute, wohin sie spinten, war ihr Zustand undefiniert. Allein durchs Hinsehen konnte man feststellen, wohin sie sich drehten. Nur dadurch beeinflusste man schon wieder ihre Umgebung und änderte vielleicht ihren Zustand, weil man mit den Mikroskopen eben fette elektromagnetische Wellen rausballert. Schrödingers Katze. 

"Ich ahne, was du meinst. Der Ausdruck ist wie Schrödingers Katze"

"Genau"

"Aber wenn du ohne Kopf malst, wie du vorhin gemeint hast, siehst du ja gar nix mehr"

"Kopf im Sinne von Gedanken"

"Aha. Und das soll dir zur Wahrheit verhelfen?"

"Na ja, dann gibt es kein Ich in meiner Arbeit mehr und ich hoffe doch, dass es dann wahr ist, was übrig bleibt"

Auch diesen abstrakten Gedankengang musste ich kurz sickern lassen. Er rechnete also sich als seine Gedanken plus Kunst, was dann Wahrheit ergab. Oder ergaben Gedanken plus Wahrheit die Kunst?  

"Willst du als Endprodukt Wahrheit oder Kunst?"

"Sollte das Gleiche sein in meinen Augen", sagte T und nahm sich noch ein Brot mit Käse diesmal, "Was denkst du?"

"Hm, glaub ich bin eher bei Kunst. Wahrheit ist sowieso ein komischer Begriff. Sehr relativ und subjektiv"

"Ja, aber stell dir vor, du schneidest das Subjekt raus. Was bleibt dann von der Wahrheit übrig? Vielleicht nichts, vielleicht aber auch schon etwas und das ist dann endlich wahr"

"Aber ich glaub nicht, dass man das Subjekt so einfach aus der Gleichung wegkürzen kann"

"Hm, I don't know. Deswegen find ich den Gedanken, meine Sachen auszustellen oder zu verkaufen auch so scary. Bin nicht zufrieden mit ihnen, also sehe ich keinen Grund, sie herzuzeigen. Und der Kunstmarkt ist überhaupt zum Vergessen"

"Wenn du von der Kunst leben willst, wirst du dich wohl oder übel drauf einlassen müssen"

"Ich weiß, drum hab ich den Galeristen auch zugesagt. Keine Aktion, auf die ich stolz bin"

"Schon okay. Du musst auch irgendwie Geld verdienen später, da führt leider kein Weg drum rum"

"Ach, ich wünschte wir hätte Geld schon abgeschafft. Jeder lebt sein life, die Robos erledigen alles für uns, ach die Utopie...Ich glaub, ich brauch einen Joint"

Damit sprang T auf und hustlete ins Schlafzimmer, wo ich einen kleinen Vorrat an Gras gebunkert hatte. Natürlich ganz raffiniert versteckt, in meinem Computer zwischen Motherboard und Arbeitsspeicher eingeklemmt. Technik war für viele ältere Leute immer noch ein Horror und so wog ich mich in Sicherheit mit diesem Versteck. Ich hörte T an dem Computer herumwerkeln und aß währenddessen mein drittes Brot. Weed brauchte ich dafür keines. Kiffte sowieso sehr selten, der Vorrat war mehr für ihn angelegt. 

T hatte sich das notwendige Papier aus der Küchenlade geholt, drehte sich gekonnt einen Joint und baute den Filter ein. Er bot mir auch was an, aber ich lehnte ab, war ja mit dem Käsebrot beschäftigt. Also zog er sich den Jolly allein rein, stieß den Rauch netterweise nicht in meine Richtung aus. Hm, aber irgendwie wäre es doch ganz nett. 

"Warte, ich will doch", entschied ich mich spontan um.

"Okay Baby"

T reichte mir den Joint, von dem noch etwas weniger als die Hälfte übrig war und teilte sich den Rest mit mir. Bei mir genügten drei, vier Züge und die Wirkung kickte schon rein, das war immer so. Er rauchte ja schon öfter als ich, drum brauchte er auch etwas mehr. Alles in allem reichte der eine Joint aber und ich lehnte mich gechillt in der Sessellehne zurück, um auf die Entfaltung der Wirkung zu warten.

catching vibes like dreams || taegukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt