Es war Ende Jänner. Ich saß bei T in der Wohnung und wartete auf ihn. Er hatte eigentlich gesagt, er hätte gleichzeitig mit mir Vorlesungsende, weswegen ich ihn nicht abholen gegangen war und stattdessen die paar Minuten hier auf ihn warten hatte wollen. Nur saß ich hier seit drei Uhr und er ließ sich einfach nicht blicken. Mittlerweile war es halb acht.
Nervös kratzte ich die Haut an meinen Fingernägeln herunter. Auf meine Nachrichten hatte er auch nicht geantwortet. Wo war er nur? Noch bei der Akademie? War er entführt worden? Mit Freunden unterwegs? Konnte ja alles sein...
Val war auch nicht da, die hatte eine Probe oder so, also war ich ganz allein mit meinen Sorgen in der Wohnung. Ich saß am runden Küchentisch und stand alle paar Minuten auf, einfach weil ich zu angespannt war, als dass ich ruhig sitzen hätte können. Mein Herz spürte ich ganz deutlich schlagen und es fühlte sich eingeengt in meinem Brustkorb an. Meine aufgerissenen Fingernägel brannten schon, aber das war wenigstens ein bisschen Ablenkung von meinen Gedanken.
Heute in der Früh war doch noch alles normal gewesen. Er hatte bei mir übernachtet, wir hatten gefrühstückt und dann gemeinsam das Haus verlassen. Gemeinsam zu ihm heim kommen, hätten wir, wie gesagt, auch sollen, aber das passierte nicht. Stattdessen hockte ich allein hier und fürchtete mich vor der Möglichkeit, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte.
Sollte ich vielleicht raus gehen und ihn suchen? Bei Orten, an denen er oft war wie der Uni oder Bibliothek könnte ich nachschauen, vielleicht war er dort irgendwie aufgehalten worden. Aber Wien war so riesig, er könnte überall sein. Noch dazu war heute Donnerstag Abend, was hieß, dass auf den Straßen besonders viel los war. Vorfeiern für Freitag.
Oh man, irgendwie hatte ich das Gefühl, T bräuchte meine Hilfe. Keine Ahnung, woher diese Ahnung kam, aber irgendwas in mir sagte mir, dass ich los musste und ihn suchen. Scheiß drauf, dass Wien so fett war, dann würde ich eben die ganze Nacht durchrennen.
Schnell schlüpfte ich in klobige Schuhe und dicke Jacke, draußen hatte es nämlich eisige Minusgrade. Ja, ich würde ihn suchen. Was anderes blieb mir auch nicht übrig, sonst würde ich mir nur die ganze Zeit lang den Kopf zerbrechen.
Doch als ich gerade aus der Tür raus wollte, wurde sie auf einmal von außen geöffnet. Als sich der altbekannte krause Lockenschopf hereinsteckte, fühlte ich, wie meine Knie wabbelig wurden. T erblickte mich, er war unversehrt und sah mich aufmerksam an.
"Hi Gukie. Was machst du?", fragte er und musterte meine Winterjacke und Schuhe.
"I-ich wollt dich grad suchen"
Überrumpelt von der Situation brauchte ich ein bisschen, bis ich mich wieder fing. Er war da. Er war wieder bei mir. Ach, meine Brust wurde gleich freier.
"Mich suchen?", wiederholte T überrascht, schloss die Tür und trat an mich heran, "Sorry, dass das doch länger gedauert hat. Hast du dir Sorgen gemacht?"
Er streckte seine schlanken Finger nach meiner tätowierten Hand aus und hielt sie zart. In seinen Augen konnte ich lesen, dass es ihm leid tat.
"Ja. Wo warst du?"
"Mein Professor hat mir noch was gezeigt"
"Hm. Vier Stunden lang?"
"Ja"
Er hatte vier Stunden mit seinem Prof was gemacht? Was sollte das für eine Aktivität bitte gewesen sein, mehr als fünf Minuten hatte ich noch nie mit einem meiner Profs außerhalb der Vorlesung geredet. Irgendwas gefiel mir an der Situation nicht, aber ich kam nicht dazu, mehr darüber nachzudenken, weil T zu mir schritt und sich an meine Brust lehnte. Den Kopf kuschelte er in meine Halsbeuge und instinktiv legte ich meine Arme um seine Taille, um ihn an mich zu drücken. Sorgen fielen von mir ab, als wir uns so umarmten.
"Es tut mir leid", sprach T leise neben meinem Ohr und hielt mich fest.
"Ich weiß", meinte ich, wobei ich seinen Nacken küsste, "Was habt ihr gemacht?"
"Gemalt"
Malen, hm? T stürzte sich wirklich in die Kunst in letzter Zeit. Täglich beschäftigte er sich damit nach der Uni noch, malte und zeichnete, während ich bei ihm oder im Nebenzimmer saß. Manchmal kam es schon vor, dass ich etwas unternehmen wollte, er aber an seiner Staffelei festhing. Kunst nahm ihn immer mehr ein und ich konnte das die meiste Zeit auch gut akzeptieren. Er war eben ein Künstler, erst letzte Woche hatte er zwei Bilder verkauft, die ihm gemeinsam über vierhundert Euro eingebracht hatten. Ich wollte ihn da wirklich unterstützen, Kunst war eben genauso wie ich ein Teil von ihm.
Interessant war auch, dass T sich lately mehr in die abstrakte Richtung bewegte. Er entwickelte neue Techniken, die Farbe auf die Leinwand zu bringen und packte viel Emotion hinein. Oft sah ich seine Werke an und bei manchen bekam ich direkt wütende vibes. Vielleicht lag das auch daran, dass er mehr Rottöne verwendete und sich nicht mehr so an ruhige, erdige Farben wie davor hielt. Wie dem auch sei, seine Kunst entwickelte sich weiter und er ließ sie wie sonst auch für sich stehen, ohne mir etwas darüber zu erklären. Kunst ging eben nur Künstler und Werk war an.
"Wie geht's dir?", fragte ich T, da ich noch immer ein bisschen besorgt war.
"Gut, ich hab schon eine Idee für ein neues Bild. Dir?"
"Geht"
Damit löste T sich von mir und stellte sich wieder vor mich hin. Mit seinem gefühlvollen Blick sah er mir in die Augen, streichelte mit den Fingern über meine Wange. Ich schmiegte mich an seine Berührung und schloss für ein paar Momente die Augenlider.
"Ich geh dann jetzt malen"
"Wollen wir nicht gemeinsam was essen?"
"Später vielleicht"
T stellte das Streicheln meines Gesichts ein und begann, sich Schuhe und Mantel auszuziehen. Ich tat es ihm gleich. Er ließ seine Tasche auf den Boden fallen und trippelte in Socken in sein Zimmer, das ja gleichzeitig sein Atelier war. Eigentlich hatte ich ihm folgen wollen, aber er schloss die Tür hinter sich und zeigte mir somit, dass er allein malen wollte. Ich warf sehnsüchtige Blicke auf die Tür und hoffte, er würde sie vielleicht doch nochmal öffnen. Würde jetzt schon gern bei ihm sein, immerhin waren wir seit der Früh getrennt gewesen, das war viel Zeit. Doch die Holzplatte regte sich nicht, ich seufzte und setzte mich mit meinem Laptop an den runden Küchentisch.
Er wollte sich halt konzentrieren beim Malen, das war ja okay. Er und die Kunst hatten eine Beziehung, genauso wie er und ich eine hatten. Und in einer Beziehung verbrachte man eben auch Zeit zusammen, und zwar nur zusammen, mit keinem sonst. Das musste ich halt akzeptieren. Gab ja auch genug Momente, in denen er sich wieder nur an mich wandte. Er liebte mich ja, es gab nichts zu befürchten für mich.
Da ich jetzt allein war, konnte ich wenigstens an meinem neuen Projekt arbeiten. Ich wollte einen Song schreiben für T. Bis jetzt hatte ich ihm Covers vorgesungen, aber irgendwie wurde es mit der Zeit schwieriger, Lieder zu finden, die auch das ausdrückten, was ich empfand. Und wie konnte ich dieses Problem lösen? Ganz einfach eigenen Song schreiben.
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catching vibes like dreams || taeguk
FanfictionJeongguk und Taehyung, die beiden leben einfach ihr Leben, machen ihr Ding, kennen sich nicht. Doch bei dieser einen Kunstausstellung spricht Teilzeit Pokémontrainer Taehyung den angehenden Game Designer an und irgendwie verändert das alles. strang...