Jetzt wirklich Bleigießen FSK18

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Das Raclette war fabulös, ich schlug mir gehörig den Bauch voll. Ts Eltern unterstützten mich dabei leidenschaftlich, indem sie mir, wann immer mein Teller drohte leer zu werden, neues Fleisch und Gemüse anboten. Eins musste ich schon sagen, die wussten, wie sie mein Herz gewinnen konnten. 

Beim Essen wurde geplaudert, ich erfuhr einiges über das Bauernleben und erzählte von meinem Studium. Sumi und Choi fanden es wirklich toll, dass ich mich in der Informatik auskannte, weil sie mit mir dann endlich einen Techniker in der Familie hatten. Die beiden verstanden nämlich nichts von Computern. Soori verhielt sich das ganze Essen hinweg eher still, bis ich ihn schließlich fragte, ob er gern Videospiele zockte. Es gab ein Ja seinerseits und damit war auch er aufgetaut und plauderte mit leuchtenden Augen über die neuen Pokémon und Mario Spiele für die Switch. Ich verstand mich gut mit allen und verbrachte ein schönes Diner mit der Familie Kim. 

Nur danach war der Horror angesagt. Bleigießen. 

"So, Kinder, ich hol mal die Sachen zum Bleigießen", verkündete Choi, nachdem wir alles Essenbezogene weggeräumt hatten. 

Nervös kletzelte ich die Haut an meinen Fingernägeln ab. Bleigießen. Tödliche Verbrennungen, spritzendes heißes Blei und abfackelnde Löffel erwarteten mich. Schöne Silvestertraditionen.

"Also, willst du Bleigießen?", fragte T mich und beäugte meine nervösen Finger, "Sonst können wir auch rauf gehen"

Ich überlegte kurz. Angst vorm Bleigießen hatte ich, soviel war klar. Und die Vorstellung, mit T in sein Zimmer zu gehen und statt dem Nervenkitzel hier unten entspannte Zeit zu zweit mit ihm zu verbringen, war auch recht verlockend. Aber irgendwie kam mir das Ganze vor wie eine Challenge. Ich hatte Angst vorm Bleigießen? Cool, Herausforderung angenommen, dann fürchtete ich mich hier eben zu Tode, aber wegrennen würde ich sicher nicht. 

Nach diesem Gedankengang kam ich mir lowkey vor wie der Protagonist aus einem Shonen Anime. 

"Bleiben wir noch da", antwortete ich T, was er nickend zur Kenntnis nahm. 

Dann kam auch schon Choi wieder zurück, in der Hand hielt er die kleinen Sackerl mit den benötigten Utensilien. Yuna hatte eine Wasserschüssel geholt, in die wir das flüssige Blei dann hineinwerfen konnten. Ich merkte wie sich meine Schultern anspannten. Aber hey, ich konnte das durchziehen. Nummer für Rettung war 144, Wasser zum Löschen gab's im Hahn in der Küche, Decke zum Ersticken des Feuers lag am Sofa. 

Mit diesen Fakten im Kopf bemerkte ich auf einmal, wie sich etwas zwischen meine Hände schob, die sich noch immer gegenseitig die Haut abzogen. Es war Taehyungs Hand. Er verschränkte unsere Finger unterm Tisch miteinander und hielt mich so davon ab, meine Finger zu verletzen. Ich sah zu ihm auf und er blickte mich mit sanftem Blick an, lächelte etwas. 

"Jeongguk, möchtest du gleich anfangen?", bot Ts Mutter Sumi mir an und hielt mir wohlwollend einen Löffel und ein aus Blei gegossenes Kleeblatt entgegen. 

"Ja, okay"

Mit gemischten Gefühlen nahm meine rechte Hand die gebotenen Gaben entgegen, die linke klammerte sich noch immer an T. Er streichelte mit dem Daumen über meinen Zeigefinger und ich musste schon sagen, die Berührung brachte mir eine gewisse Ruhe zurück. Hielt mich irgendwie im Jetzt. 

Also machte ich mich ans Bleigießen. Ich legte das Kleeblatt in den Löffel und hielt ihn über die Flamme einer Kerze. Die Kerze war vom Adventkranz by the way. Es gab noch einen weiteren Löffel, mit dem schmolz Soori ein bleiernes Glücksschweinchen ein. Während der Prozedur war ich nervös, ja, aber es war okay. Ich hatte gar nicht wirklich die Möglichkeit, in schreckliche Gedanken abzudriften, einfach weil T mich mit seinen leichten Berührungen in meinem Körper hielt. Also, es kam mir so vor, als würde es an ihm liegen. Machte ja auch irgendwie Sinn, wenn Eindrücke auf meine Zellen trafen, dann mussten die eben verarbeitet werden, da gab's keinen Platz für Tagalbträumereien. 

Nach wenigen Minuten war der Stress auch schon vorbei und mein Löffel war noch nicht in Flammen aufgegangen. Das Blei war flüssig und bereit, in die Wasserschüssel geworfen zu werden. Mit einem kleinen Yeet katapultierte ich es in die Schüssel, was ein lautes Zischen gab und dann war Ruhe. Geschafft lol. 

"Ein Komet, wie cool", meinte ich, als ich das wieder feste Blei aus dem Wasser holte. 

"Das ist doch Durchfall", kommentierte Soori, womit er den ganzen Tisch zum Lachen brachte. Mit Ausnahme seiner Mutter, die die Miene verzog und ihn maßregelte für den Ausdruck. Aber als sie checkte, dass wir es alle locker aufnahmen, musste sie auch ein bisschen schmunzeln. Durchfall lmao, so konnte man's auch sehen. 

"Also, Komet heißt...", fing Choi an und las die verschiedenen Bedeutungen der Figuren auf der Rückseite der Bleigießverpackung durch, "Du darfst dir etwas wünschen. Und es wird wahr werden"

"Voll lahm", kommentierte Yuna nicht überzeugt, wodurch auch sie sich eine Warnung der Mutter einfing. 

"Ein Wunsch, hm?", überlegte ich und drückte Ts Hand etwas, "Ist ja easy. Welthunger beenden lol"

"Das lob ich mir", stimmte T nickend zu und auch von Yuna bekam ich einen Daumen hoch. 

Ich glaubte zwar nicht daran, dass dieses Bleigießzeug wirklich zutreffend war, aber falls ich mich irrte, dann wollte ich wenigstens einen gescheiten Wunsch geäußert haben. Welthunger, da musste ich euch nix erzählen, war unschön, wie manche Menschen leben mussten. 

Soori goss sein Blei auch noch und es kam ein Alien raus. Sein Vater las vor, dass er sich oft als Außenstehender fühlte, als wäre er nicht von dieser Welt. Ein deeper Text und Soori fand es mehr als irritierend, was er da zu hören bekam. Na ja, war ja nur ein alter Brauch. 

T und ich verpissten uns, nachdem wir noch ein bisschen geplaudert und bleigegossen hatten. Seine Figur war eine Welle geworden und für die hatte er folgende Prophezeiung erhalten. Er sollte sich damit abfinden, dass auf eine bestimmte Person kein Verlass war. Er sollte sie endlich loslassen und nicht immer wieder probieren. Ja, fragt mich nicht, was mit diesen Bleigießsprüchen heuer los war, die Hersteller mussten wohl depressiv gewesen sein. 

Oben in Ts Zimmer haute ich mich erschöpft in sein Bett. Ängste herausfordern war nicht leicht, aber dafür sehr erfüllend. Ich war froh, die Challenge angenommen zu haben. War ja nichts abgefackelt oder so, also konnte ich es durchaus als einen Sieg meinerseits sehen. T setzte sich zu mir ans Bett und fuhr mit seinen langen Fingern durch meine noch längeren Haare. 

"Meine Familie mag dich", sagte er und zog ein bisschen an meinem Ohrläppchen, wo die Ohrringe nur so klimperten. 

"Ich mag sie auch. Ist schön bei euch"

Genau in dem Moment hörte man plötzlich schrille Schreie und dumpfes Gebrüll. Alarmiert hob ich ruckartig den Kopf und auch T sah sich erschrocken um. Kaum eine Sekunde später war der Lärm versiegt und stattdessen drang auf einmal Lachen von unten herauf. Irritiert zog ich meine Augenbrauen zusammen. Was ging da denn ab?

"Ah, ich glaub, bei denen hat grad ein Löffel zum Brennen angefangen", mutmaßte T und sah mich wieder an. 

"Brand?", erwiderte ich mit vor Schock geweiteten Augen. 

"Sie lachen eh, der liegt wahrscheinlich schon in der Wasserschüssel. Keine Sorge"

T beugte sich zu mir runter und küsste meine Stirn, was mir den Schock etwas aus den Adern trieb. Bro, zum Glück war ich nicht mehr da unten, bei brennenden Löffeln stieg ich echt aus. 


catching vibes like dreams || taegukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt