"Du dachtest, ich murks dich ab? Hell nah, wär ja voll die Sauerei", beschwichtigte Taehyung mich, als wir nebeneinander auf seinem großen Bett saßen. Okay, so sonderlich groß war es nicht, aber für meine eingezwickten Verhältnisse eben doch. Im Hintergrund lief alte Jazzmusik und schuf ein ganz eigenes, interessantes Ambiente.
"Ja, das fette Messer hat mich etwas irritiert", schmunzelte ich.
Taehyungs Bude war nett. Wie bei mir war der Vorraum gleichzeitig Küche und Wohnzimmer, etwas geräumiger war es aber schon. Die Wände waren alle in einem angenehmen Cremeton gestrichen, viele Bilder waren aufgehängt und der Boden mit flauschigem erdfarbenen Teppich belegt. Eine Küche mit Teppich hatte ich auch noch nie gesehen, aber warum nicht? Ja okay, war vielleicht fürs Putzen nicht das Idealste, aber dafür hatte man wenigstens warme Füße beim Kochen.
Der runde Esstisch bot locker Platz für vier Leute, war aber vollgeräumt mit Büchern, Malutensilien und anderen Alltagsgegenständen. Eine Schale mit Mandarinen stand auf einem der Sessel, was gefährlich werden könnte, wenn jemand nicht aufpasste beim Hinsetzen. Ich war dieser jemand, ich passte oft nicht auf, wie man bei den vergeblichen Suchen im Loop gesehen hatte. Schicke Stoffcouch gab es auch.
Vom Esszimmer führten drei Türen weiter in die Wohnung hinein, eine wahrscheinlich zum Bad, eine zu Taehyungs Schlafzimmer und keine Ahnung, wofür die dritte war. Taehyungs Schlafzimmer jedenfalls hätte man auch als Atelier bezeichnen können. Hier stand neben dem weichen Bett eine hölzerne Staffelei herum, ein Schreibtisch, dessen Höhe und Neigung man verstellen konnte und ein Kasten vollgestopft mit Papier, Stiften und Farben. Ehrlich, dieser dude hatte so viele verschiedene Materialien. Ich sah diverse Arten von Bleistiften, Töpfe mit Pigmenten zum Mischen, Stoffrollen und Holzrahmen, die man zum Bespannen von Leinwänden verwendete, Pinsel in allen möglichen Formen und Stärken, stark duftende Kreiden und Papier in mindestens 20 verschiedenen Variationen.
Hinzu kamen die zahlreichen Skizzen, die er mit Klebeband auf die Wand geklebt hatte. Einerseits waren es anatomische Studien, andererseits entdeckte ich auch viel, von dem ich nicht mal erahnen konnte, was es darstellen sollte. Teilweise waren auch random Wörter auf die helle Wand geschrieben worden, wie Kreis oder Faul. So lebte wohl ein Künstler, wow.
Eine schmale Glastür gab es auch, sie führte auf einen kleinen Balkon, der so typisch für Wiener Bauten war. Draußen sah ich eine schwarze Suppe, in der gelegentlich Lichtpunkte durchschimmerten. Tiefste Nacht.
"Wie dem auch sei, möchtest du vielleicht auch ein Gläschen?", bot Taehyung mir seinen Rotwein an und stützte sich auf seinem Arm ab.
Er wirkte irgendwie bisschen drunk auf mich, Wangen leicht gerötet und Aussprache etwas schleißig. Mir war's egal, ich war nur froh, dass er noch wach war. Und mich nicht killen wollte.
"Ja, eins hätt ich gern", stimmte ich zu. So ein bisschen Nervengift würde mich vielleicht auch zur Ruhe bringen. Auch wenn ich mich jetzt schon merklich wohler fühlte.
Taehyung wackelte nickend davon in die Küche und holte mir ein Glas. Was er wohl grad gemacht hatte? Er trug eine locker sitzende Stoffhose von schlammgrüner Farbe, dazu ein weißes Shirt, dass ihm um Meilen zu groß war. Chillklamotten. Wenn man den Rotwein und die angenehme Jazzmusik bedachte, konnte ich wohl annehmen, dass er gerade einfach am Relaxen war. Hoffentlich, denn ich wollte ihn hier wirklich nicht bei irgendwas stören.
"So, da hast", meinte er und hielt mir mit etwas zittriger Hand das bauchige Glas hin. Schnell griff ich danach, damit er es nicht fallen ließ.
"Danke"
Taehyung setzte sich im Schneidersitz neben mich hin und krümmte die nackten Zehen. Ich schwenkte genießerisch das Glas und nahm einen kleinen Schluck vom Wein. Mhm, Rotwein war schon was Gutes, vor allem dieses Exemplar von Taehyung.
"Schmeckt gut", sprach ich und musterte Taehyung kurz. Seine Augen waren ziemlich glasig, der hatte wohl echt schon genug Alk gehabt für heute.
"Fein, fein"
Fein, das hatte ich ja auch nicht mehr gehört, seit ich das letzte Mal bei meiner Oma gewesen war. Und sie war seit drei Jahren tot.
"Also, worüber willst du reden?", fragte Taehyung, während er seinen langen Finger um den Rand des Glases kreisen ließ, wie es Glasmusiker machten, um dem Stück Töne zu entlocken. Bei Taehyung hörte ich aber nichts.
"Ähm...I don't know", nuschelte ich, da ich nicht ganz wusste, wie ich das Thema anschneiden sollte. Überhaupt brachte es mich ein bisschen aus dem Konzept, dass Taehyung einfach so danach fragte. Wusste er, dass ich was mit ihm besprechen wollte? Als ob. Obwohl...gab ja Künstler, die so crazy Menschen lesen konnten. Wenn mich nicht alles täuschte, hatte dieser Oskar Kokoschka, irgendein österreichischer Expressionist, mal bei dem Portrait einer Frau in ihrer Herzgegend so kräftigere Flecken als an ihrem restlichen Körper gemalt. Paar Jahre später hatte sie Brustkrebs. Keine Garantie tho, dass das auch stimmte, meine Kunstkenntnisse waren nicht von erster Klasse.
"Ach so, okay. Wir können uns auch einfach hinlegen und Chet Baker lauschen. Wunderbarer Musiker"
Ah, Chet Baker musizierte da also im Hintergrund. Brachte mir auch nicht viel, den Namen hatte ich noch nie gehört. Aber die Musik gefiel mir ganz gut, wie gesagt, sie machte die ganze Situation so lässig. Trotzdem wollte ich eigentlich das Gespräch aufrechterhalten. Ich musste einfach über diesen struggle reden, und mit wem sonst, wenn nicht mit Taehyung?
"Na also, ich wüsste eigentlich doch was zum Reden", begann ich und drehte das Weinglas zwischen meinen Fingern, bevor ich noch einen sip nahm.
"Hau raus", sprach Taehyung mir zu und ließ sich mit dem Rücken auf die Matratze fallen.
"Also, ich hab dir ja von der Beziehung mit Miri erzählt. Dass ich keinen hoch krieg und so"
"Jap"
"Und du hast mir den Tipp gegeben, dass ich mich nur auf ein Körperteil von ihr konzentriere"
"Jap jap"
Keine Ahnung, warum ich das Bedürfnis hatte, das Gespräch von Freitag zusammenzufassen. Irgendwie wollte ich nur sicher gehen, dass Taehyung sich auch auskannte. Mit Promille im Blut ging das erfahrungsgemäß ja eher schwieriger, also ging ich auf Nummer Sicher.
"Ja, also jetzt am Sonntag haben wir miteinander geschlafen und ich hab halt nur ihren Rücken angeschaut, aber...", setzte ich die Erzählung fort, doch stoppte auf einmal. Bro, wie sollte ich bitte erklären, dass ich an Taehyung gedacht hatte, ohne ihm zu sagen, dass ich an ihn gedacht hatte? Das war nämlich der Schlüsselpunkt bei dem ganzen Drama, aber ich konnte doch nicht einfach zugeben, dass ich ihn heiß fand. Das würde doch unser ganzes Verhältnis aus dem Gleichgewicht bringen.
Nur wie sollte ich sonst mein Problem darlegen? Ja, ich konnte sagen, ich hatte an einen anderen dude gedacht...aber das war doch auch feige, so wollte ich nicht sein. Mein Gott, und was, wenn ich ihm einfach sagte, dass er es war, der in meinen Gedanken währenddessen herumgespukt war? Er war grad sowieso dezent drunk, würde schon nicht so komisch werden.
"Also während wir miteinander geschlafen haben, hab ich dauernd an deine Worte gedacht. Konzentrier dich auf ein Körperteil, und so. Ja, und irgendwie sind dann deine Worte mit der Zeit in den Hintergrund gerückt, und ich hatte...ja, ich hatte halt...dich vor Augen. Also ja. Dein Gesicht und so. Nur kurz deinen Körper. Ja, dann hat's halt funktioniert", erläuterte ich abgehackt.
Halleluja, was laberte ich da. Ich hatte Taehyung gebeichtet, dass ich an ihn beim Sex mit meiner Freundin gedacht hatte und es allein deshalb geklappt hatte. Wie absurd, was tat ich hier nur? Der Schlafentzug der letzten Tage hatte anscheinend schon ordentlich viele Gehirnzellen lahm gelegt.
Gespannt wartete ich seine Antwort ab und spielte innerlich schonmal fünfzig mögliche Szenarien durch. Doch wie so oft entzog sich Taehyung aller meiner Erwartungen und droppte Unvorhersehbares.
"Lol"
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catching vibes like dreams || taeguk
FanfictionJeongguk und Taehyung, die beiden leben einfach ihr Leben, machen ihr Ding, kennen sich nicht. Doch bei dieser einen Kunstausstellung spricht Teilzeit Pokémontrainer Taehyung den angehenden Game Designer an und irgendwie verändert das alles. strang...