Bunte Pusteblumen

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"By the way", begann T und legte sich auf den Bauch neben mich, den Kopf stützte er auf den Händen ab, "Ich hab mit meinem Papa die Materialien für die Flugmaschine gekauft. Liegt alles hinten im Stadl"

"Perfekt. Ich hab die Pläne auch alle mit, dann können wir demnächst zum Bauen anfangen"

"Yes. Und ich dachte mir, wir könnten sie dann auf so einem Hügel austesten, der ist nicht weit von hier. Dann rollt einer von uns den Abhang hinunter und unten machen wir eine Rampe oder so und dann zack, geht's in die Lüfte"

"Ich hoffe, wir sterben nicht lol"

"Wird schon gehen. Um den Hügel herum sind eh nur Felder, auf denen landet man nicht so hart"

"Na immerhin", meinte ich schmunzelnd und checkte dann kurz mein Handy für die Uhrzeit, "Gleich ist es zehn. Zwei Stunden noch bis zum neuen Jahr"

"Uh, ich freu mich schon aufs Feuerwerk"

"Yes yes"

"Hey, was hältst du davon, wenn wir uns ein paar Raketen schnappen und uns verpissen?", schlug T aufgeregt vor. 

"Hm, wieso? Wohin willst du denn?"

"Irgendwohin. Will einfach weg"

Ich sah T in seine glitzernden Augen und spürte seinen inneren Antrieb. Ihn überkamen häufiger solche Anfälle, dass er unbedingt raus musste. In Wien hatten wir mehr als nur ein paar Nächte im Freien verbracht und manchmal, wenn er nicht schlafen konnte, bat er mich auch um einen kleinen Nachtspaziergang. Ich mochte diese Spontanität, sie stellte mich immer wieder vor Herausforderungen und warf mich in neue Situationen hinein. Und wie man mich kannte, stellte ich mich gern jeder Challenge. 

Außerdem war ich eher der Typ, der im Zimmer hockte und dort irgendwas machte. T war da unternehmungslustiger und mir gefiel das irgendwie, weil er mich oft aus meiner Comfortzone rausholte. Lustig war nur, dass er mir mal gesagt hatte, dass er es genau anders herum wahrnahm. Er fand, dass ich ihn auf Trab hielt und Energie gab. Tja, war wohl 'ne Symbiose. 

"Alright, Baby. Komm, gehen wir"

 Ich wurschtelte mich aus dem Bett, T tat es mir gleich mit einem glücklichen Lächeln um die Lippen. Die Gelegenheit musste ich natürlich ergreifen und gab seinen lächelnden knuffigen Bäckchen ein Bussi. War halt einfach ein schönes Gefühl, you know?

"Wir sollten uns noch mehr anziehen", fügte ich hinzu. 

"Hast du was Warmes mit? Sonst kannst von mir was haben"

"Passt schon, ich hab eh einen dicken Pullover mit"

Ich kramte in meinem Rucksack nach dem Kleidungsstück, während T seinen Kasten ansteuerte. Mein Pulli war rosa, was eine erstaunliche Ausnahme unter meinen tiefschwarzen Klamotten war. Meine Oma hatte ihn mir gestrickt und ja, er war das wärmste Teil auf Erden, deswegen hatte ich ihn mitgenommen. Und er war ganz cute. 

"Süß", kommentierte T, als er mich in dem rosa Strickpulli sah. 

Er selbst hatte sich einen waldgrünen Wollpullover übergezogen, was wirklich schön zu  seiner Karamellhaut passte. Wenn ich wählen müsste, wäre Grün wohl meine Lieblingsfarbe an ihm. Es passte einfach so gut zu ihm, mit den krausen braunen Locken, der glimmenden honigfarbenen Haut und den warmen Augen. Weiß gefiel mir auch besonders gut an ihm. 

Wir packten uns also dick ein, ich nahm zum Transport meinen Rucksack mit, in den wir einiges hineinwarfen, bli bla blubb, das ganze Aufbruchsprozedere eben. Raketen mopsten wir auch erfolgreich, seine Familie bemerkte uns gar nicht, die hingen alle vor der Glotze und schauten dem Mundl dabei zu, wie er seinem Nachbarn Raketen in die Wohnung schoss. Das würde uns hier sicher nicht passieren am Land. 

Ja, und dann stapften wir auch schon draußen durch die Kälte. Handschuhe, Schals, Hauben, das volle Programm hatten wir aufgezogen. T sah auch wirklich knuddelig aus in den Wintersachen, das breitbackige Gesicht bis zur Nase in den umgeschlungenen Schal gekuschelt. Ich nahm seine behandschuhte Hand und ging mit ihm durch die Finsternis. Straßenlaternen waren nur im Dorf ein Ding, draußen auf den Feldwegen, wo wir mittlerweile herumlatschten gab's die nicht mehr. 

Von Wien war ich das gar nicht gewohnt, diese vollkommene Dunkelheit. Okay, so vollkommen war sie auch hier nicht, der Mond zeigte sich in dieser Nacht und reflektierte genügend Sonnenlicht auf die Erde, dass der Weg halbwegs erkennbar war. But still, in Wien hatte ich alle zehn Meter eine Laterne, Lichter aus Wohnungen und Geschäften leuchteten auf die Straße und manche Reklame war 24/7 erhellt. Licht war immer präsent, ich konnte ihm gar nicht entkommen. Aber hier hing nur der beleuchtete Mond am dunklen Himmel, sonst lag alles in stiller Schwärze. Es war irgendwie erfrischend, auf eine ruhige Art. 

Was außerdem schön war, waren die ganzen Sterne am Himmel. Die viel geringere Lichtverschmutzung ermöglichte es dem Sternenlicht, sich deutlich zu zeigen und der schwarze Himmel schien wie mit Salzkörnern bestreut. Ich schaute viel mehr hinauf in den Kosmos, als auf den Weg vor meinen Füßen zu schauen. Wo da draußen wohl Schwarze Löcher sein mochten? Oder Neutronensterne? Ach, ich bekam gleich wieder Lust, mir ein Buch der Astrophysik auszuleihen. 

Zu besagtem Hügel gingen wir nicht lang, der Weg fühlte sich kurz an. Meine dicken Schuhe gaben den dezenten Überresten des Schnees keine Chance, meine Füße nass zu machen. T hatte sich auch kräftige Winterstiefel angezogen, die jeder Feuchtigkeit trotzten. Wir kamen also nach einem kurzweiligen Aufstieg wohlbehütet oben am Hügel an. Gras wuchs dicht und strich uns um die Beine. Paar kahle Bäume gab's auf dem einen Hang, sonst herrschte die Wiese. Und um uns herum war nichts außer dem Mosaik aus Äckern zu unseren Füßen und dem hell bestickten Sternentuch über uns. In der Ferne konnte man die Lichter vom Dorf erkennen, in noch weiterer Ferne die Lichter Wiens. Wow, über Wien hing gerade eine Wolke und das Licht der Stadt wurde an ihr reflektiert. So weit rauf reichten die Strahlen, kein Wunder, dass man dort nur selten Sterne sehen konnte. 

"Schön, nicht wahr?", meinte T, der meine sehnsüchtigen Blicke gen Himmel bemerkt hatte. 

"Ja. Wie viele Sterne man hier sieht, so schön"

Ich ließ meine Augen weiterhin in die Tiefen unserer Galaxie tauchen, während T an meinem Rucksack herumfingerte und eine Picknickdecke herauszog. Vorausdenkend wie wir waren, hatten wir an vieles gedacht. Ich wollte nicht sagen an alles, weil im Endeffekt hatte ich bis jetzt immer festgestellt, dass ich doch irgendwas vergessen hatte. Bis jetzt sah's aber gut aus. 

T hatte die Decke erfolgreich ausgebreitet und sich drauf gelegt. War ja gar nicht so einfach, das hohe Gras war nicht zu unterschätzen. Er stupste mich an der Wade mit der Spitze seines Stiefels an, was ich so interpretierte, dass er mich neben sich haben wollte. Nachthimmel bewundern konnte ich im Liegen genauso, also jointe ich ihm auf die Picknickdecke. Obviously nah bei ihm, wir wollten hier ja Wärme und Zuneigung teilen. 

"Schau, da schießt schon wer", machte T mich aufmerksam und zeigte in Richtung des Dorfes. Ich passte meine Blickrichtung entsprechend an und tatsächlich, da explodierten schon die ersten bunten Feuerkörper. 

"Die schauen ur klein aus von der Ferne. Süß", meinte ich. 

"Wie Pusteblumen"

"Stimmt", lächelte ich. 

Bunte Pusteblumen. Oh, was für interessante Gedanken T nur hatte. Würd echt gern mal in sein Köpfchen hineinschauen. 



catching vibes like dreams || taegukWo Geschichten leben. Entdecke jetzt