-34-

1.7K 143 65
                                    

Mein linker Fuß ist eingeschlafen, dennoch bewege ich mich nicht von der Stelle.
Vor mir erstreckt sich unser verschneiter Vorgarten. Jonny hat vor einer Stunde die Einfahrt geräumt, doch schon jetzt ziert erneut eine dünne Schicht Schnee die Steine.

Heute ist der große Tag: Emil wird jede Minute vorfahren und an unsere Tür klopfen.
Ich bin nervös, ich habe Angst, ich freue mich. Alles auf einmal und noch viel mehr.
Ich fühle mich bestärkt, da meine Familie beinahe so tut, als ob es den gestrigen Abend gar nicht gegeben hat - vor allem tut mein Vater so; er hat seitdem kein Wort mehr mit mir geredet.

Das Gefühl der Reue überwiegt jedoch.
Eigentlich habe ich Emil doch nur eingeladen, weil ich sauer auf Bradyn war. Ich habe Emil nicht um seinetwillen eingeladen, sondern wegen der Dinge, für die er steht.
Ich will es wirklich versuchen, dass mit uns hinzubekommen und ihn endlich frage, was das zwischen uns ist.
Wenn ich ihn offiziell meinen Freund nennen kann, werde ich wahrscheinlich nicht mehr in die Verlegenheit kommen, mir ein Hotelbett mit einem anderen zu teilen.

Doch gerade dieser andere geht mir nicht aus dem Kopf und je näher Emils Ankunft rückt, desto präsenter werden Bradyns Augen, seine Berührungen und sein Geruch in meinen Erinnerungen.
Ich erblickt ein Taxi. Das kann nur er sein!
Nervös fahre ich durch meine Haare und setze mich in Bewegung.

Beim Öffnen der Tür schlägt mir Bradyns minziges Aftershave entgegen mit dem Hauch von Eukalyptus.
Als Emil seine Arme um mich schlingt, sind es nicht seine, sondern Bradnys, der mich mit seinen starken Armen an seine breite Brust presst und seine Nase in meinem braunen Haar vergräbt.
"Wie schön dich wiederzusehen", kitzelt mich Emils helle Stimme am Ohr.

Ich drücke ihn kurz enger an mich, mit der Absicht Bradyn zu vertreiben, und löse mich dann von Emils Körper.
Es sind nicht seine Lippen, die über meine streifen und es ist auch nicht seine Zunge, die in meinen Mund taucht. Es sind seine Lippen und es ist seine Zunge, die nach süßem Karamell schmeckt - Bradyns.
Ich schiebe Emil von mir weg und suche nach etwas in seinen blauen Augen, an dem ich mich festhalten kann.

"Wollen wir reingehen?"
"Ja! Ich kann es gar nicht erwarten, deine Eltern kennenzulernen."
Mit einer sehr unmännlichen Geste klatscht er in die Hände und rennt auf das Haus zu.
Ja. Er rennt. Mit seinen langen, schlanken Beinen erklimmt er die Veranda in Windeseile und wirft nicht einen Blick zurück zu mir.
Verstohlen schiele ich zu den erleuchteten Fenstern und hoffe inständig, dass das niemand gesehen hat.

Ich fühle mich wie auf dem Präsentierteller und bewege mich auch Richtung Haus.
Wenn man bedenkt, dass meine Familie erst seit gestern von Emil weiß, werden sie sicherlich überfordert mit der Idee sein, einen femininen Mann zu beherbergen.
Emil würde zwar nie Nagellack tragen - so wie ich - aber er verhält sich sonst einfach sehr weiblich.

Er riecht süßlich, er springt immer auf und ab, wenn er sich freut und er hat eine Schwäche für Nicholas Sparks Filme.
Seine Stimme ist hoch und er gestikuliert zu viel mit den Händen.
Mein Herz rast, als ich die Haustür erreiche und sehe, dass Emil schon ins Wohnzimmer gestürzt ist.

"Ich freue mich ja so! Hi Mrs. Roger! Nein! Was ist das denn für eine süße Schürze, die Sie da haben?!"
Und Emil redet viel zu viel und viel zu schnell, wenn er aufgeregt ist.
Ich eile ins Wohnzimmer und lege meine Hand auf seine Schulter, um ihn zu beruhigen. Es klappt nicht, er redet weiter über das niedliche Muster aus Rentieren.
Also drücke ich sein Fleisch zwischen meinen Fingern zusammen und bringe ihn somit zum Schweigen.

"Er hat sich ja wohl schon vorgestellt, was?", frage ich unschuldig und versucht im Gesicht meiner Mutter zu lesen, was sie von ihm hält.
Sie blinzelt zu mir herüber und mustert dann Emil ausgiebig von oben bis unten.
"Ich habe übrigens meinen berühmten Lebkuchen mitgebracht! Hat Mica davon schon berichtet?"

"Nein. Hat er nicht", antwortet meine Mutter schlicht.
"Oh."
Ich will gerade eingreifen, da kommt Jonny die Treppe herunter und steuert geradewegs auf Emil zu.
Ich presse die Augen zusammen und fluche innerlich.

"Emily! Ich meine natürlich Emil! Hallo, freut mich, dich endlich mal in echt zu sehen."
Jonnys schmieriges Grinsen verdirbt die gesamte Stimmung im Raum.
Emil reicht ihm zögerlich die Hand und sieht mich fragend an. Er wirkt fast wie eine verschreckte Katze.
"Ich freue mich auch. Einer der Brüder, richtig?"

"Der Älteste."
Bei diesen Worten streckt Jonny die Brust heraus. Fast so, als wäre das ein Titel, auf den man stolz sein konnte!
Ich verdrehe die Augen und versuche Emil von Jonny wegzuziehen, aber er schüttelt mich ab.
"Du musst wissen, dein Bruder erzählt mir nicht gerade viel über euch."

Ich zucke zusammen. Warum würde Emil sowas sagen?
"Also so würde ich das jetzt aber nicht sa-"
"Oh, dass kann ich mir schon vorstellen. Unser Mica ist ein kleiner -"

"Ich werde Emil jetzt sein Zimmer zeigen", unterbreche ich den Hohlkopf, der sich als mein Bruder bezeichnet.
"Du meinst, dein Zimmer", gibt er dumpf zurück.
"Ja", knurre ich mit zusammengepressten Zähnen.

Ich packe Emil am Handgelenk und zerre ihn beinahe die Treppe in den ersten Stock hoch.
Er kommt bei meinem Tempo und seinem schweren Gepäck kaum mit, aber das ist mir egal.
"Das ist also dein altes Kinderzimmer. Nett", sagt er im Singsang-Ton, als er über meine Türschwelle getreten ist.
Er lässt seinen Blick nur einmal schnell über meine Wände mit den verbliebenen Postern schweifen und schenkt meinem alten Bücherregal gar keine Beachtung.

Schade. Irgendwie habe ich gehofft, wir könnten uns über die Helden unserer Kindheit unterhalten, um uns die Zeit zu vertreiben.
Aber stattdessen lässt sich Emil auf mein Bett fallen und testet die Matratze.
"Gemütlich", sagt er mit einem Leuchten in den Augen, dass mir unmissverständlich mitteilt, was er denkt.
Oh nein! Das kann er sowas von vergessen! Wir werden hier keinen Sex haben!
Nicht im Haus meiner Eltern und nicht in dem Bett, indem auch Bradyn einst geschlafen hat.

"Du bist so still. Ist irgendwas?"
"Nein. Ich bin nur ... Es ist nichts."
"Na gut. Dann lass uns jetzt wieder nach unten gehen! Ich will den Rest deiner Familie sehen!"
Mit diesen Worten ist er auch schon wieder an mir vorbei gestürmt.
Leider ließ er seine Energie nicht nur im Bett, er lebte sie tagtäglich aus.

Sein schrilles Lachen erfüllt das Haus.
Kann er sich um Gotteswillen ein bisschen zurücknehmen? Immerhin ist er hier nicht Zuhause.
Ich atme tief durch, bevor ich die Treppe nach unten gehe.

______________________
Song: Sun - Sleeping at Last

Moin Freunde!
Der zweite Tag im Neuen Jahr ist um.
Ich habe eben gehört, dass wir rein theoretisch in drei Monaten 60% der Bevölkerung hätten geimpft haben können! Das heißt, dann WÄREN wir rausgewesen.

Aber aufgrund des Versagens unserer Regierung, was das fucking Bestellen der Impfdosen angeht, wird das leider nichts.
DAS WÄRE MEINE SCHEIß GEBURTSTAG GEWESEN! ICH HÄTTE IHN FEIERN KÖNNEN!
Junge regt mich das auf.

Ich weiß, ich klinge jetzt vielleicht wie eine verzogene Göre, aber ich werde 21 und das ist schon immer ein Alter gewesen, das ich groß feiern wollte. (Ich lebte lange Zeit in der Illusion auf dem Coachella Festival zu feiern.)

Naja... toll. Danke für nichts.
Wann glaubt ihr, werden wir wieder halbwegs normal leben können?

With Love,
Lisa xoxo

Ach und P. S. Ich möchte nur kurz anmerken, dass die genannten "Typischen Merkmale, die Emil weiblich machen", rein auf dem Klichéedenken von Mica beruhen!


magical boy✨[boyxboy] ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt