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Der harte Plastikstuhl unter mir verursacht langsam aber sicher Schmerzen in meinem Hintern und Rücken. Unruhig rutsche ich hin und her und stoße mit Bradyns Schulter zusammen.
Der Ältere blickt kaum merklich zu mir herüber.
In unmittelbarer Nähe ist die Hochzeitszeremonie in vollem Gange; die Trauzeugen und das Blumenmädchen haben ihren großen Auftritt.

Bradyn und ich sind zu spät gekommen.
Nicht sonderlich spät. Doch als wir auf dem Gelände - das sich schlicht und ergreifend zu einer Wiese und einer kleinen Scheune zusammenfassen lässt - ankamen, saßen bereits alle auf ihren zugewiesenen Plätzen.
Aber was konnten wir dafür, dass unser Fahrer an der kleinen Einfahrt, die einem unbefahrbaren Feldweg gleicht, dreimal vorbeigefahren ist.

Ich habe auf dem Rücksitz einen halben Nervenzusammenbruch erlitten, während Bradyn verzweifelt versucht hat, dem alten Mann am Steuer die Wegbeschreibung einzutrichtern.
Hat uns irgendjemand gelobt, dass wir es dennoch vor der Trauung hier hergeschafft haben?
Nein. Natürlich nicht.
Man hat uns lediglich mit Blicken gestraft.

Einige der Anwesenden haben regelrecht geschockt gewirkt, mich und Bradyn am Ende der Kuhwiese zu erblicken.
Wir haben uns in die letzte Reihe gesetzt. Zwei Plätze am Rand sind noch frei gewesen.
Und mussten bis jetzt doch erstaunlich lange darauf warten, dass es losgeht.

Am liebsten würde ich mich Bradyn zu drehen und sagen: Nicht, dass Ben es sich jetzt auch noch anders überlegt hat.
Aber das verkneife ich mir. Wenn ich so nervös bin wie heute, neige ich ab und an dazu, sehr garstig zu sein.
Ich rutsche weiter auf meinem Stuhl herum und lehne mich gegen die unbequeme Lehne aus weißem Plastik.

Romantiker, die auf Kitsch stehen, würden diese Lokation wahrscheinlich als einen Traum bezeichnen.
Die Kuhwiese ist in weiter Ferne von Bäumen umsäumt. Unter freiem Himmel stehen neun Stuhlreihen in zwei Blöcken.
In jeder Reihe von einem Block stehen acht Stühle. Ich habe die letzten Minuten damit verbracht, sie zweimal zu zählen.

Der Gang, den die Stuhlreihen bilden, endet vor einer ziemlich billig zusammengebauten Überdachung.
Weiße Tücher flattern im Wind und Rosen sind im unregelmäßigen Abstand an die Pfosten des Gestells gebunden.
Unter dem kleinen Holzdach steht der Pfarrer und bekommt alle paar Sekunden das Ende eines der weißen Seidentücher ins Gesicht.

Bei diesem Anblick musste ich nur einmal lachen. Ganz am Anfang. Doch augenblicklich drehte sich die Frau vor mir um und durchbohrte mich mit einem Blick aus kaltem Stahl.
Ich glaube, es handelt sich um Lauras Großtante, auf deren Hinterkopf ich schauen darf.
Bradyn neben mir hat die Hände im Schoß gefaltet und wirkt so, als würde er das hier jeden Tag machen.

Seine großen Füße in den Lackschuhen stehen mit großem Abstand zueinander auf dem Gras.
Sein Blick ist geradeaus gerichtet, auf einen unbestimmten Punkt.
Ich möchte seine Hand greifen, aber irgendwie hätte das etwas Steifes.
Die Stimmung zwischen uns hat sich seit unserer Ankunft verändert. Wir sind auf Abstand gegangen. Einfach weil wir uns beide im Stillen geeinigt haben, dass jegliche Liebesbekundung zwischen uns auf dieser Veranstaltung als Provokation gelten würde.

Meine Familie sitzt vorne in der ersten Reihe. Sie haben bemerkt, als wir eingetroffen sind. Jeder hat es gemerkt.
Meine Mutter ist die einzige Person, die den Blickkontakt ein wenig länger aufrechterhalten hat. Sie hat vielleicht sogar ein bisschen gelächelt. Wahrscheinlich habe ich mir das aber eingebildet.

Jonny und ein langjähriger Freund von Ben stehen vorne als Trauzeugen.
Mila sitzt neben meiner Mutter. Ihre XXL-Sonnenbrille hat er mir unmöglich gemacht, ihre Emotionen zu lesen.
Und mein Vater hat sich erst gar nicht umgedreht.
In der ersten Reihe - da wo eigentlich Platz für mich und Bradyn sein sollte - ist kein Platz mehr frei gewesen.

Ich blicke in den blauen Himmel, an dessen Horizont sich weiße Wolkenberge türmen und ziehe die klare Luft durch meine Nase ein.
Mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich mir klarer darüber, dass das hier die unmissverständliche Antwort ist, die ich bekommen musste.

Ich bin nicht mehr willkommen. Durch meine Taten habe ich mit diesen Menschen hier, die mich sowieso noch nie wirklich verstanden haben, gebrochen.
Die Realität springt mich nah zu an und ich kann die Augen vor dieser Tatsache nicht mehr verschließen oder die Situation durch eine rosarote Brille betrachten.

Ich versuche immer wieder einen Blick auf meine Mutter zu erhaschen. Sie trägt einen hellgelben Hosenanzug und sieht so fremd aus.
Ich überlege, wann ich sie das letzte Mal ohne eine Backschürze gesehen habe - abgesehen vom Weihnachtstag.
Ich kann mich nicht erinnern.

Bradyn streckt sein Kreuz durch, als aus Lautsprechern eine klassische Musik erklingt.
Ich drehe mich um und entdecke Ben hinter uns.
Mit sicheren Schritten läuft er auf den kleinen Pavillon zu. Unsere Blicke begegnen sich für eine Sekunde und eine undeutbare Emotion huscht über seine angespannten Züge.

Mein kleiner Bruder richtet seine Augen wieder nach vorne und nickt einem älteren Mann mit silbernen Haaren ein paar Reihen vor uns zu.
Es ist surreal Ben, den kleinen Benny, zum Altar schreiten zu sehen.
Aber es ist das Richtige für ihn. Er hat schon immer das perfekte Leben geführt. Diese Hochzeit symbolisiert lediglich die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.

Er beleibt vorne zwischen den wehenden Tüchern stehen, dreht sich der Menge zu und schenkt ihr ein Lächeln.
Ich schließe mich und Bradyn von dieser Menge aus. Wir gehören nicht dazu. Das habe ich jetzt verstanden.
Die Musik stoppt. Ein anderer Titel erklingt.

Ich weiß, dass Laura hinter uns auftaucht, aber ich drehe mich nicht mehr um.
Meine Augen sind jetzt, wie die von meiner Begleitung, starr geradeaus gerichtet, auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne. In der Hoffnung nicht allzu sehr verletzt zu werden.
Laura umklammert auf dem Weg durch die Reihen zu ihrem Verlobten den Arm ihres Vaters.

Ich kann mich nicht erinnern, diesen Mann je kennengelernt zu haben.
Er trägt einen grauen Anzug, der in der Sonne schimmert. Sein dunkelblondes Haar hat er erhaben zurückgekämmt.
Und Lauras Kleid ... ist wie man es sich eben vorstellt.
Weit ausladend, buschig und prinzessinnenhaft. In ihren Haaren stecken kleine Blumen und der durchsichtige Schleier weht anmutig im Wind.

Beinahe seufze ich auf.
Aber aus Angst vor der älteren Dame vor mir, halte ich schnell die Luft an.
Die ersten Gäste zücken ihre Taschentücher und tupfen sich über die Augen. Ich schaue derweilen zu den weißen Wolken.

Lauras Vater übergibt die Braut an den Bräutigam und von diesem Moment an, klinke ich mich mental aus.
Ich bekomme das Ehegelübde nur am Rand mit, erschrecke mich bei den Ausrufen einiger der Anwesenden oder bei dem Gelächter, das durch die Reihen schwappt.

Meine Augen sind geradeaus gerichtet, auf diesen unbestimmten Punkt und kurz bevor wir uns von diesen schrecklichen Stühlen erheben und dem sich küssenden Paar zujubeln, greife ich nach Bradyns Hand und drücke sie.

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Song: Lovisa - Felix Sandman

Und wir haben doch eine Hochzeit in unserer Geschichte, wer glaubt denn sowas...

Ich muss euch sagen, ich persönlich *hasse* Hochzeiten xD Aber hey, wer's mag: Jedem das seine. Ich habe auch einfach was gegen das Heiraten an sich ... 

Wie steht ihr zu dem Thema? (Ich weiß, einige von euch sind noch recht jung & werden sich mit diesem Thema wahrscheinlich noch nicht "ernsthaft" auseinandergesetzt haben)

Apropos Veranstaltungen: Sind die Niederländer nicht toll?

Wie sie einfach Konzerte zu Forschungszwecken veranstalten?! Ich melde mich gerne als Proband!!!

See u later alligator,

All my Love, Lisa xoxo

magical boy✨[boyxboy] ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt