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P.O.V. Mica

Die Nächte werden zu einer Qual. Die Tage im Büro zu einer regelrechten Zeitverschwendung.
Alles in meinem Tag und der Nacht steht zwischen Bradyn und mir.
Wir sehen uns zu selten.

Meine Arbeit nimmt zu viele Stunden des Tages ein und Bradyns gebuchtes Hotelzimmer, in das ich ihn verbannt habe, ist mir zu einem Dohr im Augen geworden.
Ich brauche ihn hier bei mir.
Und dann ist da noch ...

"Hey! Hörst du mir überhaupt zu?"
Amanda.
"Ja. Entschuldige."
Bekümmert schüttele ich den Kopf. Ich will die gemeinsame Zeit mit meiner Freundin nicht als Zeitverschwendung ansehen.

"Du warst bei dem süßen Typen und der Stehlampe", greife ihre letzten Worte wieder auf.
"Genau. Also, er hat mir zu wenig Wechselgeld gegeben -"
"Warte. Wie kann er dir Wechselgeld geben? Ist das nicht dein Job?"
"Blödmann. Ich habe dir doch gesagt, dass ich mir einen fünfzig Dollarschein von ihm habe kleinmachen lassen", seufzt Amanda und lehnt sich an die massive Kommode hinter ihr.

Wir sitzen auf dem Boden des Antiquitätengeschäfts ihrer Großeltern.
Normalerweise liebe ich es, hier mit ihr rumzuhängen, wenn der Laden geschlossen ist und wir völlig ungestört zwischen den alten Schätzen herumstreunen können.
Doch heute ... Heute denke ich ständig an Bradyn und dass ich die Zeit jetzt auch mit ihm verbringen könnte. Vielleicht sogar in meinem Bett.

Unsere gemeinsame Zeit in New York war die einzige gewesen, in der wir uns ein Bett geteilt haben.
Abgesehen von den Monaten, in denen Bradyn ohne mein Wissen in meinem alten Bett bei meinen Eltern geschlafen hat.
Und ich vermisse ihn. Seinen Körper, seine nackte Haut auf meiner.
Verzweifelt kneife ich die Augen zusammen und versuche mich dann auf Amanda und ihre neue gefundene Liebe zu konzentrieren.

Ich mag den Typen jetzt schon, denn er inspiriert sie. Und wenn sie inspiriert ist, gehört das ganze Wochenende mir und Bradyn und vielleicht auch die ganze nächste Woche.
"Es ist wie in meinem Gedicht Strumsünde! Ich bin in seinen Augen versunken und habe gar nicht bemerkt, dass er mir zu wenig Geld zurückgegeben hat. Hätte er seinen Fehlern nicht bemerkt, hätte Grandpa mir zur Strafe wieder aufgetragen Staub zu wischen."

Ihre braunen Augen werden ganz groß und rund.
"Mein Held", seufzt sie und lehnt den Kopf an das lackierte Holz.
Ich strecke die Hand nach ihr aus und sie ergreift sie.
"Dein Romeo hat dir aber ganz schön den Verstand verdreht", lache ich.

"Hey, nettes Wortspiel", grinst sie mich an.
Stolz lege ich den Kopf zur Seite.
"Aber es gibt Punktabzug, dafür, dass du ihn mit Romeo gleichgesetzt hast", wendet sie ein. "Romeo ist eine völlig veraltete Figur, die irrationale Entscheidungen trifft. Liebe hin oder her - er ist kein Symbol für den Traumprinzen, sondern für pure Dummheit!"

Jetzt bin ich derjenige, der den Kopf zurücklehnt - vor Lachen.
Dabei stoße ich mich beinahe an einem überdimensionalen Gemälde, dass eine Blumenwiese mit einigen adligen Damen unter einem Baum zeigt.
Die Szene ist mit hellen Ölfarben eingefangen worden und beißt sich ganz hervorragend mit Amandas quietsch-grünem Crop-Top und den dunkelblauen Plateauschuhen, die sie dazu trägt.

"Wie geht es jetzt mit euch weiter?", frage ich, nachdem ich mich wieder beruhigt habe und wir unsere Hände von einander gelöst haben.
"Wir werden nächsten Donnerstag vielleicht was essen gehen."
"Vielleicht?"
"Ja. Wenn er nicht spontan Arbeiten muss. Er ist Mechaniker, habe ich das schon erwähnt?"

Ich verdrehe die Augen und fahre mit durch die Haare.
"Ja, ungefähr schon drei Mal."
"Und was ist mit dir?"
Amanda rutscht näher zu mir und ihre Dreadlocks fallen über ihre linke Schulter.

Ich bleibe stumm. Nichts zu sagen ist weniger verräterisch, als dieser Poetin gegenüber den Mund zu öffnen.
"Jetzt spucks schon aus mein stummer Fisch", säuselt sie. "Ich sehe doch, wie dein Blick abdriftet und außerdem hast du dieses verräterische Dauerlächeln im Gesicht, selbst, wenn es gar nichts zu belächeln gibt, wie jetzt zum Beispiel! Es sein denn, du möchtest diese Samuel Johnson Statue mit nach Hause nehmen und mit ihr deinen Spaß haben."

Grinsend deutet das Mädchen auf die kreideweiße Skulptur.
Mit einer tiefen Falte auf der Stirn betrachte ich den Mann mit der Halbglatze, der mit schräggegenüber steht.
"Nein, danke", sage ich knapp, beinahe etwas schockiert.
Amanda prustet los und kann sich gar nicht wieder einkriegen.

Auch ich muss mitlachen. Bei ihrer schrillen Stimme und den Geräuschen, die sie beim Luftholen macht, kann ich nicht anders.
"Weiß du, da ist vielleicht schon jemand", bemerkte ich, nachdem wir uns wieder beruhig und beinahe das Gemälde hinter mir umgerissen haben.
"Nein!"
Ihre Augen werden noch größer.

"Wie heißt er? Wie alt ist er? Ist er gebildet? Mag er vielleicht Gedichte und Origami? Ich will alles wissen, Mica Roger."
Sie zieht ihre Beine an und umschlingt sie mit ihren langen Armen.
Verlegen rekele ich mich, atme tief aus und starre dann an die Decke.
"Na ja ... er ... wir kennen uns schon eine Weile, wir kommen beide aus derselben Stadt."

"Aus diesem kleinen Kaff? Dann seid ihr ja zusammen aufgewachsen", unterbricht sie mich.
Ich nicke.
"Er ist gerade hier."
"Name, Alter, womit verdient er sein Brot."

Dieses Mal schaffe ich es, mein Augenrollen zu unterdrücken.
"Bradyn, 25, er arbeitet in einer kleinen Manufaktur in Schenectady im Geschäftszweig."
Eigentlich weiß ich gar nicht, ob das noch stimmt. Bradyn und ich haben noch gar nicht darüber geredet.
Wir haben auch noch nicht darüber geredet, wie es weitergehen soll, wenn er die Hochzeit platzen lässt.

Wird er hierher ziehen? Werden wir zusammen wohnen oder will er in Schenectady bleiben?
Eigentlich war er einer der Jugendlichen gewesen, die immer groß rumgetönt haben, für immer in der Stadt zu bleiben.
Kann er sich den Umzug leisten? Wird er hier einen Job finden?
Plötzlich rumort es in meinem Bauch.

Bradyn ist jetzt seit vier Tagen hier und wir haben noch immer keines der unangenehmen Themen angesprochen.
Wir umschippern sie, wie gefährliche Strudel in einer dunklen Nacht auf See.
Ich fahre erneut durch meine Wellen, die mir ständig in die Stirn fallen.

"Oh je. Er macht dir Sorgen", stellt Amanda fest und streicht sich nachdenklich über die dunkle Haut ihrer Arme.
"Du musst ihn mir bei Zeiten mal vorstellen. Schläft er bei dir?"
Erschrocken sehe ich sie an.
"Nein! Er hat ein Hotelzimmer. Er ist auf der Durchreise."

Das letzte Wort muss ich herauspressen.
Nein, Bradyn ist nicht auf der Durchreise. Das stimmt nicht.
Ich muss mich beherrschen und die Tränen zurück in mein Innerstes zwingen.
"Eigentlich überlegen wir gerade, ob er vielleicht bei mir bleibt", gestehe ich und senke den Kopf.

"Micaaaa! Und das sagst du mir erst jetzt? Wie kannst du nur", schmollt sie.
Ich zucke mit den Schultern.
"Aber ich glaube, ich muss dafür noch viel mehr klarstellen."
Wie aus einem Schlaf erwacht, erhebe ich mich und greife nach meinen Schlüsseln auf dem Tresen.

"Bist du mir sehr böse, wenn ich jetzt schon wieder abhaue?"
Amanda sitzt verwirrt auf dem Boden und schüttelt den Kopf.
"Ich werde dich anrufen! Und wenn dein Mechaniker-Romeo hier wieder aufkreuzt, fall nicht gleich in Ohnmacht", necke ich sie und nehme sie kurz in den Arm.

"Vorsicht. Abhauen ist das eine, aber dann noch über ihn herziehen ..."
"Tut mir leid. Aber ich muss etwas erledigen."
Mit diesen Worten stürme ich aus dem Laden, vorbei am Schaufenster mit den bunten Origami-Kunstwerken von Amanda, ohne mich noch einmal umzudrehen.

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Song: Bags - Clairo (a Song that's just perfect.)

Erstmal: Ich freue mich riesig über eure Reaktion zu den Schneeengel-Bilder!!! Eins habe ich sogar schon erhalten ;)

Jetzt muss es nur noch ordentlich schneien! (Bei mir fängt es jetzt (16.00 Uhr) erst richtig an..

Wie gesagt, ich bin total begeistert und wünschte, ich könnte jeden einzelnen von euch in den Arm nehmen! Mein Grinsen hätten ihr sehen sollen! AHHH LOVE YOU ALL SOSOSOSOSOOOO MUCH!

All my snowy Love,

Lisa xoxo

magical boy✨[boyxboy] ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt