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Zerschlagen quäle ich mich zurück zum Mittagstisch und nehme wieder neben Marie Platz.
Sie verwickelt mich in ein neues Gespräch und nach einer Weile ist es mir möglich, mich voll und ganz auf ihr faltiges Gesicht zu konzentrieren.
Bradyn am anderen Ende des Tisches und seine perfekte Freundin ziehen meine Blicke nicht mehr auf sich.

Ich kneife die Haut zwischen Damen zu Zeigefinger, um nicht schwach zu werden und die beiden gegen meinen Willen zu beobachten.
Den Nachtisch rühre ich nicht an. Der süße Duft der Karamellsauce lässt mich eher würgen, als das mir das Wasser im Mund zusammenläuft.
Aber auch nur aus dem einfachen Grund, weil Bradyn und ich uns einen ähnlichen Nachtisch in New York geteilt haben.

In New York ... wo ich noch nichts von Tiffanys Existenz und Bradys unzähligen Lügen wusste.
Ich rümpfe die Nase und schenke Marie und dem älteren Herren neben ihr ein interessiertes Lächeln. Wir unterhalten uns gerade über eine Werkstatt im Stadtkern. Ich habe keine Ahnung warum.

Der Tisch leert sich mit der Zeit, die immer schneller voranzuschreiten scheint.
Als den Letzten schon der Nachmittagskaffee eingeschenkt wird, wage ich meinen ersten Blick über die verbliebenen Gäste.
Bradyn und seine Freundin - Verlobte, verbessere ich mich in Gedanken und presse meine Zähne hasserfüllt zusammen - sind nicht mehr anwesend.

Eine Last fällt von meinen Schultern und ich kann meine Beine unter der weißen Tischdecke entspannen.
Doch gleichzeitig klingt der dumpfe Schmerz in meinem Herzen nach, jetzt, da Bradyn wieder weit weg von mir ist.
Ich zweifle an meiner Zurechnungsfähigkeit und verabschiede mich langsam, aber bestimmt, von Marie.

In der Küche treffe ich auf Mila und meinen Dad. Die Frau von meinem älteren Bruder hat ihre braunen Haare zu einem Dutt zusammengefasst. Ohne das ich es wollte, erinnert mich diese Frisur an Bradyn und seine blondgefärbten Spitzen, die er sich so manchmal aus dem Gesicht hält.
Ich kneife die Augen zusammen. Ich brauche Hilfe.

Mein Dad klopft mir versöhnlich auf die Schulter. Eine Geste, die ich nicht erwidern kann.
"Deine Mutter stopft uns zu sehr voll. Ich kann mich kaum noch bücken", lacht Mila und beugt sich zum Mülleimer herunter.
Ich muss kichern.
"Weihnachten kann sie sich eben nicht stoppen. Sie dir meinen alten Herren hier an; er leidet von uns allen immer noch am meisten unter ihrer Küche."
Mit diesen Worten klopfe ich auf Dads dicken Bauch.

Wir brechen in Gelächter aus, bis mir Tränen in die Augen steigen und ich mich daran erinnern muss, dass ich lache und nicht weinen will. Schon gar nicht vor meiner Familie.
"Ist das eigentlich Bens Hemd?", fragt mein Vater mit belegter Stimme, nachdem wir uns wieder beruhig haben.
"Ja. Ähm ... Ich hatte sonst nichts Passendes mehr", druckse ich verlegen und fahre durch meine Haare.

"Schade. Ich habe deine ausgefallenen Kleidungsstücke nämlich sofort vermisst", schaltet sich Mila ein.
Ich versuche ihr ein ehrliches Lächeln zuzuwerfen.
Meint sie das ernst? Es würde mich wirklich freuen, wenn wenigstens einer in diesem Haus meinen Geschmack gut findet.

Warum suche ich schon wieder nach Bestätigung?
Ich spüre, wie ich meine Stirn in Falten lege.
"Also ich finde dieses schliche Hemd steht dir ausgezeichnet, Sohn. Besser als diese unruhigen Muster und zerrissenen Sachen", brummt mein Dad und macht sich mit einer Kaffeetasse auf den Weg Richtung Wohnzimmer.

Mila und ich blieben zurück.
Eine einvernehmliche Stille hüllt uns ein, während wir das Geschirr spülen, bis sie mich ansieht und sagt: "Hör nicht auf ihn, Mica. Du siehst ganz toll aus in deinen Sachen. Dein Dad hat keine Ahnung."

"Das habe ich gehört!", ertönt eine gereizte Stimme aus dem Flur.
"Das solltest du auch!"
Mila zuckt mit den Schultern und nimmt mir den nächsten Teller ab.

"D-Danke."
Hätte ich keinen Schaum an meinen Händen, würde ich jetzt nach meinen Haaren greifen.
Zum Glück läuft im Hintergrund leise das Radio, sodass ich meinen Kopf mit den Lyrics der verschiedenen Weihnachtslieder und Oldies füllen kann.

Ich konzentriere mich auf jede einzelne Silbe und bewege meine Hände im Takt, nur um mit meinen Gedanken nicht zu unerwünschten Themen abzudriften.
Jonny kommt kurzzeitig zu uns, aber nur um Mila einen innigen Kuss auf die Lippen zupressen - nicht etwa, um uns zu helfen.
Er steckt ihr buchstäblich die Zunge in den Hals und ich untermale ihren erstickten Laute mit Würgegeräuschen.

Jonny boxt mich mit einer schnellen Bewegung gegen den Arm.
Seine Kraft haut mich beinahe um.
"Na dich will ich sehen, wenn du mit Emily rummachst. Du wirst dich wahrscheinlich gar nicht im Sitz halten können", lacht er auf, ein primitives Glitzern in den Augen.

In mir zieht sich alles zusammen.
"Jo, lass die Scheiße", weist ihn seine Frau zurecht.
"Aber ich habe doch recht."
Manchmal möchte ich meinem Bruder wirklich die Fresse polieren, aber ich weiß, dass ich keine realistische Chance gegen seine Muskeln habe.

"Wie ist sie eigentlich so? Ich hatte noch gar keine Gelegenheit dich in die Mangel zu nehmen."
"Ehrlich gesagt, möchte ich nicht darüber reden."
"Komm schon, Mica. Nicht immer so schüchtern!"
Jonny kann es nicht lassen und rückt mir auf die Pelle. Er steht plötzlich so nah neben mir, dass ich seinen Atem an meinem Ohr spüren kann - und das macht mich gerade unglaublich aggressiv.

Ich balle meine Fäuste und drehe langsam den Kopf zu ihm.
"Lass gut sein. Du hast doch gehört, dass er nicht über sie reden will."
Langsam, aber mit zielsicheren Schritten, tritt Mila an Jonny heran und legt ihm eine Hand auf den Bauch, zieht ihn weg von mir.
In ihren Händen scheint dieser dumme Muskelberg beweglich und gehorsam zu werden.

Ich werfe den beiden noch einen flüchtigen Blick zu, Mila fokussiere ich nicht ganz so böse, wie meinen Bruder.
Dann renne ich hoch in mein altes Zimmer und tue etwas sehr Dummes.
Ich greife nach meinem Handy, das auf meinem Bett auf mich wartet und tippe mit schwitzigen Fingern eine Nachricht.

Ohne sie noch einmal zu lesen, drücke ich auf Senden.
Ich habe soeben Emil zu Weihnachten eingeladen.

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Song: Spirit Cold - Tall Heights

Ohohhh. Was hat er jetzt angestellt???
Mica zwischen den Stühlen, sage ich dazu xD

Ich will mal versuchen, morgen einen Schreibtag zu machen, mal gucken, ob das klappt... wish me luck! hrhr

Love,
Lisa xoxo

magical boy✨[boyxboy] ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt