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"Mica?"
Ich hebe den Kopf.
"Das Salz?"
"Oh, ja. Entschuldige", sage ich verlegen und reiche Laura den Salzstreuer.

"Da ist wohl jemand mit den Gedanken ganz woanders", kichert Ben.
Ich werfe ihm einen bösen Blick zu.
Meine Familie und ich haben nur noch wenige Tage zusammen. Und mein Dad taucht nicht mal zum gemeinsamen Abendessen auf.

Ich bezweifle stark, dass es an seinem Rücken liegt.
Er meidet mich und Emil. Er kann es scheinbar nicht ertragen, mir in die Augen zu sehen.
Ich bin für ihn zu einem Menschen geworden, den man lieber meidet, weil eine Begegnung einfach nur zu unangenehmen Komplikationen führt.

Meine Mom hat uns schon heute etwas Lachs aufgetischt, weil sie 'so viel gekauft hat, dass wir ihn unmöglich an Silvester aufessen können und es wäre doch sehr schade, wenn er verderben würde.'
Meine Mom ... sie kann mich immer noch ansehen. Sie lächelt mich sogar an.
Sie berührt mich noch mit der gleichen Zärtlichkeit.

Natürlich ist sie immer noch die verblendete Person, an der ich manchmal vorbeirede, aber sie ist eben immer noch meine Mutter.
Ich traue mich nicht, die Sache mit Dad anzusprechen.
Jo ist der Einzige, dem ich mich anvertraut habe.
Nur er kennt meine Selbstzweifel und die Angst, die ich habe, meinem Vater gegenüberzutreten.

Dennoch werde ich es heute Abend tun.
Ich muss ihn fragen, ob ich noch sein Sohn bin.
Nie im Leben hätte ich es für möglich gehalten, dass mich seine Meinung einmal so interessiert.
Ich habe immer gedacht, dass ich dem ganz hier kühl und gefasst gegenüberstehe. Aber ich lag falsch.

Das hier ist meine Familie und ihre Ablehnung verletzt mich - seine Ablehnung verletzt mich.
"Mica?"
Die Stimme meiner Mutter lässt mich zusammenzucken.
"Was beschäftigt dich?"
Sie streckt ihre Hand aus.

"Nichts", lüge ich, ein Lächeln auf den zusammengepressten Lippen.
"Wie kommen du und Emil denn wieder zurück nach Kali?", fragt sie, als sie schließlich realisiert, dass aus mir nichts herauszukriegen ist.
"Mica fährt und ich gucke aus dem Fenster", antwortet Emil für mich. "Es sein denn, er vertraut mir mal das Steuer an."

"Vergiss es", brumme ich mit spielerischem Unterton.
"Mach ja genug Pausen! Ich mache mir immer Sorgen, wenn du so lange fährst. Und das in so einem großen Auto."
Meine Mutter legt die Stirn in Falten, Sorge verhärtet ihr Züge.

Ich kann darüber nur lachen und meine: "Wir fahren noch nicht ab. Und ich bin ein guter Fahrer. Also ..."
"Deine Mutter hat aber recht. Lange Strecken darf man nicht unterschätzen", schaltet sich Mila ein.
"Dann ist es wohl von äußerstem Vorteil, dass ihr nächstes Mal diese lange Reise auf euch nehmen werdet", richte ich mich an Mom.

Provozierend recke ich das Kinn.
Ich werde mein Versprechen an mich selbst halten. Ich werde nie wieder in diese Stadt kommen. Noch nicht mal zu einer Beerdigung.
Nussbraune Haare fallen vor blauen Augen, als sie den Kopf senkt und nickt.

Ich traue ihr nicht, aber die Stimmung ist nach meinen wenigen Worten sowieso gedämpft, deswegen halte ich den Mund und konzentriere mich auf meinen Teller.
Emil neben mir unterhält die Runde für uns beide.
Er kommentiert beinahe jede Aussage und stößt mir ab und an in die Seite.

Nach dem Essen helfe ich nicht beim Abräumen.
Ich nutze die Zeit und suche meinem Vater im Schlafzimmer auf.
Wider Erwarten liegt er nicht im Bett, sondern sitzt am Schreibtisch und schaut in den Garten herunter.

"Dad?"
Er dreht noch nicht mal den Kopf. Seine Schultern bleiben steif, seine Augen höchstwahrscheinlich auf den großen Apfelbaum gerichtet.
"Ich wollte mal mit dir reden."
Ich betrete den Raum und schließe leise die Tür hinter mir.

"Soll es jetzt so zwischen uns bleiben? Willst du für immer schweigen?"
Meine Hände beginnen zu schwitzen und ich trete von einem Fuß auf den anderen.
"Ich will, dass du mich ansiehst und mir sagst, was du von mir denkst! Bist du wirklich so feige, dass du mich nicht mehr ansehen kannst? Bist du angewidert, dass ich mit meinem Mann hier bin?"

Die Faust meines Vaters schlägt auf die massive Holzplatte.
"Genug! Was willst du von mir hören? Dass ich enttäuscht bin, dass mein Sohn es nicht schafft mir in die Augen zu sehen und mir zu sagen, dass er homosexuell ist?"
Langsam dreht er sich im Stuhl um und seine dunkeln Augen mustern mich streng.

Das Zittern seiner Unterlippe ist das Einzige, was das Bild vom strengen Vater stört.
"Wie hätte ich das machen sollen? Ich kann an einer Hand abzählen, wie oft wir zusammen geredet haben - und das war nicht von meiner Seite aus so. Du hast mich noch nie für voll genommen. Aber das ist mir jetzt auch gerade gar nicht wichtig, darum geht es nicht."

Ich fahre durch meine braunen Wellen und presse die Augen zusammen, ringe nach Luft und sehe den Mann vor mir an.
"Du hast kein Wort mehr zu mir gesagt, seitdem ich euch von Emil erzählt habe. Wenn du nicht mehr willst, dass ich mich in deinem Haus aufhalte, dann gehe ich. Sag es einfach."

Mein Vater bleibt stumm und stützt sich mit der rechen Hand auf dem Schreibtisch ab, fast so als ob er irgendetwas braucht, das ihm halt gibt.
"Ist es dir zuwider, dass ich dir nie die perfekte Schwiegertochter mit nach Hause bringen werde wie Ben oder Jonny? Ich weiß, ich war dir immer zu schwach, zu leise, zu ... Ach, ich weiß es nicht. Du hast dich ja nie artikuliert!"

Ich raufe erneut meine Haare.
Der Blick meines Vaters ist mittlerweile an die Wand hinter mir gedriftet.
"Was willst du hören?"
Eine lange Pause tritt ein. 

"Dass ich mir Ehrlichkeit von meinen Kindern versprochen habe? Dass ich nicht damit gerechnet habe, dass du einen Freund hast? Oder soll ich sagen, dass ich stolz darauf bin, einen schwulen Sohn zu haben?!"
Seine tiefe Stimme scheint von den Wänden widerzuhallen.

Ich weiche einen Schritt zurück.
"Mica ... Ich bin zu alt für so etwas. Aber wenn es dich beruhig, ich sehe dich nicht mit anderen Augen. Ich denke, ich brauche Zeit. Das ist alles."

"Ich glaube aber, dass ich keine Zeit mehr habe. Und ich bin nicht wirklich bereit, dir noch mehr zu geben."
Wir blicken uns eine Weile an.
Was habe ich erwartet?
Ich habe mit einer ähnlichen Reaktion gerechnet.

Er akzeptiert es nicht und er kann es mir nicht mal ins Gesicht sagen.
Ich nicke. Mehr zu mir selbst, als zu dem alten Mann vor dem Schreibtisch.
Ich habe meine Antwort und dafür bin ich hergekommen.
Rückwärts bewege ich mich auf die Tür zu.

Mein Vater wendet mir wieder den Rücken zu und blickt in die Dämmerung.
Die Türklinke ist eiskalt und lässt mich zusammenzucken.
Ich verlasse den Raum, schweigend und lasse meinen Vater und seine Gedanken zurück.
Wer weiß, ob ich ihn je wiedersehen werde, denke ich zynisch.

Als das Schloss einrastet, ist es beinahe so, als hätte ich all meine Zweifel und Ängste mit meinem Vater in diesem Schlafzimmer eingesperrt.
Ich bin frei.
Jetzt weiß ich, dass ich nicht auf ihn zählen kann.

Ich drehe mich nicht mehr zur Tür um, als ich den Flur entlang laufe.
Sie bleibt geschlossen und irgendwo in mir schließt sich auch eine Tür.

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Song: You Were Good To Me - Jeremy Zucker

Uh, i got emotional right there...
Leider können sich nicht alle mit Micas sexueller Orientierung abfinden.
so ist das.

Mein erster Schultag ... was soll ich sagen; ich wünsche mir die Ferien zurück! haha
noch jemand?

See ya tomorrow, sending u my love!

Lisa xoxo

magical boy✨[boyxboy] ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt