● Kapitel 13

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23. Dezember

Die Hände ineinander gefaltet stütze ich meine Unterarme auf das Geländer der Tower Bridge und starre auf das gefrorene Wasser.

»Es tut mir leid«, vernehme ich plötzlich neben mir eine leise Stimme und mein Herz macht einen Sprung. Seit wann steht sie hier? »Irgendwie hat unsere Freundschaft eine komische Wendung eingenommen, ich meine, sieh uns heute an. Wir haben vor ein paar Wochen über belangloses Zeug geredet und jetzt? Ich hätte am 17. Dezember echt nicht kommen sollen... hätte ich vorher gewusst, dass es sich zu so etwas wendet, dann hätte ich diese Freundschaft nicht zugelassen, zudem weil es dich genauso wie mich kümmert. Allerdings hätte ich das voraus sehen können, weil ich eine schwierige Person bin. Ehrlich, mir tut echt jede Person leid, die im Endeffekt ihre Zeit mit mir verschwenden musste und... ich kann nicht mehr sagen, außer, dass es mir leid tut.«

»Halt, halt, stopp und zurückspulen«, sage ich schnell, als kein weiterer Ton von ihr kommt. »Es tut dir leid? Ey, komm. Erin. Wir kennen uns noch nicht lange u-«

»Ich weiß, du solltest nicht an der Freundschaft mit mir festhalten, denn nächstes Jahr Dezember steht es nicht fest, ob ich wieder hier bin oder nicht«, meint sie schnell. Wird sie gehen oder wie soll ich es auffassen? »Es macht nicht viel Unterschied. Leute treffen sich, freunden sich an und leben sich auseinander, beziehungsweise gehen getrennte Wege, um irgendetwas im Leben zu erreichen. Du bist Louis Tomlinson, Mitglied von One Direction und ich bin einfach ich. Erin Diana Marin. Ein Mädchen, was seit 6 Jahren an die Tower Bridge kommt und einfach nichts tut. Ich habe nicht so eine große Bedeutung in der Welt. Aber jeder will jemand in der Welt sein. Du hast es geschafft, ich nicht. Ich will etwas erreichen, auch wenn ich es vielleicht nicht kann oder schaffen mag. Ich will kämpfen für irgendetwas, doch ich habe keinen blassen Schimmer für was. Ich bin unentschlossen und fühle mich egoistisch, weil ich um mich rede. Ich bin eine schlechte Person, bin Gesellschaft in der Öffentlichkeit nicht gewohnt - nichts gegen dich - aber ich bin es verdammt nochmal gewohnt, Tag ein, Tag aus irgendwo alleine hinzugehen und dann kommst du, charmant wie du bist und stellst das alles irgendwie auf den Kopf. Meine Gedanken sind nicht mehr geordnet, nein, ganz und gar nicht. Es herrscht ein riesengroßes Chaos. Jetzt denk ja nicht, ich hätte mich in dich verknallt oder so, denn ich weiß, dass ich das ja nicht gemacht habe!«

»Erin, beruhig' dich mal wieder. Ich verstehe nicht, was du hast! Du bist eine tolle Freundin für mich. Klar, wir kennen uns nicht lange und trotzdem habe ich dich in mein Herz geschlossen«, sage ich schnell. »Ich will nicht mit dir streiten, ehrlich nicht. Du magst vielleicht noch nichts erreicht haben, aber was ja nicht ist, kann ja noch werden. Du bist jung, Erin. Wirklich. Du kannst noch so viel erreichen, du musst nur an dich glauben.«

»Glaube und Hoffnung sind für mich Fremdwörter, Louis«, sagt sie dann verbittert und ich mache große Augen, als ich die Verbitterung höre. Ihre Stimme trieft förmlich vor Verbitterung.

Es trifft mich wie ein Schlag, als mir klar wird, dass dieses Mädchen, was neben mir steht, viel mehr erlebt hat, als ich je hätte erleben können.

Sie musste durch Trauer und Schmerz gehen, Tränen wurden vergossen, die Nächte wurden unerträglich.

Es lässt sich nicht ausschließen, dass es etwas mit dem 17. Dezember zu tun hat.

»Warum stößt du jeden von dir, wenn er dir zeigt, dass er sich Gedanken über dich macht?«, frage ich sie leise und kann es nicht verhindern, dass sich meine Stimme verletzt anhört. Erin bleibt ruhig, doch dann nehme ich ihre Bewegung wahr. Sie dreht sich weg und will gehen, doch ich greife schnell nach ihrem Arm, um sie aufzuhalten. »Geh nicht. Erin, ich habe dich die letzten Male gehen lassen, aber jetzt will ich darüber reden, ob du willst oder nicht. Rede mit mir, bitte...«

»Es gibt da nichts zu reden«, meint sie dann und zerrt etwas an ihrem Arm, doch ich lasse nicht locker.

»Ach nein? Warum?«, frage ich sie und sie schaut mich verwirrt an. »Warum bist du so? Verdammt, Erin-«

»Deine Geduld ist am Ende, Louis, das merke ich an deiner Stimme und an deinen Handlungen, deine Augen sprechen für sich«, sagt sie und schaut mir dabei ins Gesicht. »Wer mit mir befreundet sein will, der muss nun mal Geduld aufbringen. Jeden Menschen habe ich mit meiner Art vergrault. Oder hast du mich mal über Freunde sprechen gehört? Nein, hast du nicht. Weil ich so gut wie keine habe. Zumindest eine Freundin habe ich, höchstens zwei. Mehr jedoch nicht. Meine Zeit verbringe ich meistens alleine, in meinem Zimmer oder in der Bibliothek. Entweder du akzeptierst meine Persönlichkeit und mein Talent dazu jeden irgendetwas gegen den Kopf zu stoßen, obwohl es unbeabsichtigt ist oder wir lassen es. Du kommst nicht mehr hierhin und wir leben unser Leben so weiter, als würden wir der jeweils Anderen nicht kennen.«

Mein Kopf rattert. Sie stellt mich vor die Wahl. Soll ich es einfach ohne Antworten akzeptieren oder alles hinschmeißen, was gerade aufgebaut wurde?

»Morgen um 20 Uhr bin ich hier«, sage ich dann. »Du kommst wie immer mit einer belanglosen Frage und hängen beim Reden unseren Gedanken nach. So wie immer.«

»Trifft sich gut, denn vor 19 Uhr werde ich nicht hier sein«, sagt sie und schafft es endlich, meine Hand von ihrem Arm zu lösen. »Bis morgen, Louis.«

»Bis morgen«, sage ich und beobachte sie dabei, wie sie sich umdreht und geht. Mein Blick verfolgt sie noch eine Weile, dann drehe ich mich selbst um und gehe in Richtung nach Hause.

Warum kommt sie damit durch? Warum verdammt nochmal? Ich will doch auch endlich Antworten!

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