● Kapitel 73

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»So«, meint Maylea gegen Abend, als wir ihr Zimmer gemütlicher eingerichtet und Süßigkeiten geholt haben (wir mussten heimlich wegfahren und es einkaufen, damit wir was haben, denn Maylea darf eigentlich keine Süßigkeiten, aber ich bin die böse, große Cousine). »Hier hast du dein Energy, auf deinen Wunsch Toffifee, Schokolade, Pringles, meine Cola und... mehr Süßes. Jetzt will ich wissen, was das zwischen dir und Louis ist, by the way, wie ist er?«

»Er ist nett, ein guter Zuhörer... er sieht unwahrscheinlich gut aus, einfach zum liebhaben... sehr besorgt, und... geduldig«, sage ich und schaue auf die dunkelblaue Bettdecke. »Weißt du, Maylea, wir sind uns sehr ähnlich. Vom Charakter her, versteht sich. Wir hören die gleiche Musik, haben den gleichen Geschmack und denken beide so ziemlich gleich vom Leben.«

»Also bist du Pessimistin, anstelle einer Optimistin?«, fragt sie mich und nicke. »Cool, dann fühle ich mich nicht mehr als einziges Deprikind.«

»Du ziehst auch - genauso wie ich - alles ins Lächerliche«, stelle ich mit einem halben Lächeln fest. »Du möchtest so viele Menschen helfen und aufmuntern. Du hast so viele, sagen wir, »gerettet«, doch wer »rettet« dich? Louis wollte mich vor etwas »retten«, vor was er mich nicht retten konnte. Allerdings hat er es nicht mal wirklich bemerkt. Ich war kurz davor mich selbst zu verlieren. Mich nicht mehr wiederzuerkennen. Einfach die Person sein, die alle von mir haben wollen. Doch bei ihm bin ich, wie ich eben bin. Er hat so viel Geduld aufgebracht, um zu mir durchzudringen, doch ich mache alles kaputt und... ich habe ihn verletzt, was nicht meine Absicht war. Ich wollte ihn vor etwas schützen, was ziemlich hohl meinerseits war und... ich hatte diese Eileiterschwangerschaft und musste operiert werden, May. Ich sagte zu Leo, dass Louis davon nichts erfahren dürfte. Doch als ich an diesem Tag aus der OP kam - natürlich noch unter Narkose; naja, so gut wie - da stand Louis auf dem Flur und sah zuerst Leo, dann mich und... ich wollte, nein, ich weiß nicht, was ich wollte. Louis sagte anscheinend zu Leo, dass, wenn ich ihn nicht in mein Leben haben will, so wie es auch aussah, er sich von mir fernhalten wird. Wir werden da weitermachen, wo wir angefangen haben. Der eine Tag im Dezember 2013 hat wohl dann nie stattgefunden und die restliche Zeit erst recht nicht. Alles, was zwischen uns war, ist wie eine Schneeflocke geschmolzen. Nichts ist mehr übrig.«

Maylea schaut mich an. Ganz intensiv und mit gerunzelter Stirn. »Auch wenn es da tausend Gründe geben würde, dich zu verlassen, dann würde er so lange nach einem einzigen Grund suchen, der dafür spricht, zu bleiben. Er hat dich nie wirklich verlassen, Diddle, daran glaube ich ganz fest. Ich verstehe dich sehr gut Erin, denn es gibt eine Person, die man am schwersten lieben kann - und das ist jeder Mensch selbst. Jeder hat es schwer sich selbst zu lieben und du bist davon überhaupt nicht ausgeschlossen. Du wurdest damals im Alter von 12 Jahren aus dem Leben gerissen, oder deine Mutter viel mehr. Ich wurde mit 13 Jahren aus meinem Leben gerissen und musste mich zusammenreißen, um den Anschluss wiederzufinden. Ja und? Das Leben ist halt eine Schlampe, daran kannst du nichts ändern. Aber Louis hat dich niemals wirklich verlassen, denn sonst wäre er nie wiedergekommen. Verstehst du, was ich meine? Du hast immer ein Lächeln auf dem Gesicht, doch niemand weiß, dass du hinter deiner Maske brichst. Manche Menschen lieben sich selbst so wenig, dass sie es nicht verstehen, warum andere Menschen sie lieben können. Du hast, genauso wie ich, ein Herz aus Glas. Und viele Menschen fragen sich, wie ein Mensch, der so viel lacht und gute Laune verbreitet, so kaputt sein kann? Das ist für die Meisten unbegreiflich. Findest du es nicht auch lustig, dass sich viele Menschen wundern, wenn du dich so verhältst, wie sie sich dir gegenüber verhalten? Egal, das tut nichts mehr zur Sache. Gefälschtes Glücklichsein ist die schlimmste Traurigkeit... hat mein Satz überhaupt Sinn ergeben? Egal. Weiter im Text. Jede Enttäuschung öffnet nun mal jedes Auge und verschließt das Herz, irgendwann werden Menschen eiskalt, damit sie nicht mehr verletzt werden. Du bist das Mädchen - und ich auch - dass jeden fragt, ob alles okay ist, obwohl du diejenige bist, die bricht. Jedes Leben hat etwas Dunkles an sich, denn ohne Dunkelheit können Sterne auch nicht leuchten. Du hast immer versucht jemanden mit deinem Herz zu lieben und die Tatsache, dass du nicht mit Augen lieben kannst, macht dich einmalig. Dein Herz ist so gut und stark, nicht jeder hat so ein kleines Kämpferherz in der Brust. Manchmal ist auf der anderen Seite nichts. Keine Emotionen. Keine Tränen. Keine Gefühle. Einfach nichts. Ich weiß ganz genau, wie du dich fühlst. Und Christoph bespannt uns, dieses kleine Arschloch...«

»Ich glaub, ich mach mal einen Abflug...«, höre ich dann jemanden murmeln und dann ertönen Schritte. Ein Kichern verlässt meine Lippen, auch wenn Tränen in meinen Augen schimmern. Aber nicht nur in meinen, sondern auch in Mayleas. Ich weiß, wie sie sich fühlt; und sie weiß, wie ich mich fühle.

Doch es ist alles vorbei, egal was Maylea sagt. Nur weil sie daran glaubt, heißt es nicht, dass es stimmt.

Die schlimmsten Abschiede sind die, die nie gesagt werden, aber das Herz weiß, dass es vorbei ist. So ist das nun mit mir und Louis. Er hat sich verabschiedet, doch nie wirklich bei mir.

Mein Herz ist aus Glas, laut Maylea, und er hat es fallen gelassen. Doch ich kann die Scherben aufheben und mich wieder daran schneiden. Es ist egal, ob ich im Herzen oder an den Händen blute.

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