● Kapitel 65

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17. Januar 2016

»Wie geht es Erin?«, erkenne ich die Stimme meiner Stiefschwester Jasmine und sehe ihre braunen Haare zu einem Dutt zusammengebunden durch das kleine Fenster in der Tür. Mehr oder weniger. Das Fenster ist ein wenig verschwommen, sodass man die Umrisse jedenfalls erkennt.

»Wie sollte es ihr denn gehen?«, fragt Mike schon angepisst. Es ist nicht so, dass es ihn nervt, sondern, dass ich alles mitbekomme und mir es wirklich schlecht geht. Er macht sich doch auch nur Sorgen um seine unfähige Schwester.

»Mike«, höre ich Dad warnend sagen. »Nicht in diesem Ton, junger Mann. Und Jasmine, sie hat, seit dem sie es weiß, nicht mehr geredet.«

»Was willst du von mir hören, Dad?!«, fragt Mike ihn dann zischend. Jasmine scheint zu verstehen, dass sie am Besten jetzt nicht dazwischen redet, denn Mike scheint mir ziemlich angenervt zu sein. »Ich mache mir nun mal Sorgen um Erin und verarbeiten kann ich es schlecht. Weißt du, ich will ihr helfen und würde auch alles daran setzen, damit sie keine Schmerzen mehr hat, aber das geht nicht!«

»Mike, denk an deine Lautstärke, wir sind in einem Krankenhaus«, meint Dad weiterhin ruhig. »Außerdem könnte Erin dich gerade hören.«

No shit, Sherlock, denke ich mir und würde genervt die Augen verdrehen, doch die Schmerzen lassen mich heute etwas... nun ja, sie lassen mich heute geistig verwirrt und verplant wirken.

»Die Tür ist angelehnt, Dad, sie hört schon so alles mit«, meint Mike daraufhin und Leo stöhnt genervt auf.

»Okay. Ihr geht jetzt in die Cafeteria und werdet runterkommen, ich gehe zu Erin ins Zimmer und bleibe solange bei ihr, bis sie in die OP soll«, meint Leo und scheucht somit die Anderen weg, dann kommt sie rein. »Sorry, Schwesterherz, die haben zu viel Mist geredet und dich herzlich wenig beachtet.«

Ich gebe keine Antwort von mir. Sollte ich ihr antworten und mir ihr Es tut mir so leid für dich-Gelaber anhören? Nein. Schon an ihren Augen kann ich den Mitleid sehen. Das kotzt mich so was von an.

»Erin«, sagt Leonora dann seufzend und setzt sich auf den Stuhl neben meinem Bett. »Rede mit mir. Bitte.«

Als ich nicht antworte, seufzt sie nochmal und nimmt vorsichtig meine Hand in ihre. Sie legt ihre Handfläche auf meine, um zu schauen, wessen Hand größer ist, doch unsere sind so gut wie gleich groß.

»Wir haben früher doch auch immer über alles geredet, Erin«, meint Leonora und sieht mich aus traurigen Augen an. »Bitte... ich will wissen, von wem dieses Kind wäre.«

Es entsteht eine Stille, in der weder ich noch sie etwas sagen. Wenn sie schlau genug ist und ihr Gehirn anstrengt, dann wüsste sie die Antwort.

»Leo...«, wispere ich leise. Ich schaue ihr in die Augen, als sie ihren Blick erhebt. »Louis darf von alldem nichts erfahren.«

»Was?«, fragt sie verwirrt und zieht die Stirn kraus. »Wieso darf er nicht von dem hier nichts erfahren? Ihr seid doch so gut wie zu- warte... jetzt habe ich es kapiert. Louis wäre normalerweise der Vater gewesen?«

»Wer sollte es sonst sein?«, frage ich leise und atme zittrig ein und aus, da mir die Tränen nahe sind. »Er war der Einzige, mit dem ich geschlafen habe.«

»Wieso darf er von dem hier nichts erfahren?«, fragt sie mich verständnislos. »Ich verlange nicht viel von dir, Erin, aber in dieser Sache verstehe ich dich nicht. Er würde dir die Welt zu Füßen legen.«

»Wir haben uns seit dem einen Morgen nicht mehr gesehen, Leonora, versteh mich doch«, sage ich leise, während mir eine Träne aus dem Augenwinkel rollt. »Er würde all das hier nicht verstehen und es ist besser, wenn er nichts davon weiß. Was passiert, wenn es die Presse erfährt und es überall gedruckt wird? Es sollte im Kreise der Familie bleiben.«

»Erin, beruhige dich wieder und hör auf zu weinen...«, sagt Leonora und umklammert meine Hand, um sie dann sanft zu drücken. Mit dieser kleinen Gestik gibt mir sie ein kleines bisschen Geborgenheit und das weiß sie. Sie ist nun mal die Person, die mich an meisten aufgezogen hat - und Mike. »Louis wird es auf irgendeiner Weise herausfinden, irgendwann kommt alles ans Licht. Das weißt du hoffentlich, Erin.«

»Er soll es nicht erfahren«, sage ich leise und verkrampfe meine Hand. »Er soll es nicht-«

»Erfahren, ja ich weiß, Erin, das hast du bereits gesagt«, meint meine Schwester leise und setzt an, um noch etwas zu sagen, doch eine Krankenschwester kommt in das Zimmer.

»Wir müssen Sie bitten den Raum zu verlassen«, meint die Krankenschwester zu meiner Schwester und lächelt halbherzig. »Der OP-Saal ist bereit.«

Leo nickt, drückt mir noch einen Kuss auf die Stirn und steht dann auf, kurz darauf verlässt sie mein Zimmer und ich bleibe alleine mit der Krankenschwester zurück.

Sie erklärt mir einige Dinge, doch in medizinischen Dingen bin ich so was von schwer von Begriff. Dann spritzt sie mir etwas in den Arm und ich merke, wie meine Sinne langsam benebelt werden.

Alles, was ich noch mitbekomme, ist, dass sie mich mit dem Bett aus dem Zimmer in eine Richtung schiebt - und dann ist da noch Leo, die auf dem Gang steht und mir einen aufmunternden Blick zuwirft, was mit einem Lächeln begleitet wird.

Dann scheine ich in ein Loch zu fallen.

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