● Kapitel 1

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6. Dezember 2014

// L O U I S //

Der eisige Wind fegt durch meine braunen Haare und ich fröstle leicht.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, warum ich nach einem Jahr wieder zur Tower Bridge gehe.

Vielleicht lebt in mir die Hoffnung sie wiederzutreffen. Erin.

Wenn ich mir das durch den Kopf gehen lasse, kommt es mir ziemlich unwirklich vor und sie könnte nur eine Illusion meiner selbst sein.

Die Tower Bridge kommt in mein Sichtfeld und ich merke, wie meine Schritte von selbst schneller werden.

Erin hatte mir mit ihrem kleinen Vortrag geholfen, auch wenn ich es von selbst hätte erkennen können.

Meine Familie hatte sich über meine Anwesenheit mehr als nur gefreut und wir erzählten uns gegenseitig unsere Erlebnisse. Sie zeigten mir Bilder, welche sie über die Monate geschossen hatten, und ich zeigte ihnen andere Sachen. Die Jungs waren meinem Beispiel gefolgt und flogen zu ihren Familien. Niall hatte sich ziemlich gefreut wieder in Irland zu sein und er versicherte uns, dass er dieses Jahr wieder dort sein wird - koste es, was es wolle.

Ich komme den Platz näher, an den ich Erin letztes Jahr zum ersten Mal sah. Auch heute steht dort eine Person.

Braune lange Haare fallen in leichten Wellen über ihre Schulter, ihre Hände sind in Handschuhe verpackt und ein Schal ist um ihren Hals gewickelt. Wie vor einem Jahr.

Je näher ich an sie heranschreite, desto mehr erkenne ich ihre feinen Gesichtszüge. Genauso entspannt wie letztes Jahr.

»Erin«, sage ich leise, als ich neben ihr zum Stand komme.

Verwundert öffnet sie ihre Augen und schaut mich an, bis sich ein großes Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitet. »Louis! Schön dich wiederzusehen. Ein Jahr ist es her, hm?«, sie zieht mich etwas unerwartet in eine Umarmung, aber ich muss nicht zweimal überlegen, ob ich ihre Umarmung erwidere oder nicht - ich tue es einfach, weil es sich irgendwie gut anfühlt. Als würden wir uns schon ewig kennen.

»Mhm... ein Jahr«, bestätige ich nickend und löse mich wieder aus der Umarmung. »Wie geht's dir?«

»Mir geht's ganz gut, soweit«, sagt sie grinsend. »Und dir? Wie war eigentlich letztes Jahr Weihnachten bei dir? Wie kommst du dazu wieder hierher zu kommen?«

Ihre blauen Augen strahlen mich an, als ich meinen Mund zum Reden öffne. »Mir geht's auch ganz gut, zwar ein bisschen erschöpft, aber... wie gesagt«, ich lache leicht. »Weihnachten war letztes Jahr wundervoll. Ich war hierher gekommen, weil ich dachte, dass ich dich hier finden würde - und das mit Erfolg.«

»Naw«, grinst sie. »Übrigens... die Musikvideos, die ich von euch gesehen habe, gefallen mir.«

»Danke, freut mich zu hören«, lächle ich sie an. »Bist du eigentlich jeden Tag hier?«

»Ja schon, aber immer zu unterschiedlichen Zeiten«, gesteht sie. »Soll ich dir jetzt sagen, wann ich an welchem Wochentag ich hier bin und in die Themse schaue?«

»Wäre... toll«, sage ich grinsend und sie kichert. »Damit ich weiß, wann ich dich immer antreffen kann.«

Erin lacht und schüttelt dabei den Kopf, was irgendwie niedlich aussieht.

»Ich bin jeden Tag von den 1. bis zu den 31. Dezember hier«, sagt sie in die entstandene Stille rein. »Den ganzen Tag mache ich nichts besonderes, außer hier am Geländer zu stehen, zu träumen, ins Wasser schauen.«

»Und weshalb? Hat das irgendetwas zu bedeuten?«, frage ich und sie lächelt leicht, wobei durch ihre Augen etwas Trauriges huscht.

»Es ist wie eine Art Tradition für mich«, sagt sie und winkt ab. »Wie schon vorhin erwähnt, es ist nichts Besonderes. Kommen wir doch zu dir... hast du dieses Jahr wieder vor zu deiner Familie zu fahren?«

»Wir bekommen am 24. Dezember erst richtig frei«, gestehe ich und erkenne die Aufmerksamkeit in ihren Augen.

»Da feier ich Heiligabend...«, grinst sie schief und ich ziehe verwirrt die Augenbrauen zusammen.

»Mit Bescherung und all das?«, frage ich und sie nickt. »Macht man das nicht am 25.?«

»Nein, bei mir nicht. Weißt du, ich bin zu 50 Prozent Deutsche«, grinst sie mich an. »Die andere Hälfte gehört zu Großbritannien.«

»Halb Deutsche, halb Britin?«, frage ich nach und sie nickt leicht lachend. »Auch gut. Und in Deutschland feiern sie alles am 24.?«

»Genau«, grinst sie. »Dann gibt es meistens nichts am 25. bei uns zu tun und am 26. kommt die große Weihnachtsversammlung. Auch genannt Familientreffen der Marins.«

»Marins?«, frage ich nach.

Sie lacht leise: »Erin Marin, mein Name.«

»Interessant, Erin«, sage ich leise lachend und sie grinst mich an. »Erin Marin... irgendwie passt das.«

»Oh vielen Dank«, sagt sie leicht ironisch und ich muss schmunzeln. »Bedank dich lieber an den Leuten, die mir den Namen verpasst haben.«

»Also deine Eltern?«, frage ich grinsend.

»Mein Vater hatte nicht wirklich Mitspracherecht«, sagt Erin und grinst ein wenig verkrampft, so als wolle sie ihr wirkliches Gefühl, welches sie gerade empfindet, verstecken.

»Okay«, sage ich und beschließe, dass ich nicht weiter auf diesem Thema herum bohre. Ich will sie ja nicht nach einem Jahr vergraulen geschweige denn ihr ein falsches Bild von mir geben. Sie soll sich an mich erinnern, wie sie mir geholfen hatte. Obwohl, sie hatte nur mit mir geredet und somit die Augen geöffnet.

»Die Weihnachtszeit ist eine verdammt schöne Zeit... in Deutschland, da wo ich herkomme - eigentlich, da ist im Winter noch zu warm, weshalb wir dort nie Schnee haben...«, erzählt mir Erin und schaut dabei wieder in Richtung Himmel, wo kleine Schneeflöckchen ihren Weg nach unten finden. »Es gibt da so eine Organisation, die nennt sich in Deutschland «Weihnachten im Schuhkarton»... ich weiß nicht, ob es hier auch gibt, aber ich denke schon. Man sagte, es wäre weltweit. Jedenfalls hatte ich früher mal mitgemacht. Dort wird ein Schuhkarton geholt und mit Sachen gefüllt. Dann müsste man einen Aufkleber draufkleben. Es gab immer vier Aufkleber, zweimal jeweils die Gleichen. Jungs und Mädchen unterteilt. Und auf diesen Aufklebern musste man die ungefähre Altersgruppe ankreuzen. Dann wurden die Schuhkartons gesammelt und armen Kindern in der Welt zu Weihnachten gegeben.«

»Davon habe ich noch nie gehört«, gestehe ich und sie sieht mich überrascht an.

»Echt nicht?«, fragt sie und ich nicke. »Ich würde wieder mitmachen. Aber ich weiß halt wie gesagt nicht, ob es ihr in Großbritannien auch gibt.«

»Du findest schon einen Weg etwas Gutes für die Welt zu tun«, sage ich dann und lächle sie aufmunternd. »Zur Not spenden wir zusammen etwas.«

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