● Kapitel 57

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1. Dezember 2015

// L O U I S //

Ich bin endlich wieder Zuhause, doch anstatt mich auszuruhen, breche ich zum Krankenhaus auf. Es dauert eine Weile, bis ich dort bin, aber der Weg hat für mich etwas Gutes; ich konnte nachdenken.

Es hat keine Sekunde gegeben, an der ich nicht an Erin gedacht habe. Ich habe mir immerzu Sorgen gemacht, gehofft, dass sie es schafft.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragt mich die Rezeptionistin.

»Uhm...«, nuschle ich und trete an den Tresen heran. »Wie geht's Erin Diana Marin?«

»Erin Diana Marin?«, fragt sie und ich nicke. Sie tippt kurz etwas in den Computer ein und runzelt die Stirn. »Sie ist nicht mehr da, Mister.«

»Nicht mehr da?«, frage ich mit einem schneller schlagenden Herzen nach. Sie nickt. »Was ist mit ihr?«

»Ich darf keine Auskunft geben, Mister«, sagt die Rezeptionistin. »Es tut mir leid.«

»Ärztliche Schweigepflicht und so...«, murmle ich und drehe mich rasch um. Erin kann nicht gestorben sein, nein, das kann sie nicht sein.

Als ich wieder draußen in der frischen Luft bin, vergrabe ich meine Hände in meine Jackentaschen und laufe los, mit dem Ziel bei Erin Zuhause aufzutauchen.

Auch als ich da ankomme, bekomme ich eine Absage, denn als ich klingle, öffnet mir niemand die Tür.

Langsam fahre ich mir verzweifelt durch die Haare und weiß nicht, was ich machen soll. Was ist, wenn sie es wirklich nicht geschafft hat?

Und wenn doch, wo befindet sie sich? Wohnen die Marins/Hawkins' hier noch? Nach dem Schild an der Klingel schon.

Seufzend mache ich mich auf den Weg, irgendwo hinzugehen. Heute ist der 1. Dezember, normalerweise wäre Erin heute dort, zum Andenken ihrer Mutter, die sie durch einen Unfall dort verlor.

Wie mag es ihrem Vater gehen? Ihrer ganze Familie? Sollen sie einen weiteren Engel an der Tower Bridge verlieren? Mit dem Gewissen, dass die Tower Bridge es geschafft hatte, einen Engel zu töten und den Anderen mit Gedächtnisverlust verschwinden zu lassen?

Würde es mir mit meiner Mutter und mit Lottie oder einer andere von meinen Geschwistern passieren, ich wäre am Boden zerstört und hätte mich eine gewisse Zeit nicht in der Öffentlichkeit gezeigt.

Irgendwann, als ich durch die Londoner Innenstadt schlendere, komme ich an eine der besten Musikschulen vorbei, wobei ein Fenster im Untergeschoss geöffnet ist.

Ich persönlich war bisher nur einmal dort im Gebäude und ich kann sagen, dass es dort sehr schön und nobel eingerichtet ist.

Eine Person aus ärmeren Verhältnissen würde sich wie eine Ratte im Haushalt eines Luxushauses fühlen.

Aus dem Fenster dringen wunderschöne Piano-Melodien heraus und ich bleibe stehen, um sie ein Stück zuzuhören. Doch dann begleitet eine Stimme diese wunderschöne Melodie.

»You know, the fire is running low, can you feel the flame her fading glow. You know, we are slowing down, I can hear your footsteps drowning up. We're burning down. We're burning down. We're the ashes on the ground. We're burning down. We're burning down. We're falling underground«, singt die Stimme und ich fange an dieser Stimme Bewunderung zu schenken, da sie so eine Kraft hat, dass es mir unter die Haut geht. »You are, you singing now a song, but you heard it somewhere else I know. We are, we're trying to belong, pick up the pieces left of us. We're burning down. We're burning down. We're the ashes on the ground. We're burning down. We're burning down. We're falling underground. If you can see me running up to you. You know, I've been running in circles around you. If you could tell me I was back in time. You know, I've been running in circles for you. We're burning up, we're burning down, we're the ashes on the ground, we're burning up, we're burning down, we're falling underground..

Ich wollte nicht weiter lauschen, weshalb ich kurz den Kopf schüttle und dann mit gesenkten Kopf weitergehe.

Schon bald finde ich bei der Tower Bridge wieder und seufze tief, als ich meine Ellenbogen auf das Geländer stütze und in die Themse starre. Was ist, wenn ich Erin nie wieder sehen würde?

Keine Ahnung, wie lange ich hier schon stehe, aber irgendwann bemerke ich durch das Angehen der Laternen, dass es schon spät ist. Der Verkehr hat zugenommen, viele Autos fahren gerade nach Hause. Feierabendverkehr.

Kaum ein Mensch ist hier, bis auf eine Person, die in einem schwarzen Mantel gewickelt ist. Eine schwarze Mütze mit Bommel sitzt auf ihrem Kopf und ich sehe ein weißes Kabel von ihrer Jackentasche aus zu ihrem Ohr. Also hört die Person Musik. Das Gesicht bleibt mir noch unbekannt.

Doch die Wörter, die sie singt, kenne ich. Sie sind gleichen Wörter, wie die von dem Mädchen aus der Musikschule.

»If you could tell me I was back in time. You know, I've been running in circles for you. We're burning up, we're burning down, we're the ashes on the ground, we're burning up, we're burning down, we're falling underground...«, singt sie leise vor sich hin und geht in dem Moment an mir vorbei.

Doch dann halte ich sie am Arm fest und ziehe sie zurück. Erschrocken stößt sie einen leisen Schrei auf und schaut mich aus weit aufgerissenen Augen an. Aber als sie mir ins Gesicht sieht, entspannen sich ihre Gesichtszüge und sie schaut mich einfach an.

Nicht wissend, was ich sagen sollte, schlinge ich meine Arme um sie und drücke sie fest an mich, in der Angst, ich könnte sie nochmal verlieren.

»Ich wusste, dass du es schaffen wirst...«, murmle ich und merke, wie mir Tränen in die Augen steigen. »Ich dachte, du wärst tatsä-«

»Shh...«, unterbricht sie mich. »Ich habe dich vermisst.«

Tower BridgeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt