24. Dezember
Heute scheint mir einiges anders zu sein. Es liegt nicht an meinen Gedanken, dass morgen Heiligabend ist, auch nicht daran, dass ich heute jetzt endlich frei und Geburtstag habe.
Nein, es liegt daran, als ich die verschiedensten Nachrichten höre.
Drei junge Leute, geschätzt vom Alter 19 bis 24 Jahren, laufen durch die Straßen und schenken den Obdachlosen Mützen, Handschuhe, Schals, Decken, Obst und Wasserflaschen.
Es werden Bilder von den drei Leuten gezeigt, doch die Identität bleibt anonym, weil sie Masken tragen.
»Entschuldigen Sie!«, ruft der Nachrichtensprecher Logan Marin, als er eines der jungen Frauen mit einer Maske sieht. Die junge Frau dreht sich um und zeigt uns ein breites, strahlendes Lächeln. »Jeder spricht über ihre Aktion einen Tag vor Weihnachten.«
»Ich weiß, ist es nicht schön?«, fragt das Mädchen lächelnd. Ihre Augen strahlen förmlich und als sie direkt in die Kamera guckt, erkenne ich, wer hinter dieser Maske steckt.
»Dürften wir den Hintergrund zu eurer Aktion erfahren?«, fragt Logan Marin lächelnd.
Erin lacht. »Wir haben Weihnachten und wir dachten uns, dass wir den Obdachlosen eine Freude bereiten. Ich meine, Weihnachten ist das Fest der Liebe und da sollte jeder eine kleine Aufmerksamkeit bekommen, meine Schwestern und ich dachten uns, dass wir denen ein Geschenk machen. Der Winter ist kalt, deshalb bekommt jeder von uns entweder Handschuhe, Mütze, Schal oder eine Decke, die Decken sind allerdings sehr beliebt. Wir geben ihnen zudem noch etwas zu Essen wie einen Apfel, eine Orange oder eine Banane und eine Wasserflasche«, antwortet sie. Von hinten kommen zwei junge Frauen angesprungen und Erin fällt fast hin, doch dann lachen sie. Eine junge Frau mit hellen, blauen Augen, vermutlich Leonora, grinst.
»Hey Little«, meint sie dann.
Die junge Frau auf der anderen Seite, mit braunen Augen, lächelt: »Wir wollen weiter, Little. In weniger als eineinhalb Stunden müssen wir Zuhause sein.«
Lachend sieht Erin wieder zum Nachrichtensprecher. »Wissen Sie, wir feiern heute Weihnachten, da meine Familie hauptsächlich aus Deutschland stammt. Der 24. Dezember wird mit Bescherung und einem festlichen Essen gefeiert«, erzählt sie dann. »Kommt Mädels, verschenken wir die restlichen Sachen.«
Die Drei lächeln nochmal in die Kamera, ehe sie sich verabschieden und schnell weiterlaufen.
»Süße Aktion von den Dreien«, sagt Liam dann und ich lächle. »Menschen haben doch noch ein großes Herz.«
»Ich weiß«, sage ich, denn ich weiß, wie Erin ist. Klar, zwischen uns sieht es gerade nicht gut aus, aber heute machen wir weiter sowie immer.
Mein Blick wandert zur Uhr und sagt mir, dass es nicht mehr lange bis 20 Uhr dauert.
Immer wieder schaue ich zur Uhr, um mich zu vergewissern, dass ich die Zeit ja nicht aus den Augen verliere.
Als es schließlich 19:30 Uhr ist, kann ich nicht mehr warten und sage den Anderen - wie immer - dass ich spazieren gehe.
Drei von vier Jungs schauen mich misstrauisch an, der Vierte jedoch grinst nur in sich hinein. Niall hat einfach mehr Ahnung als die Anderen.
Die misstrauischen Blicke ignorierend verlasse ich das Haus und mache mich auf zur Tower Bridge.
Schließlich komme ich an und stelle mich neben Erin. »Du und deine Schwestern habt mit dieser Aktion sicherlich die Ärmsten gerade zu den beinah Glücklichsten gemacht. Was nur noch fehlt, ist ein Dach über den Kopf, eine Dusche, eine Arbeit und Geld«, sage ich, als ich mich, neben sie, ans Geländer lehne.
»Ich weiß«, lächelt sie. »Du bist eine halbe Stunde zu früh. Konntest du es nicht mehr aushalten oder was war?«
»Irgendwie nicht, nein«, gestehe ich und sie lächelt mich an. »Du feierst heute Weihnachten, Erin. Wieso bist du hier? Musst du nicht helfen?«
Sie schüttelt den Kopf. »Sie benötigen meine Hilfe nicht, sie meinen, ich tue schon genug. Vor allem, weil ich jeden Sonntag von Allen aus dem Hause die Bettwäsche wasche und Klamotten bügle. Sie wollten mir heute den Tag freigeben, zudem, weil ich heute etwas Gutes getan habe und es kam zuerst auch aus meinem Köpfchen.«
»Ich erinnere mich daran, als du über Weihnachten im Schulkarton geredet hast«, sage ich grinsend. »Mit dieser Aktion hast du auch etwas Gutes getan.«
»Ich denke, ich werde auch noch Geld spenden gehen«, sagt sie dann. »Ich habe ältere Herren eine Freude gemacht, aber keinen kleinen Kindern, die noch ihr ganzes Leben vor sich haben.«
»Du hast ein großes Herz, kann es sein?«, frage ich und sie nickt lachend.
»Ja, das habe ich wirklich«, grinst sie dann. »Hast du den Todesfall von der 19-jährigen Tamy Winston gehört?«
»Was war da nochmal?«, frage ich vorsichtig nach.
»Nekrophile und so«, sagt sie. Das erklärt jetzt auch so was von alles. »Tamy Winston wurde zuerst an der Kehle aufgeschnitten und starb damit schneller als so manch Andere, die Suizid begannen. Allerdings wurde die 19-Jährige zuerst umgebracht und dann vergewaltigt.«
»Nekrophile sind zum Anekeln...«, murmle ich und schaue in die Themse. »Wirklich widerlich, unwürdig und... keine Ahnung was. Leichen sollten, wenn schon denn schon, in Ruhe begraben werden. Es heißt doch Ruhe in Frieden. Was haben die dann?«
»Ich weiß es nicht«, sagt Erin und wirft einen Blick auf den Big Ben. »Ich muss los, Louis. Ich feiere heute Weihnachten, da sollte ich pünktlich und hübsch zurecht gemacht sein.«
»Klar«, sage ich. »Frohe Weihnachten, Erin.«
Sie lächelt mich an. »Dir auch«, sagt sie, stellt sich auf die Zehenspitzen und drückt mir einen Kuss auf die Wange, dann dreht sie sich um und geht kichernd weg.
DU LIEST GERADE
Tower Bridge
RandomVom ersten bis zum einunddreißigsten Dezember war sie an der Tower Bridge. Mal früh, mal spät, mal den ganzen Tag über, mal für ein paar Stunden. Sie hatte einen geregelten Tagesablauf - bis sie ihn kennenlernte. Und mit ihm geschahen Dinge, die sie...