Heartbeat Nights

Das gebrannte Kind

Ich warf einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel und zog eine Grimasse. Irgendwie war man ja nie wirklich zufrieden mit seinem Aussehen und dies schon gar nicht vor einem Date mit Tony Stark. Ja, ich hatte mir hoch und heilig geschworen mich nie wieder auf diesen Kerl einzulassen, doch selbst ich konnte nicht verleumden dass er sich geändert hatte. Natürlich war er immer noch Tony und gewisse Charakterzüge gehörten nunmal zu ihm...
Dennoch war er merklich gereift und ihm schien tatsächlich Etwas daran zu liegen, die Fehler der Vergangenheit auszumerzen.
Während ich nach meiner Handtasche angelte, keimte tief in meinem Inneren die kleine nagende Stimme der Angst erneut auf. Was, wenn sich Alles wiederholte? Was, wenn er mir erneut das Herz brechen würde? "Jess, du bist reifer und vorsichtiger als vorher" ertönte Karens Stimme der Vernunft in meinem Kopf. Natürlich hatte ich mich mit ihr ausgetauscht, denn manchmal war der Rat einer guten Freundin eben wichtiger als die eigene Angst.
"Ich hab gesehen wie er dich ansieht" hatte sie noch vorhin am Telefon bestätigt und mir Mut gemacht. "Es ist nur ein Essen Jess" beruhigte ich mich erneut und zuckte erschrocken zusammen, als der schrille Ton der Türglocke ertönte.
Stirnrunzelnd blickte ich zur Tür - wer sollte mich um diese Zeit noch besuchen kommen? Karen und Josh wussten, dass ich verabredet war und sonst wusste kaum Jemand wo ich wohnte.
Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen - sicher wollte Tony auf Nummer sicher gehen und hatte beschlossen mich nun doch von Zuhause abzuholen! Ich öffnete schwungvoll die Eingangstür "Also Tony, du..." die Worte blieben mir im Hals stecken, als ich in ein allzu vertrautes Gesicht sah. Zumindest war es ein blasser, krank aussehender Abklatsch dessen was ich einst gekannt hatte.
"Nick?" fassungslos starrte ich den Mann vor mir an, der nach all der langen Zeit so plötzlich wieder aufgetaucht war. Sein einst so schönes Gesicht war eingefallen, tiefe Ringe unterstrichen den müden Blick seiner Augen und auch sein muskulöser Körper war einer eher klapprigen Gestalt gewichen. Noch immer fassungslos starrte ich ihn an - die Türklinke in meiner Hand und unfähig mich zu bewegen. "Jess..." seine Stimme klang leise "Ich... es tut mir leid du wolltest gerade los" murmelte er mit Blick auf meinen Mantel und die Tasche in meiner Hand.
"Nick du... was ist passiert?" entgegnete ich, ohne weiter auf seinen Einwand einzugehen. "Jess ich...ich brauche Hilfe" gestand mein alter, ehemals bester Freund und ich reagierte ohne zu zögern. "Komm rein" entschied ich und wies ihm den Weg in mein Wohnzimmer. Es schien ganz so, als wäre das Date mit Tony heute hinfällig und ich hoffte, er würde es verstehen.
"Setz dich, ich sag nur eben schnell meinen Termin ab" klärte ich ihn auf und bugsierte seinen mageren Körper auf meine Couch. "Tony..." murmelte er und sah mich an. "Was?" erschrocken drehte ich mich um, das Telefon in meiner Hand. "Du nanntest mich gerade Tony... DER Tony? Du solltest besser...ich sollte besser... gehen" Nick machte Anstalten sich erneut vom Sofa zu erheben, doch ich hob die Hand.
"Nichts da. Ich verschiebe das Treffen und gut. Tony wird das verstehen" entschied ich und nickte bekräftigend. "Jess ich... bitte behalte das für dich, ja? Ich..." Nick zuckte mit den Schultern und sah mich bittend an - sicher war ihm sein plötzliches Auftauchen recht unangenehm. "Ja, okay" stimmte ich zu und wählte Tony's Nummer, während ich mich in die Küche zurückzog. Während das Telefon klingelte und klingelte, fragte ich mich warum Nick so plötzlich hier aufgetaucht war und woher er überhaupt wusste wo ich wohnte. Da Tony scheinbar nicht vorhatte an sein Telefon zu gehen, legte ich seufzend auf und beschloss ihm eine kurze Nachricht zukommen zu lassen - alles Andere konnte ich dann später mit ihm klären.
"Ich muss unser Date leider verschieben. Es kam was Wichtiges dazwischen. Es tut mir leid, ich mache das wieder gut und erkläre dir bei Gelegenheit Alles." tippte ich eilig und wartete, bis die Nachricht ihren Weg zu Tony suchte, ehe ich mich wieder zurück zu Nick begab.
"Was ist passiert, Nick?" wollte ich erneut wissen und ließ mich neben ihm auf dem Sofa nieder. Aus irgendeinem Grund war es in diesem Moment vollkommen egal was in der Vergangenheit passiert war und wie er mich behandelt hatte. Er war hier und er brauchte meine Hilfe - mehr interessierte mich aktuell nicht. Seinem Aussehen nach zu Urteilen hatte Nick eine schwere Zeit hinter sich und ich konnte nur erahnen, dass Drogen hierfür ein entscheidender Faktor waren.
"Es... Tom hat mich verlassen und... ich wusste nicht wohin..." Nick wagte es nicht mich anzusehen, sein Blick war fest auf den kleinen Tisch vor ihm gerichtet. "Ich habe Alles verloren Jess...Alles" murmelte er und schüttelte den Kopf. Mitleid machte sich in mir breit - Nick war verliebt gewesen, ähnlich wie ich damals. Während mir jedoch lediglich das Herz gebrochen wurde, wurde er in etwas viel Tieferes, Finstereres hineingezogen und es schien große Teile in ihm zerstört zu haben.
"Du bleibst erstmal hier und dann bringen wir dich schon wieder auf die Beine, okay?" entschied ich ohne weiter darüber nachzudenken. Ich warf Nick die warme Decke über, die neben mir lag und hörte mir dann seine Geschichte an.
Es schien ganz so, als hätte dieser Tom ihm den Weg zu den Drogen gewiesen. Er hatte ihn als Geldgeber genutzt, ihn abhängig gemacht und als er Alles aus Nick herausgeholt hatte, wurde dieser gegen ein anderes, finanziell abgesichertes Model ausgetauscht. Nick landete auf der Straße und erfuhr mehr oder weniger durch Zufall wo ich zu finden war. "Wir müssen dir Hilfe suchen Nick..." warf ich leise ein, als mein alter Freund seinen Bericht beendet hatte und vor sich hin starrte. "...ja... Aber bitte behalte diese Schande für dich... ich könnte die verurteilenden Blicke nicht ertragen" das erste Mal, seit er auf meinem Sofa Platz genommen hatte, sah Nick mich richtig an. Die braunen Augen wirkten müde, der einstige Funken darin war längst erloschen. "Bitte Jess" wiederholte er und ich konnte nicht anders als zuzustimmen. Dennoch hatte ich nicht die geringste Ahnung, worauf ich mich da einließ.