Goodbye Nick

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"Schätzchen, bist du soweit?" Tony steckte den Kopf zur Tür herein und blickte mich besorgt lächelnd an. Unschlüssig blickte ich in den Spiegel vor mir, ohne jedoch wirklich darauf zu achten was sich mir dort zeigte. Die letzten Tage hatte ich überwiegend in einem dichten Nebel verbracht, der mich vor allen Emotionen und vor Allem der Realität schützte, doch seit gestern waren die Beruhigungsmittel abgesetzt und so langsam holte mich die eiskalte Tatsache ein, dass ich meinen besten Freund erschossen hatte.Noch immer hatte ich keine einzige Träne vergossen und noch fühlte ich mich sicher, dass ich die Beerdigung heute überstehen würde - aber noch befand sich ein minimaler Teil der starken Beruhigungsmittel in meinem Blut.Tony trat hinter mich und legte mir seine Hände auf die Schultern, er trug einen schwarzen Anzug und sein mitfühlender Blick traf mich über den Spiegel.


Müde hob ich den Blick um ihn anzusehen, auch wenn ich in den letzten Tagen nicht allzu viel mitbekommen hatte, so waren seine Berührungen und seine Worte ein steter Teil meiner emotionslosen Wolke gewesen - ER war der Anker, der mich an der Realität festhielt. "Wir müssen los..." murmelte er leise und küsste mich auf den Scheitel, ehe er mich zu sich umdrehte. Schweigend nickte ich und versuchte zu ergründen wie ich mich fühlte, denn noch schien der harte Boden der Tatsachen mich nicht vollends getroffen zu haben. "Okay..." murmelte ich leise und ließ mich von ihm nach draußen zu den Fahrstühlen schieben. Wie im Traum erlebte ich den Gang hinunter zur Tiefgarage und die anschließende Fahrt zum Friedhof - vielleicht war dies ja auch wirklich nur ein Traum?!"Oh Jess..." es war Karen, die mich stürmisch an ihre Brust drückte und mir immer und immer wieder ins Ohr flüsterte wie leid es ihr tat. Steif ließ ich es über mich ergehen und nickte lediglich, als auch Josh mir sein Beileid bekundete. Mehr Menschen waren nicht auf diesem Friedhof, denn mehr Menschen war Nick nicht wichtig gewesen. Seit über zwanzig Jahren waren Er und ich ein eingespieltes Team gewesen, wir hatten Alles zusammen durchlebt, hatten geweint, gelacht und jede Menge zusammen erlebt und jetzt...jetzt lag er da in dieser Holzkiste und würde auf alle Ewigkeit unter einem Haufen Dreck verscharrt werden.


Regungslos lauschte ich diesem Fremden, der vor uns stand und Etwas von Gott und Erlösung faselte, der inneren Frieden und Wiedergutmachung predigte - ob er wohl wusste, dass ICH es war, die diesem Menschen das Leben genommen hatte? Sicher nicht, denn sonst würde er mich nicht all die Zeit über so ekelhaft mitleidig ansehen!Ich spürte Tony's festen Griff auf meinen Schultern - erneut war ER es, der mich in dieser Welt hielt und dafür sorgte, dass ich mich der Realität sanft näherte statt mich einfach darauf stürzen zu lassen.Ich spürte wie Karen mich mit nassen Augen ansah, spürte wie JEDER dieser Menschen um mich herum darauf wartete, dass ich endlich weinte und endlich zeigte wie ich mich fühlte, doch ich fühlte... Nichts....Mein Gesicht war wie versteinert, als ich dabei zusah wie erst Josh und dann Karen eine Schaufel Erde in dieses schaurige Loch rieseln liesen, gefolgt von der obligatorischen Rose - weiteres Leben, das unter diesem Dreck verscharrt wurde. Tony blickte mich einige Sekunden lang zweifelnd an, als ich mich noch immer nicht bewegte und entschloss sich dann, den ersten Schritt zu machen. Stumm sah ich dabei zu, wie auch er erst die Erde und dann die Rose auf die Holzkiste fallen ließ um sich dann zu mir zu drehen und mir aufmunternd und tröstend zuzulächeln.


"Jess wenn du nicht..." Karens Stimme wirkte unfassbar weit weg, obwohl sie direkt neben mir stand, obwohl sie ihre Hand auf meinen Arm legte und sich sorgenvoll zu mir beugte... ich konnte sie kaum hören, doch ich nickte immer und immer wieder - wie einer dieser verdammten Dackel auf dem Rücksitz eines Auto's."Schätzchen, es ist okay wenn du nicht..." Tony trat vor mich, seine warmen, braunen Augen suchten meinen Blick und er ergriff meine Hand doch ich konnte ihn weder hören noch spüren...Wie versteinert stand ich auf dem Rasen vor diesem Loch, während alle Augen auf mich gerichtet waren - ich spürte wie der Druck in meinem Inneren wuchs und mit jeder Sekunde die verging, wurde das Rauschen in meinem Kopf lauter. "Vielleicht sollten wir sie nach Hause bringen..." flüsterte Karen fast unhörbar an meiner Seite und in diesem Moment trat ich den ersten Schritt vorwärts - ohne es zu wollen. Meine Beine setzten sich wackelig in Bewegung, als ich auf das trostlose Loch zusteuerte in dem mein bester Freund in einer Kiste lag. Ich verzichtete darauf noch mehr Dreck auf den Sarg zu werfen, ebenso ignorierte ich die Rose, die Tony mir schweigend hinhielt - ich blickte einfach nur in dieses Loch. Vor meinem inneren Auge sah ich Nick, wie er mich zum Tanzen aufforderte, ich sah ihn wie er mir lächelnd Pizza-Reste aus dem Haar klaubte, sah wie er mich immer und immer wieder vor Allem beschützte was man als Teenager so erlebte und vor Allem sah ich, wie er glücklich und aus vollem Herzen lachte.


Nick... Der einzige Mensch in meinem Leben, der immer an mich geglaubt hatte...Und dann... dann tauchte DAS in meinem Kopf auf, wovor ich mich all die Zeit gefürchtet hatte - ich sah wie Nick's lebloser Körper zur Seite kippte, sah wie Blut aus seinem Kopf sickerte, sah das rosafarbene Fleisch seines Hirns, das durch den zersplitterten Knochen blitzte und ich konnte sein warmes Blut auf meiner Haut spüren... Schluchzend ließ ich mich auf die Knie sinken und schrie all meinen Kummer und all meinen Schmerz lauthals heraus. Es war meine Schuld, dass er tot war und diese Tatsache würde mich auf ewig verfolgen...

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