Selbstvorwürfe

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Tony blickte sorgenvoll zu Jess, die wie versteinert auf Nick's Sarg blickte und dabei die Rose, die er ihr hinhielt ignorierte. Seit Tagen hatte sie überwiegend geschlafen oder war wie ein Zombie umhergewandert - hatte nicht die geringste Emotion gezeigt, sodass er sich schon besorgt an ihren Arzt gewandt hatte. Auf Anraten dieses Arztes hatte er das Beruhigungsmittel reduziert und heute dann sogar komplett weggelassen, doch bis zu diesem Augenblick hatte Jess noch immer keine einzige Gefühlsregung gezeigt.Es besorgte ihn zutiefst, wie sehr sie sich in ihrer eigenen Welt vergrub und einzig die verzweifelten Blicke, die sie ihm hin und wieder zuwarf, zeigten ihm dass sie noch Teil dieser Welt war und ihn wahr nahm.


Tony wechselte einen besorgten Blick mit Karen, die ihm ein mitfühlendes Lächelnd schenkte, als ein markerschütternder Schrei die Stille des Friedhofes durchbrach. Während alle Anwesenden erschrocken zusammen zuckten, blickte er instinktiv zu der Person an seiner Seite und erstarrte urplötzlich zu Stein.Jess war neben dem Grab auf die Knie gesunken und schrie aus Leibeskräften, während sich die lange zurück gehaltenen Tränen ihren Weg über ihr Gesicht bahnten. Schluchzend holte sie Luft, als Tony sich neben sie auf die Erde kniete und seine Arme um ihren zitternden Körper schlang. "Er hat das nicht verdient..." schrie sie außer sich, ehe sie ihr Gesicht fest an seine Schulter presste und ihre Stimme gedämpft wurde. Er wusste, dass dies kommen würde - er hatte geahnt, dass früher oder später die harte Realität auf sie einprasseln und sie mit dem konfrontieren würde was sie getan hatte. Was sie für IHN getan hatte!Trotz seiner Bemühungen sie so behutsam wie möglich dorthin zu führen, schien sie die Trauer gerade mit voller Wucht zu treffen und auch ihn ließen ihre Tränen nicht unberührt. "Er hat das nicht verdient, Tony... ich... ich hätte ihm helfen sollen und jetzt..." schluchzte sie bitterlich und Tony fühlte sich so hilflos wie nie zuvor in seinem Leben.ER war der Grund weshalb Jess abgedrückt hatte, ER war der Grund für ihre Tränen und ihren Schmerz und diese Tatsache war schier unerträglich für ihn.


Hilfesuchend blickte er hinüber zu Karen, die ihm ebenfalls mit tränenüberströmtem Gesicht entgegenblickte.Ihr Verlobter schlang seine Arme um ihre Schultern und redete ihr gut zu, während sie leise zu schluchzen begann. Karen hatte geschockt reagiert, als Tony ihr vor einigen Tagen von den Geschehnissen erzählt hatte, dennoch war sie über Nick's Verhalten weit weniger überrascht als sie es sein sollte. Nun vielleicht war er nicht der Einzige gewesen, der die Gefahren hatte kommen sehen und zumindest dies hatte ihn ein wenig beruhigt. Die Freundin hatte verständnisvoll reagiert und ihm zugesichert, sich um Alles zu kümmern was das Bistro betraf - so lange bis Jess wieder vollends auf den Beinen war. Ihre Angebot, ihm jederzeit ein offenes Ohr zu bieten hatte Tony tief gerührt und er hoffte inständig, dass Jess diese Freundschaft genauso schätzte wie die zu Nick.


Tony schluckte und schlang seine Arme ein wenig fester um den Körper der Frau die er liebte, seine Lippen pressten sich auf ihren Scheitel und er schloss die Augen, um seiner eigenen Emotionen Herr zu werden. "Ich hätte ihm helfen müssen..." wiederholte Jess erneut, ehe sie fast unmenschliche Laute von sich gab die ihr tiefes Leid zum Ausdruck brachten. "Es tut mir so leid... es.. es tut mir so unfassbar leid..." murmelte er an ihrem Haar und klammerte sich an sie, wie ein Ertrinkender.Natürlich gab er sich für diese Situation die Hauptschuld und es war keine Minute in den letzten Tagen vergangen, in denen er die Situation nicht analysiert und sein eigenes Verhalten in Frage gestellt hatte. Immer und immer wieder hatte er sich die Videoaufnahmen angesehen, hatte Jarvis alle Möglichkeiten durchspielen lassen nur um Nachts weiter darüber nachzugrübeln, während er eng umschlungen mit Jess im Bett lag.Er würde Alles, wirklich Alles tun um Jess diesen Mann wieder zu bringen und die Situation anders zu lösen, doch bei allen Wundern die er bisher erbracht hatte, so war ihm dieses Eine nicht möglich.


"Ich..." schluchzte Jess kaum hörbar an seiner Schulter "...ich möchte hier weg. Bitte Tony bring mich hier weg..." flehte sie und hob den Kopf um ihn aus nassen Augen anzusehen. Tony schluckte seine eigenen Tränen hinunter und nickte langsam "Okay. Wir bringen dich hier sofort weg..." murmelte er und zog sie mit nach oben, als er sich langsam aufrichtete. Er wechselte einen kurzen Blick mit dem Priester, der sie Beide mit einer Mischung aus Mitleid und Schrecken ansah und schlang seinen Arm fest um Jessica's Schulter, als er Josh und Karen langsam zunickte. Schweigend traten die Vier zu ihren Wagen und wechselten einen kurzen Blick, ehe sich die kleine Trauergemeinde auflöste und er dafür sorgte, dass Jess ihre Trauer so bewältigen konnte, wie sie es in diesem Moment brauchte.

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