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Für einen kurzen Moment stoppte Naira in ihrer Bewegung. Natürlich hatte sie sich verändert. Hatte er etwa etwas anderes erwartet nach all den Jahren, wo sie sich nicht gesehen hatten? Sie hatte sich ihrem neuen Leben angepasst, auch wenn sie das von Grund auf verändert hatte.

Ohne den König eines weiteren Blickes zu würdigen aß Naira weiter. »Ich denke ich bin einfach erwachsen und meiner Pflichten mehr bewusst geworden eure Majestät.«, erklärte sie Thranduil höflich, während sie auf das übriggebliebene Salatblatt auf ihrem Teller starrte. Nach allem, was sie wusste war es klüger die Konversation mit dem König des Düsterwaldes auf ein Minimum zu beschränken. Ihr Magen drehte sich im Kreis, als sie hörte wie Thranduil sich leise räusperte. Offensichtlich war er nicht ganz damit einverstanden, dass das Gespräch schon vorbei war.
Stirnrunzelnd nahm Thranduil einen Schluck Dorwinion Rotwein aus seinem mit Edelsteinen besetzten Goldkelch. Glaubte sie daran, was sie gerade gesagt hatte?
»Jede Elbin und jeder Elb wird einmal erwachsen. Für gewöhnlich verändert das aber nicht die primären Charakterzüge.« Er hatte seinen Blick wieder an Naira geheftet, die sich unterbewusst unter dem brennenden Blick zusammenkauerte. Er sollte aufhören ihr so viel Aufmerksamkeit zu schenken. Viel Aufmerksamkeit von ihm hieß über kurz oder lang nämlich Tod und verderben und genau das wollte sie abwenden. Abermals verfluchte sie sich dafür, dass sie nicht einfach den längeren Weg genommen hatte. Es hätte ihr einiges erspart.

»Ich nehme an, dann waren es wohl nicht meine primären Charakterzüge.« Sie sollte nicht hier sein. Wenn das Gespräch noch weiter in diese Richtung verlief, dann würde ihr Kopf aufgespießt im Thronsaal landen. Auch, wenn Thranduil sich um einen ruhigen Ton bemühte entging Naira der wütende Unterton nicht, der in seiner Stimme mitschwang. Ihr Magen zog sich unangenehm zusammen, als sie sich nervös erhob.
»Wenn ihr mich entschuldigen würdet.« Sie wagte es nicht den Elbenkönig am Kopf des Tisches anzusehen. Sie rechnete sogar damit, dass im nächsten Moment zwei Soldaten um die Ecke kommen würden um sie festzunehmen. Nichts dergleichen geschah. Thranduil ließ sie ziehen und beobachtete die Elbin dabei, wie sie mit hektischen Schritten den Speisesaal verlief.

Die grimmige Mimik von Thranduil sorgte schlussendlich auch dafür, dass sich die restlichen am Tisch Anwesenden schnell aus dem Staub machten. Sobald Naira den Speisesaal verlassen hatte war seine Miene gefallen. Die anderen Elben hatten das schon viel zu oft erlebt, deshalb hatten sie auch den Speisesaal verlassen. Wer jetzt noch bei Thranduil war, der würde unweigerlich dafür bestraft werden.
Der letzte Elb, der mit schnellen Schritten aus dem Thronsaal floh konnte hören, wie das edle Silbergedeck laut scheppernd auf den Boden flog. Seine Schritte beschleunigten sich nur noch mehr. Die Anwesenheit der fremden Elbin schien einen Sturm in Thranduil aufleben zu lassen, der für die längste Zeit tief in seinem Inneren geschlummert hatte.

Schwer atmend saß der Elbenkönig am Kopf des ausgestorbenen Tisches. Wie konnte Naira es wagen ihn einfach zu ignorieren? Und das auch noch, nach allem was sie erlebt hatten? Sein Blick glitt über das silberne Besteck und das restliche Gemüse am Boden. Er würde dafür sorgen, dass sie mit ihm sprach und dabei war es egal, ob sie für ewig hier im Scloss bleiben würde.
Ruckartig erhob Thranduil sich von seinem hölzernen Thron. Seine Soldaten mussten in seinen Plan eingeweiht werden.
Nachdem er dies getan hatte konnte er ruhig schlafen. Naira war hier. Die Naira, mit der er früher so vieles geteilt hatte und die bestimmt noch irgendwo in der kleinen verängstigten Elbin mit den rosa Wagen und den langen blonden Haaren vorhanden war.

Als Naira am nächsten Morgen ihre Augen aufschlug war es still im Schloss. Ein kurzer Blick auf den Stand der Sonne verriet ihr allerdings, dass es schon bald Mittag sein musste. Irritiert richtete sich die junge Elbin auf und lief zum Fenster. Früher hatten jeden Morgen die Vögel gesungen und sie so aufgeweckt. Was war nur passiert? Hatte die Kälte des Königs etwa auf sein ganzes Reich abgefärbt? Fürchteten sich sogar die unschuldigen Tiere vor seinem Jähzorn? Naira seufzte leise, als sie ihren Blick über die Baumwipfel des Düsterwaldes schweifen ließ. Seit sie den Düsterwald damals verlassen hatte war anscheinend alles den Bach runter gegangen. Sie stand eine ganze Weile am Fenster, bevor sie sich wieder ins Gedächtnis rief was sie eigentlich tun wollte. Heute Nachmittag würde sie wieder bei ihrer Familie sein.
Für einen kurzen Moment kniff sie hoffend die Augen zusammen. Wenn alles gut lief, dann musste sie ihren Eltern nie erzählen, dass sie im Düsterwald gewesen war. Vielleicht würden sie ihr dann endlich mehr zugestehen. Sie wollte nicht noch länger in ihrem Zimmer sitzen und nichts tun. Sie hatte diesen Brief auch nur überbringen dürfen, weil es dringend war und niemand anderes zur Verfügung stand. Der erste Vertrauensbeweis ihrer Eltern seit vielen Jahren. Sie würden niemals erfahren, dass sie das Vertrauen, was ihre Eltern in sie gesetzt hatten missbraucht hatte.

Thranduil || Flammendes Herz √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt