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Ein kalter Tropfen Wasser, der direkt auf ihre Stirn getropft war ließ Naira aus ihrem unruhigen Schlaf nach oben schrecken. Um sie herum war es finsterer, als in manch vergessenen Schatzkammer. Zitternd vor Kälte strich sie sich den Tropfen aus dem Gesicht und blieb dabei kurz in ihren Haaren hängen, die ebenfalls der Nässe zum Opfer gefallen waren. Thranduil würde sie niemals einfach freilassen, also musste sie handeln.
Vorsichtig zog sie sich eine Haarspange aus ihren blonden Haaren und tastete sich anschließend an der Wand entlang bis zum Gitter. Sie konnte kaum ihre eigene Hand vor den Augen sehen, als sie versuchte das Schloss der Zellentür zu knacken. Ein aussichtsloses Unterfangen. Eine ganze Weile stocherte Naira verzweifelt im Schloss umher. Irgendwie musste das doch funktionieren! Aber da war nichts. Kein Laut oder ein anderer Hinweis, dass das Schloss ihrem verzweifelten Versuch zu fliehen nachgab. Verzweifelt ließ sie vom Schloss ab. Sie würde es nicht schaffen. Es gab keine Hoffnung mehr für sie. Sie würde auf alle Ewigkeit hier festsitzen. Ihre Eltern mussten mittlerweile auch schon bemerkt haben, dass sie fehlte. Sie wusste nicht was schlimmer war. Die Situation in der sie sich befand oder die Situation, die sie erwartete, wenn sie den Düsterwald jemals wieder verlassen sollte.

Hoffnungslos sackte Naira in sich zusammen, während das ein oder andere unterdrückte Schluchzen durch den Zellentrakt hallte. Nicht einmal die diensthabenden Soldaten schien das zu interessieren. Sie hörten und sahen sowas am laufenden Band. An dieser Elbin war nichts anders. Vermutlich würde der König sie in den nächsten paar Tagen schon hinrichten lassen, so wie er es mit all den anderen getan hatte. Sie war einfach eine unter vielen.
Es dauerte nicht lang, da wurden die Schluchzer leise, bis sie schlussendlich komplett verstummten. Ihr waren vor Erschöpfung die Augen wieder zugefallen.

Erst die Schritte von zwei Elben sorgte dafür, dass Naira die Augen wieder aufschlug. Kraftlos richtete sich die Elbin auf und konnte schon anhand der Stiefel erkennen, wer dort vor der Zellentür stand. Wer außer dem König trug im Schloss maßgeschneiderte Stiefel mit so aufwendigen Verzierungen?
Schnell ließ sie ihren Blick über die Elben vor ihrer Tür huschen. Irritiert sah sie auf das Tablett in der Hand des Soldaten. Seit wann wurde einer Gefangenen normales Frühstück gebracht?
Thranduil ließ seinen Blick auf Naira ruhen. Hatte sie begriffen, wie viel besser es ihr gehen würde, wenn sie beim ihm blieb? Forschend musterte er sie und blieb dann an ihrem panischen Gesichtsausdruck hängen. Anscheinend hatte sie nicht dazugelernt.

Erst das leise Räuspern des Soldaten sorgte dafür, dass Thranduil seinen Blick von Naira löste. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren griff er in die Tasche seiner silbernen Robe und zog einen goldenen Schlüssel hervor, der am Ende mit einigen Schnörkeln und Ranken verziert war. Gleichzeitig mit Naira fiel sein Blick auf das Schlüsselloch. Jetzt verstand der König auch, warum sich der Soldat so unwohl geräuspert hatte. Die Haarspange von Naira steckte dort immer noch und sah beinahe lächerlich in diesem großen Schlüsselloch aus. Hatte sie wirklich gedacht, dass sie so fliehen konnte?

Mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck versenkte Thranduil den Schlüssel im Schlüsselloch, was zur Folge hatte, dass die Haarspange zu Boden fiel und dort liegen blieb. Sollte sie doch nochmal versuchen zu fliehen und so seinen Zorn auf sich ziehen.
Naira hielt bereits seit geraumer Zeit ihren Kopf gesenkt und wagte es nicht den König anzusehen. Ihre Angst vor dem, was er jetzt wohl mit ihr tun würde war einfach zu groß.
Das Einzige, was allerdings passierte war, dass der Soldat die Zelle betrat, das Tablett mit Essen abstellte und dann nach einer kurzen Verneigung wieder verschwand. Thranduil verweilte vor ihrer Zellentür und starrte sie weiter an. Vielleicht ergriff sie dieses Mal ja von alleine das Wort.

Vom Hunger getrieben näherte sich Naira dem Tablett. Und wenn das Essen vergiftet war, dann hatte sie zumindest einen halbwegs angenehmen Tod. Sie hatte seit gut einem Tag nichts mehr gegessen, selbst wenn ihr Kopf sie davor warnte das Essen zu essen, war ihr das egal. Mit schnellen Bissen machte sie sich über das Essen her und versuchte dabei den Elbenkönig zu ignorieren. Thranduil war mittlerweile dazu übergegangen jede einzelne Bewegung von Naira zu studieren und daraus ihre Gedanken abzuleiten. Aber ihre Ignoranz ihm gegenüber ging ihm gewaltig auf die Nerven.
»Ihr scheint mich nicht wiederzuerkennen.« Stellte er trocken fest, als sie den nächsten Bissen herunterschlang. Wenn er sich an die alte Naira zurückerinnerte, dann passte das Gesamtbild hinten und vorne nicht. Sie hätte sich niemals von ihm einschüchtern lassen, egal was er tat. Sie hätte sich allgemein von niemandem so einschüchtern lassen, wie sie es gerade tat. Was war ihr widerfahren und wieso hatte sie so schreckliche Angst vor ihm? Sie hatte ihn einen grausamen Elb genannt. Das war er in gewisser Hinsicht zwar auch aber sie hatte weit nicht das Hintergrundwissen, um ihn deshalb als grausam darzustellen.

Thranduil || Flammendes Herz √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt