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Das Abendessen hatte Naira absichtlich ausfallen lassen. Sie wollte dem König heute auf keinen Fall begegnen. Langsam setzte sie sich auf die steinerne Burgmauer und ließ ihre Füße über den Rand baumeln. Nachdenklich linste sie nach unten, nur um festzustellen, dass sie sich höchstens das Bein brechen würde, wenn sie jetzt sprang. Mit einem leisen Seufzen starrte sie weiter in den Düsterwald. Würde sie es schaffen rechtzeitig in den Schutz des Waldes zu fliehen? Vermutlich nicht, vor allem nicht mit einem gebrochenen Bein. Wenn sie die Flucht ergriff, dann musste sie das klüger anstellen.

Ein Soldat näherte sich der Elbin langsam. Er hatte schon längst erkannt, wer dort auf der Mauer saß. Immerhin hatte der König nur wegen ihr angeordnet die Kontrollen zu verstärken und genaustens zu überwachen, wer das Königreich betrat oder verließ. Fast die ganze Wachablösung war für eine exakte Beschreibung der blonden Elbin genutzt worden. Jedes Mitglied der Wache wusste, wer sie war und wie sie aussah. Thranduil hatte sie mit allen Einzelheiten vertraut gemacht. Dass sie oft ihren Kopf nach vorne neigte, sodass ihr die blonden Haare ins Gesicht fielen, das unsichere huschen ihrer Augen von einer Seite zur anderen, wenn sie verunsichert war. Er hatte ihnen sogar beschrieben, wie es sich anhörte, wenn Naira durch die Gänge lief. Der Soldat beobachtete Naira eine Weile. Er kannte diese Elbin und das nicht nur aus Thranduils Erzählungen. Jetzt verstand er auch, warum Thranduil so besessen von ihr war. Augenblicklich kam ihm das fröhliche Lachen eines Elbenmädchens in den Sinn, dass hinter einem Elbenjungen herjagte. Vor seinem inneren Auge sah er, wie die Silhouetten der beiden auf den Baum im Garten kletterten, nachdem sie den wachhabenden Soldaten Streiche gespielt hatten. Ein gutmütiges Lächeln huschte über sein Gesicht, bevor er auf die Elbin zulief und neben ihr zum Stehen kam. Sie würde sich sicher nicht beschweren, wenn ihr jemand ein offenes Ohr bot. Ihr damaliger bester Freund schien das nicht mehr zu tun. Ruhig ließ er seinen Blick über den Düsterwald wandern.
»Solltet ihr nicht schlafen?« Er hatte seinen Bogen an die Mauer gelehnt und stützte sich jetzt selber mit den Armen auf dieser ab.

Naira starrte weiter in den Düsterwald. Thranduil hatte also alle im Königreich eingeweiht, dass sie auch ja nicht unbemerkt die Flucht ergriff. Sie ballte ihrer Hand leicht zu einer Faust. Es gab kein schlimmeres Gefühl als dieses. Das Gefühl der Hilflosigkeit, wo Andere über sie bestimmten. Sie war eine Marionette aller Anderen. Umso mehr verwunderte es sie, dass der Soldat mit ihr sprach. Thranduil hatte ihnen sicher verboten Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Langsam drehte sie ihren Kopf zu dem Soldaten, der links von ihr stand und sie keines Blickes würdigte. Die Sonne war schon fast hinter dem Horizont verschwunden, dementsprechend konnte sie ihn kaum erkennen. Nur die goldene Rüstung, die er trug, reflektierte das Licht des aufgehenden Mondes und spendete etwas Licht.
»Ich kann nicht schlafen.« Der Soldat nahm seinen Helm ab und wendete sich mit einem sanften Lächeln Naira zu. Er wusste, wer sie war und warum Thranduil sie so behandelte, wie er es tat.

»Ich werde meine Familie nie wieder sehen. Ich werde dieses Königreich nie wieder verlassen. Der... Er... Der König zwingt mich hierzubleiben.« Naira kniff ihre Augen fest zusammen aber trotzdem löste sich eine Träne und lief über ihre Wange. Nachdem sie die Träne mit einer schnellen Bewegung weggestrichen hatte, schüttelte sie den Kopf und atmete einmal tief durch. Keine Tränen! Stattdessen sah sie sich den Elb neben sich genauer an. Die kastanienbraunen langen Haare, die blauen Augen. Sie erkannte ihn von früher. Er war immer noch im Dienst der Wache? Sein Gesichtsausdruck verriet ihr, dass sie ihn ebenfalls erkannt hatte. Aufmunternd sah er der Elbin in die Augen. Er konnte nicht mehr tun, als ihr Trost zu spenden. Mit einem leisen Seufzen wendete er seinen Blick ab und behielt stattdessen den Düsterwald im Blick.

»Unser übellauniger König ist kein Segen, da habt ihr Recht«, pflichtete er ihr jetzt leise bei. Ein lautes Knurren sorgte dafür, dass der Soldat seinen Blick wieder zu Naira wendete. Hatte sie nichts gegessen? Ohne ein weiteres Wort zu sagen zog er zwei Äpfel aus den Taschen seines Umhangs und steckte sie Naira wortlos zu. Das war das Mindeste, was er für die Elbin tun konnte.

Thranduil || Flammendes Herz √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt