Kapitel 94

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Ich viel fast die Treppe hinunter. "Max, sieh her was ich gefunden habe!", rief ich ihm entgegen. Max, der gerade telefonierte hielt seinen Finger an seine Lippen. "Einen Moment noch Aria.", flüsterte er. Er redete deutsch. Mittlerweile konnte ich es schon etwas unterscheiden. Um ehrlich zu sein hatte ich schon vor ein paar Wochen angefangen etwas niederländisch zu lernen, aber ich machte es einfach viel zu selten, als das ich irgendetwas sagen konnte. 

Daraus schloss ich, dass er wohl wahrscheinlich mit Helmut redete, denn auf Anhieb fiel mir sonst keine Person ein, mit der er deutsch reden würde, auch wenn er es fließend konnte. Ich wartete also kurz, platzte aber fast während Max noch telefonierte. Als er schließlich endlich auflegte schrie ich ihn fast an. "Schau!", rief ich und reichte ihm das Foto. "Wer ist das? Warum bist du so aufgeregt?", fragte Max etwas verwirrt, während er das Foto in seinen Händen betrachtete. 

"Ich bin mir ziemlich sicher, dass das Matts Vater ist.", erwiderte ich. Max sah etwas geschockt aus und hielt dieses Bild fast verkrampft in seinen Händen. "Ich habe es in einem Ordner gefunden. Es waren meine ganzen Geburtsunterlagen und Bilder von Christian und in dem zweiten Teil, die Unterlagen von Matt und Bilder von diesem Mann hier."

"Wir sollten Matt sofort anrufen!", sagte Max, während ich bereits auf meinem Handy nach seinem Kontakt suchte. Natürlich hob er nicht ab. Max grinste. "Ganz ruhig, sonst bleibt dein Herz noch stehen. Er ruft dich sicher gleich zurück.", sagte er dann. Ich lächelte leicht. "Ich packe noch die letzten Dinge zusammen, dann können wir uns auf den Weg machen. Du möchtest sicher bald wieder nach Monaco." Max nickte. 

Ich ging also in den letzten Raum dieses Hauses. Ich hatte mich davor gedrückt hineinzugehen, aber ich wollte auf jeden Fall überall nachgesehen haben, ob ich etwas vergessen habe. Es war das Schlafzimmer meiner Mutter. Ihre Kleidung hang noch am Schrank, das Bett war bezogen und ihr Schmuckkästchen, dass schon vor lauter Schmuck überquoll stand noch offen. Es war fast so als würde sie jeden Moment wiederkommen. Alles sah so aus wie immer. 

Es war komisch sich vorzustellen, dass sie diesen Raum tatsächlich nie wieder betreten würde. Irgendwie sollte das einfach nicht in meinen Kopf gehen. Die ganze Zeit über hatte ich das Gefühl, dass sie gleich hinter mir stehen würde und mich fragen würde, was ich denn in ihrem Schlafzimmer verloren hätte. Ich schüttelte leicht den Kopf, während ich die Schränke öffnete. 

Es war voll mit Kleidung. Es kamen praktisch täglich neue Pakete mit irgendwelcher Kleidung an, die sie dann doch nie getragen hat und nur hinten im Schrank verschwunden waren. Ich wollte keines dieser Stücke mitnehmen, auch wenn sie Großteils ungetragen waren. Richtig passen würden sie wohl sowieso nicht und ehrlich gesagt hatte ich auch nicht wirklich Interesse daran. 

In einer Schublade fand ich etliche ungeöffnete Briefe. Es waren alles Rechnungen. Ich wusste immer, dass sie Schulden hatte, aber ich hatte keine Ahnung wie viel es wirklich waren. Plötzlich stellte ich mir die Frage, die ich mir wohl noch nie in meinem Leben zuvor gestellt hatte: Konnte man Schulden erben? Ich musste unbedingt Aiden anrufen. 

Es wäre ein passendes Ende für die ganze Geschichte, wenn ich und Matt auch noch ihre Schulden bezahlen dürften. Ihre letzte Last, die sie uns noch aus dem Grab heraus auferlegte. Schnell schob ich die Schublade wieder zu. Ich wollte mich ehrlich gesagt nicht damit beschäftigen. Nicht heute. 

Am Ende setzte ich mich auf ihr Bett. Ich hätte es mir eigentlich denken können, dass ich nicht finde, was ich brauchen kann. Jetzt war ich aber wirklich durch das ganze Haus gegangen. Auf einmal überkam mich ein Gefühl. Es war als hätte ich ihren Tod akzeptiert. Mir kam das alles sehr schnell vor. Wie oft hatte ich von den fünf Phasen der Trauer gehört. 

Bei mir war es anders. Es brauchte diesen einen Tag im Haus meiner Mutter um Abschied von ihr zu nehmen, aber jetzt konnte ich irgendwie damit umgehen. Ich hatte sie seit Monaten nicht gesprochen und somit änderte sich sowieso kaum etwas. So lange habe ich sie verteufelt und für das gehasst was sie getan hat. Irgendwie konnte ich einfach nicht wirklich traurig sein. 

Es war an der Zeit weiterzumachen. All die alten Geschichten hinter mir zu lassen und endlich nach vorne zu blicken. Ich ging wieder nach unten, wo Max bereits auf mich wartete. "Matt hat zurückgerufen, aber ich dachte mir, du möchtest es ihm gerne sagen.", sagte er dann. Ich lächelte leicht. "Danke! Ich rufe ihn gleich an."

Diesmal hob Matt zum Glück gleich ab. "Wir scheinen uns heute immer wieder zu verpassen.", sagte er lachend. "Stimmt wohl. Du Matt, ich bin gerade in dem Haus unserer Mutter. Ich wollte noch ein paar Sachen mitnehmen. Ich habe etliche ungeöffnete Rechnungen und Mahnungen gefunden." Keine Ahnung warum mir nicht gleich die wirklich wichtigen Dinge über die Lippen kamen. Ich konnte es einfach nicht. 

"Wundern tut mich das ehrlich gesagt nicht. Genau wusste ich es nie, aber so viele Pakete wie immer angekommen sind, konnte ich mir kaum vorstellen, dass sie keine Schulden hatte. Das wird sich schon alles regeln lassen.", sagte Matt dann. Ein Spaß würde es nicht werden, aber notfalls könnten wir die Schulden wohl bezahlen. Nicht nur das Matt und ich beide nicht schlecht verdienten und ich faktisch keine Ausgaben hatte, so würden Dad und Max wohl auch einspringen und die hatten nun wirklich genug Geld. 

Schön würde es nicht werden, sie um Geld zu bitten, aber sie würden es tun. So viele Schulden konnte meine Mutter gar nicht angehäuft haben. "Vielleicht können wir die Schulden einfach von dem Haus bezahlen. Ich muss aus diesem Erbe nicht unbedingt gewinn schlagen.", sagte Matt dann. Die Idee war mir ehrlich gesagt noch gar nicht gekommen. Keine Ahnung warum, weil es eigentlich total naheliegend war. 

"Matt, der Grund warum ich anrufe ist eigentlich ein anderer. Ich bin auch im Büro die ganzen Dokumente durchgegangen. Ich dachte mir vielleicht finde ich noch etwas, was uns beide betrifft und das habe ich auch. In einem Ordner habe ich alles was mit meiner Geburt zu tun hatte gefunden und ein paar Bilder von Christian. Matt, es war auch ein Teil über dich und einen anderen Mann. Ich glaube er ist dein Vater."

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