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Elena

»Das erste Mal auf russischem Boden, dass ich das noch erlebe«, seufze ich beim Verlassen des Flughafens. Lynn schießt fleißig Bilder neben mir, schlingt ihren Arm um meine Schultern und drückt ihre Lippen auf meine Wange, für einen Schnappschuss. Ich lache in die Kamera, sie drückt sekundenschnell auf den Auslöser.
»Hach es ist so schön!«, schwärmt sie, dabei kennt sie nur den Flughafen. »Warte doch erstmal, bis wir den Rest gesehen haben«, antworte ich, hake mich bei ihr unter. Wir suchen uns ein Taxi, was uns zum Hotel bringen wird. Ein freies lässt nicht lang auf sich warten. Zum Glück spricht der Fahrer etwas Englisch und weiß sofort, wohin wir möchten. Er ist so nett und hebt die schweren Koffer in den Kofferraum, während wir auf dem Rücksitz platznehmen. »Los gehts«, freut Lynn sich, schnallt sich aufgeregt an. Auch ich lege den Sicherheitsgurt um, zücke mein Telefon, um ein paar Bilder während der Fahrt zu machen.
Wir fahren am Hafen entlang, dessen klares Meer gegen die Hafenmauer prallt. Die Ostsee ist rau, aber leuchtend blau. »Es ist so schön«, schwärmt Lynn aus ihrem Fenster sehend. Auf meiner Seite erkenne ich die ersten mehrstöckigen Häuser.
Je näher wir der Innenstadt kommen, desto schöner und eleganter sind sie geschmückt, mit allerlei Stuck und Verschnörkelungen. Bunte Blumen hängen von den Laternen, die teils vergoldeten Geländer der Brücken, glänzen in der Sonne. Ich kann flache Boote durch den Kanal fahren sehen, gutgelaunte Menschen, die durch die Straßen ziehen. Kleine Cafés reihen sich in einer Straße, dessen Namen ich nicht kenne, direkt am Kanal.
»Schau mal Elena, die Eremitage. Da müssen wir unbedingt hin!«, macht mich Lynn aufgeregt neben mir darauf aufmerksam, klatscht mir immer wieder gegen den Arm. Neugierig beuge ich mich zu ihr, betrachte das hohe, emporragende Gebäude auf der anderen Straßenseite. Hohe Säulen stützen das alte Gebäude, dessen Fassade mindestens genauso mit Verzierungen geschmückt ist, wie die der anderen Häuser.
»Oh Ja, ich möchte mir die Juwelen ansehen«, stimme ich mich zu, lege mein Kinn auf ihrer Schulter ab. Zusammen schauen wir aus dem Fenster, sprechen weiter über die Dinge, die wir uns ansehen wollen. Ich spüre, dass es eine schöne Zeit wird.

Zwanzig Minuten brauchen wir bis zum Hotel. Bereits beim Anfahren habe ich gemerkt, wie zentral es liegt. Ich kann den Namen zwar nicht aussprechen, da er in kyrillischer Schrift, auf der sandigen Fassade prangt, aber die Hallen des Erdgeschosses, machen einen edlen Eindruck auf mich. Hohe Decken, vertäfelte Wände, schrecklich teure Kunstwerke an den Wänden. Der Boden ist mit einem glänzenden Marmor aufwendig verfliest, jede Platte passt an die andere. Fasziniert hebe ich meinen Kopf in den Nacken, betrachte die bemalte Decke, die fast vollständig mit Stuck verkleidet ist. Schwere Kronleuchter hängen an ihm hinab, werden ein warmweises Licht auf die Räumlichkeiten.
Ein Mann Mitte vierzig, mit gebügeltem Anzug und blitzblank poliertem Namensschildchen steht hinter einem Tresen.
»Guten Tag«, begrüßt Lynn den Portier höflich. »Guten Tag, wie kann ich ihnen helfen?«, erkundigt er sich bei uns. Lynn kramt in ihrer Tasche, sucht sichtlich nach etwas. »Einen Moment«, murmelt sie konzentriert. Das Gesicht des Portiers beginnt skeptisch zu werden, weshalb ich vortrete und meine Hand auf den Tresen lege, um auf mich aufmerksam zu machen. »Wir haben reserviert, auf die Namen Herold und Reynolds«, mische ich mich ein. Die blauen Augen des Mitarbeiters wandern zu mir, ich zwinge mir ein Lächeln auf. Er räuspert sich kurz, sinkt auf seinen Stuhl, um im Computer nach etwas zu suchen.
»Natürlich. Sie haben die Nummer siebenhundertfünf. Hier sind ihre Karten«, händigt er uns zwei Schlüsselkarten aus. Dankend nehmen wir uns jede eine. »Im Zimmer haben sie alles was sie brauchen, sollten sie fragen haben, über das Telefon neben dem Bett können sie uns jede Zeit erreichen«, erzählt er gut gelaunt. »Vielen Dank Sir«, sagt Lynn für uns beide. Wir versuchen nicht mal, seinen Nachnamen auszusprechen. Die vielen R's und V's und W's darin, lassen es wie ein Paar wahllose Buchstaben ausschauen. Ob er den Namen selbst aussprechen kann?

Wir verabschieden uns bei ihm, schnappen uns die Koffer und gehen Richtung Aufzug. Dieser bringt uns bis nach oben in die siebte Etage, zu unserem Zimmer. Aufgeregt quietscht meine beste Freundin auf, drückt die Schlüsselkarte gegen die Tür, wartet auf das kleine grüne Licht. Als das klicken dazu ertönt, stößt sie die schwere Tür auf, rennt hinein. Gerade noch so bekomme ich einen Fuß zwischen den Rahmen und die Tür, bevor sie ins Schloss fällt. Ich trete ein, sehe Lynn schon auf einem der Betten liegen. Unsere Koffer lasse ich in dem kleinen Flur stehen, lege meine Tasche auf der Kommode ab und sehe mich um.
Schwere Vorhänge und Bettdecken lassen das Zimmer warm und bequem fühlen. Die breite Fensterfront hat einen französischen Balkon, vor dem zwei Sessel und ein schmaler runder Tisch sehen. Auf dem Boden liegt blauer Teppich, der gerade erst gesäubert wurden, war. Das kann ich an den Staubsauger Spuren erkennen.
Über den zwei Queen-Size Betten, hängt ein gigantisches Bild, auf dem das Meer abgebildet ist. Wellen schlagen gegen die Hafenmauer, im Hintergrund wird die Sonne mit dem Wasser eins. Ich erkenne die Szene wieder, es muss sich um die Straße am Hafen handeln, auf der wir vorhin gefahren sind.
Die Blonde seufzt zufrieden auf, streckt alle vier von sich und schließt die Augen. Sie liegt auf dem linken Bett gleich am Fenster, also nehme ich das rechte im Zimmer, sinke auf die frischen Laken hinab. »Wow«, wispere ich, meine Finger streichen über die die weichen Bezüge. »Ich werde dieses Bett mitnehmen«, murmelt Lynn träumerisch, drückt sich in die Bettdecke und seufzt erneut. Lächelnd tue ich es ihr gleich und schließe meine Augen für einen Moment. Es ist ganz still im Raum, von draußen dringt nichts hinein. Ein komisches Gefühl nach den vielen Jahren im Verkehrschaos von London. Meine Ohren hatten sich schon so an das Rauschen gewöhnt, dass es mir nun merkwürdig vorkommt, es nicht um mich zu haben. Doch die Ruhe tut gut.

Ich schrecke auf, als Lynn sich neben mich aufs Bett schmeißt. Mit aufgerissenen Augen und klopfendem Herzen schnappe ich nach Luft, schaue meine beste Freundin an. »Bist du verrückt?«, frage ich sie erschrocken. Lynn lächelt bloß entschuldigend, überkreuzt die Beine und stützt sich mit einer Hand auf die Decke. »Wollen wir los? Sightseeing? Wir können an der Eremitage vorbei und schauen, wie wir Tickets für die nächste Woche bekommen. Vielleicht Montag? Da ist es bestimmt nicht so voll wie die nächsten Tage. Morgen ist schon Freitag und dann kommt das Wochenende, da wird es brechend voll sein«, rattert sie aufgeregt herunter, so schnell, dass ich Angst habe, dass ihr die Luft ausbleibt.
Nickend erhebe ich mich vom Bett. Sie hat recht, es wird zu voll sein, Montag scheint plausibel, da müssen die meisten Arbeiten.
»Also Gut, ich gehe mir etwas anderes anziehen, dann können wir los«, lächle ich. Bevor wir die Stadt erkunden, will ich aus den Sachen heraus, die ich im Flugzeug getragen habe. Ich werde mich gleich viel besser fühlen. Lynn springt auf, nimmt sich ebenfalls ihren Koffer. »Super! Wir müssen unbedingt Eis essen gehen, oder etwas Richtiges. Vielleicht finden wir ein Restaurant? Und ich muss etwas kaufen!«, zählt sie schnell auf. Ich komme ja kaum hinterher. »Beruhig dich, wir haben zwei Wochen«, erinnere ich sie. Erleichtert atmet sie auf. »Total vergessen... Und jetzt zieh dich schon um, ich will los«, drängelt sie und zieht das O in die Länge. Meine beste Freundin schnappt sich ihren Hut, den sie seit unserer Ankunft neben sich herträgt und schwingt ihn auf ihre blonden Haare.
»Fünf Minuten«, versichere ich ihr, schnappe mir ein paar luftige Sachen und verschwinde ins Bad. Meine Flugzeugkleidung ist viel zu warm für das gute Wetter. Im Gegensatz zu London steht die Sonne hier hoch am Himmel und es ist keine einzige Regenwolke weit und breit zu erkennen. Ich freue mich auf die nächsten Wochen mit Lynn, ich hoffe, sie werden fantastisch.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt