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Miro

»Meine Eltern mögen dich.«
Ich sehe auf sie hinab, präge mir jedes kleine Detail ihrer gesprenkelten Iriden ein. Das satte Grün mischt sich mit einem warmen Braun, verleihen ihnen tiefe. Die schwarzen Wimpern und der feine Lidschatten umrunden ihre Augen perfekt. Der dunkle Lippenstift ist matt, verzieht sich mit ihren Lippen nach oben. Sie lächelt mich an.
»Deine Mutter ist sehr freundlich«, sagt sie und schaut zurück. Ich folge ihrem Blick. Inzwischen sind mein Onkel und meine Tante bei ihnen angekommen. Sie unterhalten sich lachend, während meine Cousine sich unter die Gäste gemischt hat. Meinen Bruder erkenne ich an einer der verzierten Wände lehnen, dabei Alkohol trinkend. Ihn scheint dieses Fest zu langweilen, obwohl es ein Dutzend Frauen gibt, die er aufreißen könnte. Wieso tut er es nicht?
»Du siehst aus wie dein Vater, aber hast dieselben Augen wie deine Mutter«, spricht Elena zu mir. Ich nicke, ziehe sie näher an mich. »Das höre ich öfters. Ich glaube meine Mutter wollte eine Tochter haben, deswegen existieren einige peinliche Bilder von mir, in denen sie mich in ihre Absatzschuhe gesteckt hat«, gestehe ich grinsend. Die Britin lacht leise, beißt sich auf die Unterlippe und scannt den Raum aufmerksam ab. Dabei funkelt das Collier um ihren Hals wir Millionen kleiner Diamanten. Besonders die roten Rubine leuchten wie noch nie zuvor im warmen Licht der Kronleuchter. Und mein Vater hat recht, es ist zu schade, um es hinter einer Vitrine versauern zu lassen. Elena stiehlt allen hier die Show, was sie nicht mal zu bemerken scheint. Ihre Ausstrahlung hat sich im ganzen Ballsaal bereitgemacht. Meine tausend Cousinen tuscheln schon seit unserer Ankunft wir verrückt neben der Bar und selbst die Männer hier, können sich keinen Blick verkneifen. Wahrlich amüsierend.
»Möchtest du etwas trinken?«, biete ich ihr schließlich an und erhasche so ihre ungeteilte Aufmerksamkeit wieder.
»Gerne.«
»Wie wäre es mit-«
»Na sieh mal einer an...« Wir werden von meiner Tante unterbrochen, welche mit gehobenem Kopf und klangvollen Schuhen auf uns zu kommt. Innerlich schreit alles danach, sofort anzuhauen. Auch Elena neben mir spürt, wie ich mich versteife.
»Irina«, presse ich hervor. Die Russin mit den messerscharfen Fingernägeln und fast schwarzen Augen hält vor uns. Sie ist kaum älter als meine Mutter. Die beiden sind schon jahrelang befreundet, kennen sich ihr ganzes Leben. So traf sie auch meinen Vater, welcher Irinas älterer Bruder ist. Mit ihrer direkter Art weiß sie die Gemüter zu erhitzen, bei jeder Familienfeier.
»Du musst Elena sein. Ich habe viel von dir gehört«, murmelt sie begeistert und mustert meine Begleitung. Die junge Britin nickt neben mir unsicher, lehnt sich gegen meine Seite. Ich spüre, dass sie sich unwohl fühlt, weil sie nicht weiß, was nun kommen wird.
»Ich muss schon sagen...«, beginnt meine Tante und schnalzt mit der Zunge, »...Ich bin beeindruckt. Mein Neffe scheint sich selbst zu übertreffen. Nicht wahr Miroslav?«
Mit gerecktem Kinn funkelt sie mich an. Gott - wie ich meinen Namen hasse. »Miro«, korrigiere ich sie. »Wie auch immer, Miroslav. Wie ich sehe, bist du derjenige, der für den Raub verantwortlich ist«, bemerkt sie. Ihre Augenbrauen schnellen in die Höhe, sie streicht sich über ihr enges Abendkleid.
»Das sollte nicht deine Sorge sein, Tante Irina. Und wenn du uns entschuldigen würdest«, versuche ich dem Gespräch zu entkommen. Aber da liegt ihre Hand schon auf meinem Jackett, hält mich zurück. »Nicht so schnell mein lieber«, lacht die Blondine. Ihre gefärbten Haare liegen glatt auf ihrem Kopf, reichen ihr bis zu den Schultern. »Ich wollte mich gerade etwas mit deiner Begleitung unterhalten...«, schüttelt sie den Kopf. Sie schenkt Elena ein Lächeln, die dies nur unsicher erwidert. Sie ist viel zu gutgläubig. Deswegen schreite ich wieder ein.

»Du willst doch nur für meine Mutter spionieren. Denkst du ich sehe nicht wie sie an meinem Vater vorbei schielt? Sie hat sich vorgeschickt, um an Informationen zu kommen«, lasse ich sie aufliegen. Amüsiert lacht sie auf, was im Klang der Violinen untergeht.
»Süß, wahrlich süß. Scharfsinnig wie dein Vater, Miro, das muss man dir lassen.«
»Miro...«, wispert Elena neben mir. Meine Tante winkt nur ab.
»Schon Gut meine Liebe, wie ich sehe möchte er dich ganz für sich haben. Wir werden später sicher noch einmal die Gelegenheit haben, uns ausgiebig zu unterhalten.« Irina lächelt breit, zieht sich zurück und verschwindet zwischen den Gästen. Die Britin schaut ihr seufzend nach.
»Das war unhöflich, sie wollte doch nur nett sein«, schimpft sie in meine Richtung. Schulterzuckend lenke ich sie in Richtung der Bar. Wenn meine Tante wirklich Interesse hat, wird sie sich nachher nochmal blicken lassen. »Sie und meine Mutter sind zu neugierig. Ich glaube sie mahlen sich schon unsere Hochzeit in diesem Saal aus«, murre ich. Elenas Mundwinkel zucken. »Sie sind eben interessiert, sieh es doch mal so«, versucht sie mich umzustimmen, aber keine Chance. Ich weiß eben, wie sie sind. Schon immer haben die beiden füreinander spioniert.
Früher als ich noch klein war und zusammen mit meinem Cousin und dem Spielzeugauto durch das Haus gerutscht bin, habe ich sie nicht nur einmal vor dem Arbeitszimmer meines Vaters auf frischer Tat ertappt. Danach gab es immer Kuchen, als Bestechung für unser schweigen.
»Einen Kvass und einen puren Wodka«, bestelle ich uns an der Bar. Ich bin sicher das süße, Beerenhaltige Getränk wird ihr schmecken. Wir süßen ihn in unserer Familie gerne mit Himbeeren und Schwarzen Johannisbeeren, mischen etwas Alkohol hinein. Daraus entsteht ein gut schmeckender Cocktail.
Der Barkeeper nickt, beginnt sofort die Getränke abzufüllen. Unterdessen habe ich meinen Arm von Elena genommen und die Unterarme auf der Theke abgelegt. Das Gedudel der klassischen Musik wird mir langsam zu viel. Nach einer Weile nervt es. Aber ich weiß, wie sehr meine Mutter es liebt, weswegen ich es aushalte.
»Was hast du mir bestellt?«, erkundigt die dunkelhaarige Britin sich neugierig bei mir. Sie hat sich auf dem Barhocker links neben mir niedergelassen und die Beine überkreuzt, den Kopf schief gelegt. »Kvass. Es wird dir schmecken«, versichere ich ihr. Der Barkeeper schiebt uns zwei Gläser über die Theke zu und wünscht uns noch einen schönen Abend. »Danke«, sage ich und lange nach meinem Glas. Auch Elena erhebt sich wieder, hakt sich bei mir unter und hält ihr Glas fest in den Händen. »Es sieht sehr gut aus.« Sie späht neugierig hinein, riecht an der blutroten Flüssigkeit. »Sag ich ja. Lass uns etwas frische Luft schnappen. Der Park müsste leer sein und es ist noch viel Zeit«, schlage ich vor.
»Gerne« stimmt sie zu.

Ich führe meine hübsche Begleitung durch die breiten Flügeltüren auf die erhobene Terrasse, drei Stufen hinab auf den Kiesweg. Von dort aus biegen wir in den Park ab, in dem man die Vögel zwitschern hören kann. Es ist düster und still im Park, der Kies knirscht unter unseren Schuhen bei jedem Schritt, den wir machen. Aus dem Schloss dringen die sanften Klänge der Harfen- und Violinenmusik. Zum Glück hat, es mittlerweile aufgehört zu regnen. Elena zieht sich enger an mich, umschlingt meinen Arm, während sie sich bei mir untergehakt hat. Ihr süßliches Parfüm liegt mir in der Nase, benebelt meine Sinne langsam. Wir spazierend schweigend durch den Park, mein Ziel ist der See, wenige hundert Meter von uns entfernt. Dort haben wir unsere Ruhe.
»Es ist wunderschön hier«, merkt sie leise an, gräbt die Finger in mein Jackett. Nickend betrachte ich sie kurz und führe sie die Weggabelung entlang nach rechts. Langsam nähern wir uns den See. Wir kommen am Pavillon vorbei, laufen weiter bis zu dem kleinen Deck auf dem Tier Liegestühle und ein kleiner Tisch steht. Inzwischen hört man die Musik fast gar nicht mehr. Nur wenn man still ist und die Grillen aufhören zu zirpen.
Am großen See halten wir inne, auf dem Holzdecke stehend. »Früher konnte man mit einem Boot über das Wasser fahren«, erzähle ich, nehme einen Schluck meines Wodkas. Um den Abend zu überstehen, brauche ich etwas Hochprozentiges. Elena lässt mich los und legt die rechte Hand ebenfalls an ihr Glas. Vorsichtig nippt sie am Kvass, bis ihre Augen im Mondschein größer werden. »Es schmeckt gut«, murmelt sie, nimmt gleich einen zweiten Schluck. Ich grinse leicht.
»Dachte ich mir doch, dass es dir gefällt.«
»Scheint so als würdest du meinen Geschmack kennen.« Ihr Lachen reicht bis zu ihren Augen, die wie Sterne funkeln. Ich drehe meinen Oberkörper zu ihr, nehme ihr das Glas aus den Händen und stelle sie beide auf dem Tisch unweit neben uns ab. Neugierig beobachtet sie jeden meiner Schritte, lässt zu, dass ich ihre Hand in meine nehme. Ihre warmen Finger passen perfekt in meine.
»Wir müssen nachher noch tanzen, das ist dir bewusst, oder?«, frage ich. Es ist ein Muss. Ich will sehen wie ihre Haare durch die gegen fliegen und der Rock ihres Kleides. Ich will die neidischen Blicke der anderen Männer sehen, wenn wir tanzen. Und ich will sie nah bei mir haben.
»Nein, das hättest du mir sagen müssen. Dann hätte ich noch schnell mit Lynn einen Tanzkurs belegt«, scherzt sie gespielt sauer. Mit einem Ruck ziehe ich sie über die Holzdielen an mich, schlinge meine Arme um ihren Rücken und hebe sie hoch. »Miro!«, kreischt sie erschrocken auf, klammert sich wie ein Affe um meinen Hals. Mein Herz macht einen Satz, als ihr Lachen in mein Ohr dringt und der sanfte Wind mir ihre Haare ins Gesicht pustet. Ich drehe uns einmal im Kreis, setze sie vorsichtig wieder auf dem Boden ab.
»Was sollte das?«, fragt sie aufgeregt, strahlt mich an. Meine Hände um ihren Rücken üben Druck auf sie aus. Wie automatisch schließt sie die Lücke zwischen uns - direkt Körper an Körper. Ihre Hände wärmen die Stellen an den sie mich berührt. Sie legt sie auf meinem Hemd ab, schaut auf. Ich kann spüren, wie schnell ihr Herz schlägt, sehe die Röte ihrer Wangen in der Nacht. Sie schluckt, öffnet ihre Lippen ein Stück. Ihre Brust hebt und senkt sich tief.
Ich kann nicht anders, als auf ihre Lippen zu starren. Das dunkle Rot wirkt so anziehend. »Habe ich dir gesagt das du wunderschön aussiehst?« Meine Stimme ist kaum hörbar. »Ja...«, haucht sie, sucht meine Augen mit ihren. Unsere Blicke kreuzen sich. Diesmal muss ich heftig schlucken. Eine Hand löse ich von ihrem Rückgrat, lege sie an ihre Wange. Ich komme ihrem Gesicht verdächtig näher, zögere keine Sekunde, um sie zu küssen.
Und während ich das erste Mal ihre Lippen auf meinen spüre, explodiert mein Herz fast. Das Verlangen in mir wird größer und ich merke, wie sehr ich sie will. Heute Abend noch.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt