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Miro

Das Event und der restliche Abend gestern, haben gut getan. Selten habe ich mich amüsiert und zugleich so viel empfunden wie bei ihr. Die junge Britin bringt mein Blut zum Kochen und das Adrenalin in mir in Schwung. Sie verändert mich ins gute. Noch nie habe ich so etwas dummes getan und bin in der Nacht mitten durch den Regen gelaufen, stand im Park auf der Wiese unter den Sternen und bin klitschnass geworden. Doch das funkeln in ihren waldgrünen Augen ist es wert gewesen. Letzte Nacht hat sie mir Dinge offenbart, die sie anscheinend sehr selten laut ausspricht. Dinge über ihre Familie, welche ihr sehr schwerfielen in Worte zu fassen. Persönliche und nah am Herzen liegende Dinge. Und die hat sie mir erzählt. Mir - einem man den sie keine zwei Wochen kennt und trotzdem so vertraut. Manchmal kann ich nicht fassen, dass wir uns seit einer kurzen Zeit kennen. Es fühlt sich an, als wären wir jahrelang befreundet, oder zusammen aufgewachsen. In ihrer Gegenwart kann ich abschalten, die Schultern entspannt sinken lassen und mich ihr hingeben. Sie einfach machen lassen. Und Gott - der Sex mir ihr ist einfach nur fantastisch. Letzte Nacht habe ich noch zweimal davon geträumt. Deswegen bin ich auch das vermutlich erste Mal in meinem Leben mit einem Grinsen auf den Lippen aufgewacht. Es ist mir die lange Autofahrt bis in die Firma nicht einmal von den Lippen gewichen, bis ich den Mercedes verlassen habe.

Hier im hohen Gebäude unter den Mitarbeitern setze ich wie jeden Tag meine eiserne Maske auf. Sie ist unsichtbar aber undurchdringlich, so wahre ich meine Autorität. Alle hier sollten Respekt vor mir hegen, das ist mir wichtig. Schließlich arbeiten sie für mich und meine Familie. Trotzdem bin ich kein Arsch zu ihnen, sondern erwarte nur einige Dinge. Ich weiß, was ich will, arbeite hart dafür und erwarte von den Angestellten sie es mir gleich tun und sich auf ihre Arbeit konzentrieren. Schließlich bezahlen wir ihnen gutes Geld.
In meinem großzügig-geschnittenem Eckbüro fahren die Jalousien gerade hoch, als ich den Raum betrete. Zuvor habe ich meiner Sekretärin einen guten Morgen gewünscht, und sie gebeten später vorbeizukommen. Ich war seit ein paar Tagen nicht hier und möchte über alles unterrichtet werden, was ich verpasst habe.
Mein Vater erwartet das ich ihn mindestens zwei Mal die Woche in der Firma vertrete, was ich heute und morgen erfüllen werde. Aber meistens bin ich vier bis fünf Tage die Woche da, den Rest arbeite ich von unterwegs oder aus dem Anwesen. Als Vaters Stellvertreter, bis er in Rente geht, bin ich für all das verantwortlich, was er nicht selbst machen kann. Zwar schließt er noch wichtige Deals ab, doch der meiste Kram landet auf meinem Schreibtisch. Je älter er wird, desto mehr zieht er sich zurück. In den letzten Jahren bevorzugt er es meist in seinem Arbeitszimmer zuhause zu sitzen und dort mit Kunden zu verhandeln. Dann schickt er seine Makler wie Hunde in die Stadt und sie bringen ihm Geld ein mit teuren Wohnungen, die sie verkaufen oder vermieten. Dies ist sein Spezialgebiet.
Mir hat er die Objekte aufs Auge gelegt, welche vermietet sind. Dazu zählen ganze Wohnblöcke und Bürogebäude. Uns gehören namhafte Immobilien in der Stadt, sowie in Puschkin. Offiziell finanziert Vater Kunstwerke in der Eremitage und handelt mit Häusern. Die andere Sache hält er unter Verschluss. In der Firma weiß kaum jemand davon. Nur treue, jahrelange Mitarbeiter, die unserer Familie immer loyal waren, wissen es. Wissen das die Rochevskos schon seit mehr, als hundert Jahren ihre Finger im Juwelenhandel im Spiel haben.
Aber heute muss ich in zwei Büros und einen alten Laden, welche renoviert werden sollen. Mir obliegt die Entscheidung, was wir mit den Räumen anstellen werden. Ich habe mir zuvor schon ein paar Gedanken darüber gemacht, aber muss mir noch ein Bild von den Objekten verschaffen, um darüber nachzudenken. In der Hoffnung ich kann eine finale Entscheidung treffen.
Gerade als ich meine schwarze Mappe aufklappen will, klopft es zweimal an der Tür. Dies kann nur meine Sekretärin sein. »Kommen Sie rein«, rufe ich, schlage die Mappe wieder zu und verstaue sie im oberen Fach meines Schreibtisches. Die Tür schwingt auf, die blond gefärbte Russin betritt den Raum mit einem Tablett und einigen Unterlagen in der Hand. Sie kickt die Tür mit ihren High Heels zu und setzt das Tablett vor mir auf den Tisch. »Ihr Frühstück, so wie immer«, lächelt sie mir zu. Nickend deute ich ihr weiterzusprechen und lange nach der Gabel neben dem weißen Porzellanteller.
Die Blonde räuspert sich.
»Ich habe ihnen einige Verträge mitgebracht, die unterzeichnet werden müssen. Ihr Vater sagte Sie sollen das machen.« Die ersten zwei Mappen landen auf der linken Seite direkt neben der Lampe auf dem Tisch.
»Und die andere?«, frage ich sie und schiebe mir ein Stück Banane aus der Schüssel in den Mund.
»Die Unterlagen für die zu besichtigenden Objekte heute. Wie gewünscht liegen dort Baupläne, die Grundrisse und sonstige erwähnenswerte Fakten darin.«
Sie legt die Mappe auf die rechte Seite des Tisches und richtet sich elegant auf. Es erstaunt mich jedes Mal, wie gut sie aussieht - wie ein Model oder einer der reichen Ehefrauen, mit denen meine Mutter sich immer trifft. Und doch arbeitet sie hier. »Danke, Sie können jetzt gehen. Bevor ich aufbreche, werde ich alles fertig machen«, murmle ich.
Meine Sekretärin, welche kaum älter zu sein scheint als Elena, nickt und schenkt mir ein letztes Lächeln.
»Guten Appetit Mister Rochevsko«, wünscht sie mir freundlich wie immer. Sie dreht sich auf ihrem Ansatz um und stolziert zur Tür. »Gehen Sie auch etwas frühstücken«, weiße ich sie an. Sie sieht hungrig aus.
»Danke.«
Mit diesen Worten schließt sie die Tür und lässt mich allein. Und während ich langsam den Obstsalat esse, blättere ich die Verträge, durch die ich unterzeichnen soll. Es handelt sich um ein paar gekaufte Wohnungen.

Gegen vier breche ich auf. Die Mappen habe ich unterzeichnet auf den Schreibtisch meiner Sekretärin gelegt und bin gegangen. Im Fahrstuhl habe ich nachdenklich das Handy in meinen Händen gedreht und überlegt, ob ich Elena schreiben soll. Sie hat sich den ganzen Tag noch nicht gemeldet. Ob es ihr gutgeht? Ich spüre, wie die Neugier in mir aufkommt. Sollte ich? Ja, ich werde ihr schreiben. Lässig entsperre ich meinen Bildschirm, klicke auf unseren Chat und beginne etwas zu tippen, dabei sehe ich, dass sie heute Morgen das letzte Mal online war.
Hey, wie gehts dir?
Hast du heute Abend Zeit?
Ich schicke beide Nachrichten ab. Sie kommen an, ich verstaue mein iPhone in meiner Hosentasche. Die Türen des Fahrstuhls öffnen sich rasch, ich bin in der Tiefgarage angekommen. Gemütlich mache ich mich auf den Weg zum Mercedes, habe die Mappe mit den Daten der Immobilien unter meinen Arm geklemmt und schwinge den Autoschlüssel in der linken Hand. Die andere ist in meiner Hosentasche vergraben. Die Lichter meines Wagens leuchten zweimal auf, als ich ihn entriegle. Mit einem Handgriff öffne ich die Tür, schwinge mich in den angenehm kalten Ledersitz des Sportwagens und werfe die Mappe neben mir auf den Sitz. Mein Handy dazu. Ich starte den Wagen, stelle die Klimaanlage ein und rolle aus der Parkbucht Richtung Ausfahrt. Sobald ich das Tor passiere, strahlt mir die Sonne prall entgegen. Grummelnd schiebe ich mir meine Sonnenbrille auf die Nase, setze den Blinker und biege nach rechts ab.
»Verdammt hell hier«, bemerke ich argwöhnisch. Die dazukommende Hitze ist kaum ohne Klimaanlage auszuhalten. Sechsunddreißig Grad im Schatten, mitten in der Stadt. Der Sommer ist heiß und trocken, bis auf den Regenschauer gestern Abend hat es seit Wochen nicht geregnet. Die Dürre ist kaum auszuhalten.
Vierzig Minuten vergehen im elenden Stadtverkehr, bis ich endlich an der Immobilie eintreffe. Gegenüber des hohen Gebäudes parke ich am Straßenrand, entledige mich meines Jacketts und werfe es achtlos auf den Rücksitz. Mit der Mappe und meinem Schlüssel steige ich aus. Eine Antwort von Elena habe ich nicht. Die knarrende Haustür und der dunkle Flur des alten Mehrfamilienhauses lassen mich die Nase etwas kräuseln. Es wirkt unrein hier. Der Boden ist nicht gefegt und die Briefkästen sind voll. Dennoch entdecke ich vor jeder Tür auf meinem Weg nach oben ins Dachgeschoss andere kleine Dinge, welche von den bewohnen stammen. Einige haben bunte Blumen, andere Schuhe und eine kleine Bank. Vor einer Tür hängt ein Schild mit einem kleinen Hund. Hinter einer anderen Tür höre ich ein Kind lachen. Das Treppenhaus ist frisch gewischt und die kleine Putzfrau, die mich böse anstarrt, als ich fast über den nassen Boden laufe, lässt meine Mundwinkel zucken.
»Entschuldigung«, murmle ich nur höflich, setze meinen Weg fort. Vier Stockwerke sind es, dann bin ich oben. Mit dem dazugehörigen Schlüssel öffne ich die leeren Räumlichkeiten. Mir offenbart sich ein offener, heller Raum mit hohen Decken und einer riesigen Fensterfront. Eine lange Treppe führt ins obere Stockwerk und ist in einen offenen Flur gequetscht. An den hellen Raum dahinter schließt sich eine Terrasse an. Erstaunt wandere ich durch den Rohbau. Der Schutt knirscht unter meinen Sohlen und die trockene Luft ist staubig. Aber es ist wunderschön hier. Mitten im großen Raum halte ich inne und sehe mich um. Ich kann Spuren einer alten Küchenzeile erkennen und bewundere die Dachterrasse. Und während mein Handy in meiner Hosentasche ein Geräusch von sich gibt, mich wissen lässt, dass Elena mir geantwortet hat, weiß ich plötzlich, was ich mit diesen Räumen anstellen werde.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt