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Elena

Es regnet noch immer als wir von der Hauptstraße abbiegen und in einen Teil der Stadt fahren, der mir zuvor unbekannt gewesen ist. Hohe, ausgeschmückte Häuser reihen sich wie in der ganzen Stadt aneinander. In manchen Fenstern stehen Blumen, vor den anderen hängen Gardinen. Doch am meisten fallen die teuren Sportwagen am Straßenrand auf. Man kann sofort erkennen, dass hinter den hübschen Fassaden wohlhabende Menschen wohnen.
»Was ist das hier?«, frage ich, ohne meinen Blick abzuwenden. »Das inoffizielle Regierungsviertel. Hier gibt es viele Botschafter, Politiker und Angestellte derer.« Miros tiefe Stimme füllt den Innenraum aus. Neugierig wende ich das Gesicht in seine Richtung, nicke verstehend.
»Wohin fahren wir?«
»Zarskoje Selo«, antwortet er knapp. Meine Stirn wird kraus.
»Was?«
Für dieses Wort könnte ich mir sofort vor die Stirn schlagen.
Miro entwischt ein grinsen. Er schaut auf seine Hände hinab, strafft seine Uhr um seinem Handgelenk und schüttelt den Kopf amüsiert. »Lass dich überraschen«, schmunzelt er bloß. Ihm entgeht mein verwirrter Blick nicht, weswegen er sich zurücklehnt und sich doch dazu entscheidet, mir zu erklären, wohin es geht.
»Puschkin. Meine Familie ist bloß etwas altmodisch.«
»Verstehe.«
Im Gegensatz zu Zarskoje Selo sagt mir Puschkin etwas. Die Stadt liegt ungefähr fünfundzwanzig Kilometer südlich von Sankt Petersburg. Lynn ist dort schon öfters beruflich gewesen. Seit sie in diesem privaten Flugzeug arbeitet, kommt sie an Orte, die große Airlines standardmäßig nicht anfliegen. Ich habe ihren Job schon immer bewundert. Sie kommt um die Welt an die schönsten Orte, während ich in diesem Café festhänge. Selbst wenn ich wollte, würde ich aber nicht mit ihr tauschen. Ich sehe, wie fertig sie ihr Job manchmal macht, wie müde und geschafft sie ist, nach den langen Stunden im Flugzeug arbeitet. Ich atme aus. Der Regen prasselt gegen die getönten Scheiben, es wird dunkler je weiter wir aus Sankt Petersburg hinaus fahren. Die Autos auf der gegenüberliegenden Fahrbahn stehen im Stau, wollen in die Stadt. Im Gegensatz dazu ist unsere Fahrbahn frei und der Bentley rollt sanft durch die hereinbrechende Nacht.
»Wohnt ihr dort? In Puschkin?«
»Nein. Aber wir haben ein paar Verwandte dort, die beschlossenen haben das Fest bei sich zu veranstalten. Ich war ewig nicht mehr dort...« Die letzten Worte spricht er zu sich selbst. »Werden viele kommen?«, möchte ich wissen. Er nickt. »Meine gesamte Verwandtschaft plus die guten Freunde meiner Eltern. Die meisten sind in ihrem Alter«, erklärt er mir. Dies macht mich noch nervöser. Zu wissen, dass sich dort seine gesamte Familie aufhält, lässt mir die Hände schwitzig werden. Ein komisches Gefühl. Er scheint es zu bemerken.
Seine Hand legt sich auf den Rock meines Kleides, seine Mundwinkel heben sich. Unter seinen Fingern bildet sich eine warme Stelle auf meinem Kleid. Ich spüre, wie er den Daumen sanft hin und her schiebt, versucht nicht zu auffällig zu sein. Was nicht funktioniert.
»Keine Sorge, ich lass dich nicht allein, wenn dich das besser fühlen lässt«, verspricht er mir. Nickend bringe ich ebenfalls ein Lächeln über die Lippen und atme aus.
»Danke, das wäre mir lieb.«
»Dann wird es so sein, Elena.«

Die Straßen in Puschkin sind nicht weniger voll als die in Sankt Petersburg. Viele Autos und schleppender Verkehr. Immer wieder erwische ich Miro, wie ungeduldig er auf seine Uhr blickt und mit dem Fuß wippt. Seine Hand ist wieder von meinem Bein verschwunden, hat eine warme Stelle zurückgelassen.
Er stöhnt genervt auf, wirft einen skeptischen Blick auf den Verkehr vor uns. »Ausgerechnet heute...«, murmelt er. Miro wendet sich zu mir, lehnt sich zurück. »Wir sollten gleich da sein, es ist nicht mehr weit bis-« Er beendet seinen Satz nicht, wird vom Anhalten des Wagens unterbrochen. Ich schaue neugierig auf, halte Augenblickliche die Luft an, traue meinen Augen kaum. Der Bentley setzt sich wieder in Bewegung, rollt durch das massive, Gold ausgeschmückte Tor hindurch. Eine lange geschotterte Einfahrt entlang, an dessen Seiten alte edle Lampen den Weg erleuchten. Dahinter Wiesen. Pure Natur. Ich schaue zurück und erkenne den hohen schmiedeeisernen Zaun, goldene Ornamente und die Mauern.
»Wo sind wir?«, frage ich ohne jegliche Kenntnisse von Puschkin. Es ist atemberaubend.
»Katharinenpalast.«

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt