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Miro

Das Wetter in London ist miserabel. Sobald ich das Flugzeug verlasse, prasselt der gnadenlose Regen auf mich hinab. Lew reicht mir einen transparenten Regenschirm, unter dem ich den bewölkten, fast schon schwarzen Himmel sehen kann. Mit meinem ersten Schritt die Treppe hinunter auf englischem Boden, zieht sich ein greller Blitz quer durch die Gewitterwolken und verschwindet am Horizont. Die Tropfen des Regens prallen am Schirm ab, fallen aufs Rollfeld.
»Lasst uns verschwinden«, beschließe ich ungeduldig, sehe zu meinen beiden Freunden. Stefan hat das Auto vor uns geparkt, Lew öffnet mir die hintere Tür des SUVs. Ich Klappe den Schirm schnell zusammen, schwinge mich in den Wagen. Die Tür knallt zu, Lew setzt sich auf den Beifahrersitz. Den nassen Regenschirm lehne ich gegen den leeren Sitz neben mir. Das gerinnende Wasser tropft auf die Fußmatte. Es donnert laut.
»Stefan soll es noch lange regnen?«, frage ich nach. Er sieht mich durch den Rückspiegel an.
»Bis morgen.«
Seine kurzen und knappen Antworten sind wie immer alles, was ich brauche. Ich habe mich inzwischen daran gewohnt, dass er nicht viel spricht. Immerhin mehr als noch vor ein paar Jahren. Dafür kann er sich umso besser zur Wehr setzen. Die beiden arbeiten schon seit zehn Jahren für mich. Davor sind wir auf die gleiche Schule gegangen. Lew und ich kennen uns schon aus dem Kindergarten. Stefan haben wir erwischt, als er dem Direktor Kleber auf den Stuhl schmieren wollte. Wir haben ihn davor bewahrt einen Verweis zu bekommen. Als er neunzehn war, wollte er eine Bank ausrauben, wegen dem Mistkerl, der seine Mutter betrogen hat und dort arbeitet. Lew hat ihn auf der Straße vor der Bank aufgegabelt, bevor er sein Leben ruinieren konnte. Irgendwie hat er es geschafft sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Ein paar Monate später ist er mit Eldaro zum Boxen gegangen, hat immer gesiegt. Mein Vater fand es beeindruckend und hat ihm einen Job angeboten. Heute ist er einer der Besten, die wir haben.

»Wie lang dauert es vom Hotel bis zu Elena?«, frage ich mich laut. Wir passieren das Tor des Flughafens, Stefan zeigt ihm die Papiere und sie lassen uns passieren. »Zehn Minuten vielleicht«, erwidert Lew. Also gut. Ich müsste noch genügend Zeit haben, um ihr einen Besuch abzustatten.
Seit Eldaro mir auch nicht weiterhelfen konnte und selbst Lynn keine Ahnung hat, was mit ihrer besten Freundin ist, bin ich skeptischer geworden. Das mulmige Gefühl beschleicht mich, dass etwas passiert ist. Ich kann nur beten, dass ich falschliege. Allein bei dem Gedanken das etwas passiert sein könnte, gefriert mir das Blut in den Adern.
»Fahr erst zu ihr. Ich muss wissen was los ist.«
Stefan nickt still, biegt um eine Kurve und ich sinke tiefer in den Sitz. Ich hoffe wirklich, dass es ihr gut geht.

Eine Stunde und drei Staus später, parkt Stefan den Wagen galant in einer freien Nische vor dem Apartment von Elena. Ich schätze das Gebäude auf zwölf Stockwerke, vielleicht nur zehn. Zwischen den hohen Wolkenkratzern sieht der Komplex winzig aus. Wie ein Haus im Vergleich zum Empire State Building.
»Stefan warte hier, Lew kommt mit nach oben«, teile ich den beiden mit. Von Stefan bekomme ich abermals nur ein simples Nicken. Das reicht mir.
Ich steige aus dem Wagen auf den Bordstein, schmeiße die Tür mit einem Krach hinter mir zu und renne die paar Schritte durch den Regen bis in den Hausflur. Lew ist mir dicht auf den Fersen. Mit dem schmalen Aufzug fahren wir nach oben ins neunte Stockwerk, in dem ihre Wohnung liegt. Das Erste das ich sehe als die Türen sich öffnen, ist eine rothaarige Frau an Elenas Wohnungstür. Sie klingelt Sturm. Mit gehobenen Augenbrauen trete ich auf die feuchten Fließen im Flur und falte die Hände vor dem Körper. Einen Moment beobachte ich sie, versuche, mich an sie zu erinnern.
Hat das Lämmchen Sie erwähnt?
Räuspernd mache ich auf mich aufmerksam. Sofort hält sie in ihrer Bewegung inne, schaut mich mit gehobener Faust an. Sie wollte gerade klopfen. Still lässt sie die Hand sinken und mustert uns verwundert.
»Ja?«, ertönt ihre leise Stimme fragend. Lew neben mir, legt den Kopf schief und mustert sie ebenfalls.
»Wir wollen zu Elena«, erkläre ich unser erscheinen. Die Unbekannte schluckt sichtbar. Ihre Augen schweifen zwischen uns und der Tür umher.
»Und wer sind Sie?«, will sie wissen.
»Ist sie da?«
Ich mache mir keine Mühe, auf ihre Frage einzugehen. Schließlich weiß ich auch nicht, wer Sie ist. Die Rothaarige schüttelt den Kopf. »Das geht sie gar nichts an«, antwortet sie spitz. Ich grinse leicht.
»Vielleicht sollten wir uns vorstellen. Ich bin Miro und das ist Lew.«
»Oh natürlich!«, stößt sie mit großen Augen aus, ihr Finger deutet auf mich.
»Du bist der heiße Russe, von dem sie mir erzählt hat!«

Lew verkneift sich ein grinsen neben mir, aber ich sehe, wie seine Mundwinkel zucken. Sofort ramme ich ihm den Ellenbogen in der Seite und schüttle kurz den Kopf. Er zuckt nicht mal. Dann wende ich mich wieder an die Rothaarige.
»So? Und mit wem haben wir das Vergnügen?«
Ihre Hand schnellt in unsere Richtung. »Stacy, freut mich. Ich arbeite mit Elena«, stellt sie sich endlich vor. Meine Augen ruhen auf ihrer Hand, die sie zuerst Lew hingestreckt hat. Sie lächelt ihn an. Mit gerunzelter Stirn beobachte ich die beiden kurz. Ein komischer Ausdruck hat sich auf seinen Augen ausgebreitet. Was geht hier ab? »Sei nicht unhöflich Lew«, hole ich ihn wieder ins hier und jetzt. Er schüttelt ihre Hand sofort, dann streckt sie sie mir hin. Auch ich schüttle sie kurz.
»Nun dann kannst du uns sicher verraten, wieso sie nicht aufmacht?«
Mit zusammengepressten Lippen schüttelt sie den Kopf. »Leider nicht, sie taucht seit einigen Tagen nicht mehr bei der Arbeit auf. Das passt nicht zu Elena. Sie würde nie einfach verschwinden...«, murmelt die Kollegin verzweifelt. Mein Gefühl bestätigt sich langsam. Ich hasse, dass ich mit meiner Vermutung recht gehabt habe. Tief ausatmend starre ich auf die Haustür.
»Hast du einen Schlüssel?«
Stacy nickt. Mit der Hand deute ich ihr aufzuschließen. Sie wirft Lew einen Blick zu, dann öffnet Sie die Tür für uns. Sie lässt uns eintreten. Vor mir erstreckt sich ein schmaler, kleiner Flur mit allerlei Dingen. Neben der Garderobe steht eine kleine Kommode mit Bildern, etwas Schmuck und Kleinigkeiten. Darüber ein Spiegel, in dem ich mich selbst sehe. Alles sieht unberührt aus. Ich gehe über einen Teppich im Vintage-Look ins Wohnzimmer. Das Sofa und sowohl die offene Küchennische sehen unbenutzt aus.

»Elena?«, frage ich in den stillen Raum. Mir fällt eine Packung Milch ins Auge, die auf der Arbeitsfläche steht. Mit einer Hand greife ich sie, Schraube den Deckel auf und rieche daran. Mit gekräuselter Nase muss ich feststellen, dass sie schlecht ist. »Die ist sauer. Elena muss seit ein paar Tagen nicht mehr hier gewesen sein«, schlussfolgere ich. Stacy nickt zustimmend. Ihre Hand fährt über das Stoffsofa, sie schaut sich um. »Ihr Ladekabel liegt auf dem Sofa«, entdeckt Sie. Mein Herz beginnt schneller zu schlagen. Sie wird doch wohl nicht? Mit großen Schritten marschiere ich auf die angelehnte Tür neben dem Wohnzimmer zu. Ihr reiße sie auf, dahinter kommt ihr Schlafzimmer zum Vorschein. Das Zimmer sieht sauber aus, hat eine zurückgeschlagene Bettdecke, als hätte Sie ins Bett gehen wollen. Ihr Schrank ist gefüllt und die Schatulle mit meinem Armband liegt auf dem Nachttisch. Das angrenzende Bad ist unberührt.
Neben der Tür hängen Bilder mit Lynn und Stacy. Sowohl als auch eines auf dem ich bin. Lynn muss es heimlich in der Eremitage geknipst haben. Es zeigt uns, wie wir einander ansehen und ich lächle.
Ich vergrabe meine Hände tief in meinen Hosentaschen und drehe mich zum Fenster, mit dem Rücken zur Tür. Ein Ziehen breitet sich in meiner Brust aus. Mein Herz bricht, während mir ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft.
»Hast du etwas gefunden?«, fragt Lew mich mit tiefer Stimme. Aus dem Fenster schauend nicke ich.
»Sie wurde entführt Lew... Sie wurde entführt.«

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt