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Elena

Mein Herz klopft heftig, als ich im Fahrstuhl zum Stehen komme. Das Miro mich eingeladen hat, trifft mich völlig unvorbereitet. Und dann auch noch zum Jubiläum seiner Eltern. Ich weiß nicht so recht, wie ich fühlen soll. Die Tatsache das ich Sie kennenlernen werde, macht mich nervös. Schließlich kennen wir uns erst seit einer Weile. Trotzdem freue ich mich ein wenig, Zeit mit ihm zu verbringen. Der Abend heute war schön, was ich zu Anfang nicht gedacht habe. Miro vertreibt für ein paar Stunden meine Gedanken, was sehr wohltuend ist. Er ist sehr freundlich und zuvorkommend, aber mit dem Armband lässt er nicht locker.
Nachdenklich drehe ich es zwischen meinen Fingern und höre das gleiten der Türen, die den Flur offenbaren, auf dem unser Zimmer ist. Vielleicht bekomme ich bei der Feier seiner Eltern die Gelegenheit, es ihm unterzujubeln. Es ist wunderschön, aber gestohlen. Diebesgut möchte ich nicht besitzen.
Der Flur ist vollkommen leer, ruhig und etwas gruselig wie in Shining. Das plumpe Geräusch meiner Schuhe auf dem roten Teppich schallt an den Wänden ab, hinter mir erklingt das piepen des sich schließenden Fahrstuhls. Automatisch gehe ich etwas schneller, um mein Zimmer zügiger zu erreichen. Dort halte ich die Schlüsselkarte vor das Schloss, warte, bis das grüne Licht ertönt und husche durch die Tür. Ausatmend sinke ich gegen die geschlossene Tür, lege meine Tasche auf der Kommode daneben ab und die Karte dazu. Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust. »Werde nicht paranoid, Elena«, rede ich mir selbst ein und schüttle den Kopf. Ich stoße mich von der Tür ab, ziehe mir die Schuhe von den Füßen und lege sie neben den anderen ab.     Mit schnellen Schritten durchquere ich das Zimmer, spüre den flauschigen Teppich unter meinen nackten Füßen. Es ist angenehm warm im Zimmer, aber Lynns Parfüm liegt noch in der Luft. Es ist schwer und unangenehm zum Schlafen. Seufzend öffne ich bodentiefen Fenster, halte inne, um den Ausblick auf die beleuchtete Stadt zu genießen. Gleich gegenüber liegt die Eremitage, nur eine Straße und die breite Newa trennen die Gebäude. Sie ist von allen Seiten ausgestrahlt, hell erleuchtet und glänzt bunt, dank der gestrichenen Fassade. Den Ausblick werde ich in London vermissen. Dort sehe ich nur die Backsteinhäuser und deren Fenster, wenn ich Glück habe, ab und zu die Sonne, falls sie sich durch die dicke und stetige Wolkendecke drängen kann. Gewöhnlich nicht oft und nicht lang.

Frischer Wind weht durch meine braunen Haare, ich schließe die Augen ruhig. Die kühle Brise breitet sich auf meinem Gesicht aus, fegt durch den Raum, bringt die Gardinen zum Fliegen. Das leise Rauschen der Autoschlange unterhalb des Hotels klingt leise hinauf, leises Lachen vom Ufer der Newa mischt sich dem unter. Es ist eine friedliche Nacht. Meine Augen klappen von selbst wieder auf. Mit den Händen Taste ich nach meinem Handy, um ein Bild zu machen. Später möchte ich mich sicher gerne daran erinnern, Fotos sind die beste Methode, um die Erinnerungen nicht zu verlieren.
Der Bildschirm leuchtet mir hell entgegen, zeigt eine Nachricht von einer unbekannten Nummer an. Wer ist das denn? Verwundert klicke ich auf die Nachricht, lese sie mir mit krauser Stirn durch.

Ich habe vergessen dir zu sagen, dass du vielleicht noch ein Abendkleid für Freitag brauchst, ich sende dir eine Adresse, bei der du kurzfristig eines finden wirst. -M.

Anbei hängt eine mir ebenfalls unbekannte Adresse, nicht weit von hier weg. Mit zuckendem Mundwinkel sende ich ein einfaches Dankeschön, knipse schnell ein Bild mit der Kamera und lege es beiseite, um duschen zu gehen.
Das sanfte Prasseln des Duschkopfs auf meinen Schultern löst die Verspannung meiner Muskeln langsam, aber sicher. Einatmend verteile ich Duschgel auf meiner Haut, schließe die Augen und drehe das Wasser wärmer. Meinen Kopf lege ich in den Nacken, reibe mir über die Schultern. Meine Haare lasse ich trocken, habe sie erst gestern Abend gewaschen. Noch weitere fünf Minuten stehe ich in der Regenwalddusche, genieße das Rauschen der Dusche, welches sich wie sanfter regen auf einer Fensterscheibe anhört.
Ich stelle mir bildlich vor, wie ich auf einem Bett unter einem Dachfenster liege und der Regen dort auf die Scheibe trifft, über den Rand tropft und sich große grelle Blitze durch den Himmel ziehen. Gewitter habe ich schon immer geliebt, besonders mit Regen zusammen. Es ist ein schönes Geräusch, wenn der Donner tief und durch den Himmel echot. Bereits als Kind habe ich es geliebt.
Mit einem Handtuch um den Oberkörper steige ich auf die warmen Fließen. Der Spiegel über dem Waschbecken ist wegen des Wasserdampfes völlig beschlagen. Die Dusche hat gut getan, jetzt werde ich hoffentlich besser schlafen können. Wenn doch nur Lynn schon da wäre ... Ich hoffe wir können morgen etwas ganz allein unternehmen. Nur wir beide.
Nachdenklich trockne ich meinen Körper ab und Summe ein Lied, welches mir im Gedächtnis schwebt. So geht es gleich viel schneller. Über dem kalten Heizkörper hängen bereits frische Unterwäsche und meine kurze Hose, das Oberteil gleich daneben. Ich ziehe mir alles über, kämme mir meine Haare gründlich und putze mir die Zähne, dann verlasse ich das Bad müde wieder. Im Zimmer ist es stockfinster, nur die Beleuchtung der Stadt wirft einen schwachen Lichtkegel in den Raum. Entspannt sinke ich in die Kissen meines Bettes, schalte den Fernseher an der gegenüberliegenden Wand ein. Hauptsächlich ist nur russisches Fernsehen verfügbar, aber auch ein paar internationale Sender, auf denen englisch gesprochen wird. Ich lasse irgendeine Doku drauf, die ich nicht weiter beachte und mich dem Telefon widme, auf meinem Nachttisch.
Miro hat nur seine Nummer eingespeichert, es gibt nicht viele Apps. Aber zum Glück ist eine SIM-Karte vorhanden, so kann ich mir Instagram herunterladen und ein paar Seiten durchscrollen. Lippenbeißend frage ich mich, ob Miro auch eine Seite hat. Er scheint mir nicht wie jemand, der solche Apps benutzen würde. Trotzdem schwebt mein Finger einige Sekunden über der Tastatur, bevor ich tatsächlich seinen Namen eintippe. Natürlich kommen Millionen Vorschläge. Also versuche ich es mit dem ersten Buchstaben seines Nachnamens Rochevsko hinter seinem Namen. Die erste Person, die mir angezeigt wird, besitzt kein Profilbild, ist aber nicht privat. Weder Beiträge noch markierte. Er hat einige Follower, folgt aber keinem. Nicht mal Eldaro, der nur seinen Vornamen als Benutzernamen hat. Sein Bruder hat zwei Bilder online, eine Story von vor einer Stunde, die ihn mit Lynn im Mercury zeigt. Sie scheinen sich sehr zu amüsieren. Ein kurzes Lächeln huscht über meine Lippen, während ich mir die Story weiter anschaue. Lynn ist betrunken und klebt mit ihren Lippen an seiner Wange, während er filmt. Die beiden passen gut zueinander.
Ein lauter, unüberhörbarer Knall hallt plötzlich durch die Stadt. Vor Schreck lasse ich das Telefon auf den Boden fallen und falle fast aus dem Bett. Hastig Eile ich zum Fenster, umklammere das Geländer fest und schaue mir klopfenden Herzen auf die Eremitage vor mir. Dabei weht mir der Wind um die Ohren. Sirenen ertönen von überall, ich kann das Sicherheitssystem durch die dicken Wände des alten Gebäudes hören.
»Was zum Teufel!«, stoße ich hervor und blicke ungläubig auf das Geschehen. Ein Dutzend Polizeiwagen rasen über die Brücke rechts neben dem Gebäude, Richtung Eremitage. Rotes Licht blitzt aus den vielen Fenstern auf, ein Hubschrauber wird über den Dächern sichtbar. Die Autos auf der Straße sind stehengeblieben, die Menschen schauen gespannt zum Museum. Passiert da etwa gerade ein Raub?
Blaulicht blitzt über mein Gesicht, scheint im Sekundentakt durch das Zimmer, erhellt den finsteren Himmel über der Stadt. Es werden immer mehr Polizisten, sogar Spezialeinheiten. Das Zerbrechen von Glas ist zu hören, dass zerborsten von Holz. Schüsse. Mein Herz schlägt schneller. Augenblicklich keimt Panik in mir auf. Ich trete vom Geländer zurück, als hätte ich meine Finger am Edelstahl verbrannt und verriegle die Tür. Durch die Scheiben beobachte ich, wie ein schwarzer Wagen über die Brücke donnert, innerhalb von Sekunden aus meinem Sichtfeld verschwindet. Ihm folgen sieben Einsatzwagen mit Martinshorn durch die dunkle Nacht.
»Was zum...«, wispere ich geschockt, starre die alte Eremitage an. Sie wurde ausgeraubt, direkt vor meinen Augen! Und das so schnell, dass mein Gehirn es kaum verarbeiten kann.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt