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Miro

Einige Tage später sind wir noch immer in Florenz. Nach stundenlangen Diskussionen mit Zakhar und einigen schlimmen Worten, die gefallen sind, habe ich ihn endlich dazu bekommen nach Florenz zu reisen. Er soll heute ankommen, mit seinen Männern im Schlepptau. Er misstraut uns, was ich nachvollziehen kann. In seiner Situation würde ich vermutlich ebenfalls so handeln. Aber das Gefühl zu wissen, das nun alles besser werden wird, bekommt mir gut. Ich fühle mich ausgeschlafener und entspannter, mein Puls ist ruhiger geworden. Auch Elena bekommt es. Sie lächelt endlich wieder ehrlich, kichert und strahlt, wenn sie mir in die Augen sieht. Ihre Übelkeit plagt sie sehr morgens, aber mittags isst sie wie ein Sumoringer. Dabei schaue ich ihr zu, als wäre sie das Faszinierendste auf der Welt.
Meine Hand liegt auf ihrem flachen Bauch. Meine Wärme geht auf sie über, in meinen Fingerkuppen kribbelt es. »Ich spüre nichts«, flüstere ich enttäuscht. Elena lacht leise, ich spüre das Beben auf meiner Handfläche. Lacht sie mich etwa aus? Empört sehe ich sie an.
»Lachst du mich etwa aus, Lämmchen?«, frage ich gespielt beleidigt. Sie beißt sich auf die Lippe, schüttelt den Kopf lügend.
»Quatsch. Das Baby ist noch viel zu klein, deswegen spürst du nichts«, erklärt sie.
»Das ist mir schon klar, Dummerchen.«
»Wen nennen sie hier Dummerchen, Sir?«
Ich grinse anzüglich über ihre Worte.
»Ich wusste gar nicht das du auf Rollenspiele stehst.«
Sie schlägt mir gegen die Brust.
»Tue ich auch nicht, Miroslav.«
Ich hasse meinen vollen Namen, akzeptiere allerdings, wenn sie ihn ausspricht. Da klingt er plötzlich nicht mehr so schrecklich. Grummelnd nähere ich mich ihrem Gesicht, ziehe meine Hand unter ihrem Shirt hervor. »Leg es nicht darauf an Lämmchen«, warne ich sie rau. Elenas Hände finden ihren Weg zu meiner Wange.
»Du hast meinen Spitznamen und ich deinen.«
»Du kannst mich nennen, wie du willst, aber nicht bei meinem vollen Namen. In Ordnung mýschka?«
»Was bedeutet das?« Ihre Finger gleiten über meinen Drei-Tage-Bart. Schweigend senke ich meine Lippen auf ihre. Sie muss nicht alles wissen.

Eine Dreiviertelstunde später sitzen wir zusammen im Wagen vor dem Altbau, in dem Maria Marcelli wohnt. Lew hat uns gefahren, wird vor der Tür warten, bis wir fertig sind. Gerade ist Zakhar aus einem schwarzen Jeep gestiegen, mit fünf Männern an seiner Seite. Das er mein Onkel ist, fasse ich noch immer nicht. Sobald ich wieder in Sankt Petersburg bin, werde ich ein langes Gespräch mit meinem Vater führen müssen.
»Halt dich im Hintergrund«, bitte ich Elena im Auto. Widerwillig nickt sie, steigt nach mir aus. Lew schließt die Tür nach ihr, steht neben uns. Stumm ergreift sie meine Hand, als Zakhar vor uns zum Stehen kommt. Sein eiskalter Blick ist mir nicht neu. Noch nie habe ich ihn fröhlich gesehen. Er sieht verbittert aus. Gefüllt voller Hass.
»Schön, dass du hier bist«, begrüße ich ihn. Er mustert Elena an meiner Seite, die sich sichtlich unwohl unter seinem Blick fühlt.
»Hm. Wo ist Danielo, der alte Sack?«, will er zornig wissen.
»Mein Vater ist oben«, wirft Sie ein, obwohl ich sie gebeten habe, sich zurückzuhalten. Zakhar richtet sein Hemd, strafft die Schultern und deutet seinen Männern vorzugehen.
»Welcher Stock?«
»Fünfter.«

Sie folgen uns hinauf, wir nehmen den Fahrstuhl. Während der kurzen Fahrt ist es mucksmäuschenstill zwischen uns. Wir haben uns nichts zu sagen. Immer wieder kann ich beobachten, dass er seine zitternde Hand in seiner Jackentasche verbirgt. Er ist offensichtlich nervös.
»Wenn das eine Falle ist, dann weißt du das ich deiner kleinen etwas antun muss«, warnt er mich. Sein blödes Gelaber geht mir auf den Sack.
»Wenn es eine Falle wäre, hätte ich dich schon unten auf der Straße kaltgemacht, Arschloch.«
Schnaubend steigt er im fünften Stock aus. Gegenüber des Fahrstuhls steht eine Wohnungstür offen. Danielo lehnt im Türrahmen. Deutlich erkenne ich das Holster seiner Glock am Gürtel. Er traut weder Zakhar noch mir. Das ist mir egal. Ich will diesen Konflikt jetzt klären.
»Können wir?«, frage ich beide Parteien. Misstrauisch scannt Elenas Vater ihn von der Sohle bis zum Haar ab. »Du weißt hoffentlich das du dein Leben Elena verdankst. Sonst hätte ich dich hier auf der Stelle getötet«, zischt er ihm entgegen. Mein Onkel nickt. »Nur weil du schwach bist. Jetzt führe mich zu ihr«, verlangt er barsch. Danielo deutet ihm missbilligend einzutreten. Wir folgen Zakhar. Seine Männer stehen an der Tür und sichern die Wohnung ab.

Die Zimmer sind durch einen schmalen, mit Holzdielen ausgelegten Boden getrennt. Die Wände sind weiß gestrichen, ein paar Bilder hängen an ihnen. Fünf Zimmertüren zähle ich. Danielo biegt in die hintere linke ein. Langsam folgen wir ihm, Elena zieht mich an den Rand des Raumes, gleich neben der Tür. Es ist ein Wohnzimmer. Es gibt ein gemütliches Ecksofa, einen Flachbildschirm und einen alten Sessel. Auf dem braunen Sideboard unter dem Fernseher stehen edle Bilderrahmen mit Fotos. Neben uns auf der Kommode befinden sich mehrere Tabletten Packungen und eine Flasche Wasser. Die starken Schmerzmittel sind nach Tageszeit sortiert.
Vor dem Fenster sitzt eine Frau im Rollstuhl, mit dem Rücken zu uns gekehrt. Ihre langen Haare fallen ihr ins Gesicht. Eine gestrickte Decke liegt über ihren Beinen. Zakhar nähert sich der Dame langsam, geht vor ihr in die Knie. Elena schluckt leise neben mir und schlingt ihre Arme um meinen Oberarm. Ihr Vater steht neben dem Fernseher.
  Es ist still. Mein Onkel streckt seine Hand vorsichtig aus, ich kann den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht deuten, als er sie ansieht. Aber der Zorn ist gewichen.
»Ria?«, spricht er sie mit einem Kosenamen an. Nun bewegt sich die Frau etwas. Ihr Kopf, der ihr sehr schwer zu sein scheint, hebt sich an. Ihre zitternde Hand schiebt sich auf seine. Zakhar atmet tief aus.
»O Ria...«, wispert er. In diesem Moment sehe ich den echten Zakhar. All die Jahre habe ich nur einen verbitterten, gewalttätigen Mann in ihm gesehen. Nun wird mir klar, dass er all die Jahre so war, weil er Sie verloren hatte.
Elena schmiegt sich fest an meine Seite, ihre Tränen durchnässen mein Jackett. Emotional wischt sie sich über die Wange und schnieft leise, als ihre Tante ebenfalls zu weinen beginnt.
»Was tust du hier?«, krächzt sie mit gebrochener Stimme. Mein Onkel legt seine Hand an ihre Wange und streichelt sie.
»Ich habe dich vermisst, Maria. Schrecklich vermisst«, gesteht er ihr. Mir offenbart sich eine völlig neue Seite von ihm. Er küsst Maria überglücklich, umschlingt, sie würde er sie nie wieder loslassen. Und sie bricht weinend in seinen Armen zusammen so wie Elena in meinen vor ein paar Tagen. Die beiden haben sich geliebt, so sehr wie ich Elena liebe.
»Lassen wir sie allein«, schlage ich vor. Meine kleine Britin nickt schniefend. Zusammen mit ihrem Vater verlassen wir das Zimmer, begeben uns in die Küche. Und Elena lässt mich kein einziges Mal los. Ich schwöre mir, dass ich meiner Mutter mitteilen werde, dass ich meine Meinung geändert habe, was Hochzeiten betrifft. Nachdem ich Zakhar und Maria so gesehen habe, ist mir bewusst geworden, wie kostbar das Leben ist. Wir müssen es wertschätzen. Genau das werde ich tun. Ich werde Elena heiraten.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt