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Elena

Kichernd stehe ich dem blond-gefärbten Mann gegenüber. Wir sind beide angetrunken, wollten frische Luft schnappen. Er hat mir gezeigt, wo es einen Ort gibt, der etwas ruhiger ist – die Gasse neben dem Hinterausgang. Ob er hier arbeitet? Er kennt sich sehr gut aus. Vermutlich ist er einer der Barkeeper oder Türsteher. Vielleicht sogar der Manager? Ich habe keinen blassen Schimmer. Aber er sieht gut aus in dem Hemd, der schwarzen Hose und den teuren Lackschuhen. Ihm mangelt es nicht an Geld, das sieht man. »Wir könnten zu mir fahren«, schlägt er grinsend vor. Seine Augen verraten mir, dass er schmutzige Hintergedanken hat. Die Stimme von Lynn drängt sich in meinen Kopf, wird immer lauter. »Hab' Spaß und lass dich fallen heute. Das Leben ist zu kurz, um jede Gelegenheit auszuschlagen!«
Sollte ich vielleicht darauf eingehen? Er ist hübsch, spricht Englisch und höflich. Aber ich kenne nicht mal seinen Namen. Vielleicht ist das doch keine gute Idee und der Alkohol war etwas zu viel. Der Russe stützt seinen Arm neben mir an die Mauer, schnipst seine Zigarette auf den Boden und tritt sie aus.
»Und? Was sagst du?«
»Ein anderes Mal vielleicht, ich sollte jetzt wieder reingehen, meine beste Freundin sucht mich sicher schon.«
Der Mann beginnt zu lachen, tritt näher. Er überragt mich weit um einen Kopf, kesselt mich zwischen sich und der Backsteinwand ein. »Komm schon, Elena«, versucht er mich zu überzeugen, schaut mich mit einem unheimlichen Blick an. Seine Stimme ist tiefer und gefährlicher geworden. Etwas in seinen Augen hat sich verändert. Kopfschüttelnd lege ich meine Hände gegen seine Brust, will ihn erfolglos wegdrücken. »Nein, mir ist kalt und ich möchte gerne wieder in den Club«, erwidere ich. Die kühle Nachtluft fegt durch die Gasse, verschafft mir unangenehme Gänsehaut.
»Nein.«
Ich runzle die Stirn. »Was meinst du mit Nein?«, erkundige ich mich. Ist das sein Ernst? Der, dessen Namen ich nicht kenne, schmunzelt böse auf mich hinab.
»Du wirst jetzt mit mir kommen Elena Reynolds...«
Ich schlucke. Woher kennt der meinen Nachnamen? Ein ungutes Gefühl beginnt mich zu beschleichen, eine Stimme sagt mir, dass ich zusehen soll, wie ich hier wegkomme. Die Gasse ist zu menschenleer, keiner würde es sehen, wenn – er packt mich ruppig, langt mir mit der einen Hand an den Arsch. Sofort stoße ich einen Schrei aus und hole aus. Ich treffe ihn an der Wange, er zuckt kurz zurück, aber lässt mich nicht los. »Blödes Ding! Du willst es ja nicht anders!«, zischt er erbost, schleudert mich zurück gegen die Wand. Mein Kopf trifft hart auf, mir wird kurz schwummrig. Ich muss hier weg.
»Lass mich...«, fahre ich ihn an, er lacht nur gehässig auf und überkreuzt meine Arme auf dem Rücken. Dann drückt er mich nach vorne.
Zum ersten Mal taucht in meinem Sichtfeld ein schwarzer Wagen im Schatten der Gasse auf. Will der mich kidnappen?
»Nein!«, schreie ich panisch, rutsche aus meinen hohen Schuhen und hole mit dem Bein aus. Ich reiße meine Arme herum, schubse ihn mit all der Kraft, die ich aufbringen kann. Er fällt zu Boden, dabei fällt der Schlüsselbund aus seiner Hosentasche in den Gully neben ihm.

Adrenalin macht sich in meinem Körper breit, ich schmeiße meine Schuhe achtlos in eine Ecke und beginne, um mein Leben zu rennen. »Du bist Tod!«, schreit er mir in gebrochenem Englisch nach, Schüsse erfüllen die Nacht. Erschrocken ducke ich mich ab, höre Schritte hinter mir.
»Nein, nein, nein! Bitte nicht«, schluchze ich, raffe mich wieder auf und biege in die nächste Straße ein. Wo verdammt ist der verdammte Eingang des Clubs? Der Typ ist bewaffnet und will mich umbringen!
Ich renne, so schnell ich kann, wahllos auf der Suche nach Menschen. Auf keinen Fall will ich eine weitere tote Touristin in irgendeiner Gasse sein. Mein Herz klopft hektisch. Poltert in meiner Brust, stolpert jedes Mal, wenn ich mich umdrehe, in die Finsternis blicke. Er ist mir dicht auf den Fersen. Ich weiß weder wo meine beste Freundin Lynn steckt, noch wo ich mich befinde. In dieser Straße gibt es weder Straßenlampen oder einen Ausweg. Verdammt wo steckt Sie? Lynn ist doch diejenige gewesen, die mich unbedingt hier haben wollte. Diejenige, die mich anflehte mitzukommen. In den letzten Jahren war ich nicht sonderlich oft dazu gekommen Urlaub in Anspruch zu nehmen, geschweige denn London zu verlassen. Ich hatte mich so sehr auf diesen Urlaub gefreut, auch nach den anfänglichen Schwierigkeiten. Und jetzt das! Ich wurde nicht nur verfolgt seit meiner Ankunft in dieser verfluchten Stadt, nein, nun versucht man mich auch noch zu kidnappen. Und meine beste Freundin ist wie vom Erdboden verschwunden, hängt wahrscheinlich immer noch in den Armen eines jungen Russen, im Mercury.
Jetzt renne ich um mein Leben, habe auch noch mein Handy verloren. Meine Beine hatten mich bis zu dieser verdammten Straße getragen. Ich keuche bei jedem Schritt, der Schreck steckt mir tief in den Knochen. Ist hier niemand, der mir helfen kann?

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt