Miro
»Elena!«
Noch nie in meinem Leben klang meine Stimme so hilflos und verzweifelt. Als ich den Aufprall gehört habe, Sie am Boden, sind bei mir alle Sicherungen durchgebrannt. Ich bin auf die Straße gestürmt, habe einen kurzen Blick auf den vermummten Fahrer erhaschen können, bevor er davon gerauscht ist. Was nur eines bedeuten kann - dies war ein gezielter Angriff auf Sie. Ich habe sofort jemanden im Kopf. Und er war es ganz bestimmt. Ich werde diesen Mistkerl kastrieren, das schwöre ich mir. Nachdem der Krankenwagen da war, habe ich die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und habe zugesehen, wie sie die bewusstlose Britin verladen haben. Ihre Stirn hat geblutet, sie wollte einfach nicht aufwachen.Ich habe die Sanitäter angefleht mitzufahren, musste mich als ihr Freund ausgeben, damit sie mir den Zutritt nicht verweigern. Von ihrem Handy aus habe ich Lynn eine Nachricht geschrieben und meinen Bruder angerufen. Die beiden können nur zusammen sein.
Die Fahrt im Krankenwagen hat sich abgefühlt wie eine Ewigkeit. Ich bin erleichtert gewesen, als wir endlich am Krankenhaus angekommen sind.
Nach unzähligen Malen, in denen ich erklärt hatte, dass ich bei ihr bleiben muss, da sie kein Russisch spricht, haben die Ärzte endlich eingewilligt mit dem Versprechen, das sie mich sofort rufen sollte, sie wach sein. Das Geschehen läuft wie ein Film an mir vorbei, als wäre ich ein stummer Zuschauer, der nichts ausrichten kann.
Und nun warte ich ... und warte ... und warte. Eine halbe Stunde vergeht - nichts. Weitere zehn Minuten, dann höre ich meinen Bruder und Lynn laut reden. Mein Kopf schnellt nach oben, ich erhebe mein aus dem alten knarzenden Plastikstuhl und halte im kahlen Flur inne.
»Miro!«, ruft Lynn aufgewühlt. Ich kann sehen, dass sie geweint hat, ihre Schminke ist völlig verlaufen, ihre Augen gerötet. »Was ist passiert?«, will sie aufgelöst wissen, mein Bruder kann sie kaum stoppen. Ich weiche einen Schritt zurück. Meine Hände zu Fäusten gezogen, ich muss sie in meinen Hosentaschen verstecken.
»Ein Auto hat sie erfasst als ich nochmal umgekehrt bin, um meine Uhr aus der Wohnung zu holen. Ich hätte Sie einfach morgen holen sollen...«, mache ich mir Vorwürfe. Meine Augen ruhen auf dem kahlen grauen Steinboden der Notaufnahme. Seit einer Ewigkeit hat keiner mehr mit mir gesprochen, weder Arzt noch Schwester. Ich sehe sie aufgeregt den Gang entlang hetzen, aber sagen will mir keiner etwas. Typisch. Ich verabscheue Krankenhäuser.Lynn schnieft leise und vergräbt ihr Gesicht in den Händen. Mein Bruder legt ihr seufzend den linken Arm um die Schultern.
»Sie schafft das schon«, flüstert er ihr zuversichtlich zu. Still sinke ich wieder auf die Sitze und lehne mich zurück. Mein Hinterkopf lehnt gegen der kalten Wand, meine Augen fixieren die Uhrzeiger schräg gegenüber. Ich zähle jede Sekunde mit, hoffe, dass alles um mich verblasst. Meine Gefühle, meine Gedanken, meine Sorgen. Am liebsten würde ich mich jetzt in Alkohol ertränken, um das alles zu vergessen. Wäre meine Mom hier, würde sie beten. Ich halte es für Schwachsinn, obwohl ich kurz davor bin es auch zu tun. Einen Versuch ist es wert, oder?
»Mister Rochevsko, Sie ist wach.«
Noch nie in meinem Leben bin ich so schnell aufgesprungen wie genau jetzt. »Wie geht es ihr?«, will ihre beste Freundin aufgeregt wissen. Sie spricht nur in Fetzen russisch. Die Krankenschwester ignoriert sie und deutet mir mitzukommen. Ich drehe mich mit klopfendem Herzen zu Lynn, deute ihr, das alles gut wird.
»Ich werde ihr sagen das du hier bist«, versichere ich ihr. Lynn nickt eifrig. Sie schaut mir nach, als ich ins Zimmer gehe.Ich entdecke die Britin in einem Bett liegen, an dem viele Hände herumfummeln. Ärzte stehen um die, Geräte piepen. Die Krankenschwester macht mir Platz neben dem Kopfteil, erst jetzt kann ich Elena sehen. Desorientiert und mit Tränen in den Augen starrt sie die Ärzte um sich an. Sie versteht kein Wort von dem, was sie sagen, wird panisch.
»Hey«, versuche ich sie abzulenken. Erschrocken schaut sie mich an.
»Miro«, krächzt sie mit trockener Kehle. Nickend lege ich meine Hand an ihre Haare. Mir entgeht der dicke weiße Verband um ihre Stirn nicht.
»Alles Gut, das wird schon. Lynn ist draußen und wartet«, lächle ich ihr zu. Ich darf mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich die Situation aus der Bahn geworfen hat. Zitternd nickt die Dunkelhaarige. »Ich verstehe nicht was sie sagen...«, wispert sie leise. »Ich übersetze«, versichere ich. Mein Daumen streicht ihr durch die Haare, meine Augen wandern ihren Körper hinab. Die Ärzte unterhalten sich über ihren Zustand, während sie sie untersuchen.
»Sie sagen das du großes Glück gehabt hast. Außer deiner Platzwunde scheinst du gesund zu sein«, dolmetsche ich für sie. Elena starrt mich nickend an. »Gut ... Gut«, wiederholt sie erschöpft, wirkt desorientiert. Die Geräte, die ihr Vitalwerte aufzeichnen, leuchten alle grün. Ein gutes Zeichen.
»Was machen sie jetzt noch?«, erkundige ich mich bei den Ärzten. »Wir werden sie zur Nacht dabehalten, um sicherzugehen das es ihr gutgeht. Aber sie scheint alles gut weggesteckt zu haben. Sie hatte viel Glück - es ist nichts gebrochen. Nur ein paar blaue Flecken und eine kleine Narbe an der Stirn wird sie haben«, erklärt mir der Arzt links neben mir ruhig. »Danke«, bedanke ich mich bei ihm, dann wende ich mich wieder an Elena. Diese ist noch immer benommen von den Schmerzmitteln, die sie bekommt. Langsam beuge ich mich über sie, während die Ärzte ihre Arbeit beenden.
»Du sollst über Nacht bleiben, morgen darfst du gehen«, flüstere ich. Mit geschlossenen Augen nickt sie. Tief ausatmend betrachte ich ihren Verband, presse die Lippen fest aufeinander und fahre ihr durch die Haare. »Ich bin froh, dass du hier bist«, gibt sie zu. Ein ermutigendes Lächeln umspielt meine Lippen. »Ich auch. Für eine Weile dachte ich schon du stirbst«, gestehe ich ihr. Endlich schlägt sie die Augen wieder auf.
»Ehrlich?«
Ich nicke.
»So schnell gebe ich schon nicht den Löffel ab. Und jetzt küss mich endlich«, nörgelt sie schwach. Nichts lieber als das. Sachte drücke ich meine Lippen auf ihre, ohne viel Druck auszuüben. Ich will ihr nicht wehtun. »Bleib noch ein bisschen«, bittet sie mich, tastet blind nach meiner Hand.
»Natürlich« versichere ich ihr, halte ihre Finger fest. Eine Krankenschwester deckt sie zu, dann wird es still im Raum. Müde klappen ihre Augen zu, unter denen sich deine Augenringe gebildet haben.
Als ihre Atmung gleichmäßiger wird, wage ich es, ihr keinen Kuss auf den dicken Verband zu drücken. Ich sitze neben dem Bett, halte ihre Hand, bin einfach für sie da. Ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein muss, in einem fremden Land im Krankenhaus zu liegen, ohne nur ein Wort von dem zu verstehen, was die Ärzte da mit einem machen. Es muss beängstigend sein, ratlos und zugleich hilflos zu sein. Ich wünschte, sie müsste dies nicht erleben. Und mit jeder Sekunde, in der ich über das Geschehene nachdenke, werde ich mir sicherer, dass es nur einer gewesen sein kann. Zakhar. Ich schwöre mir, dass dieser Mistkerl dafür bezahlen wird. Was auch immer er für ein Problem mit ihr hat, er wird sich wünschen, mich als Erstes erledigt zu haben. Denn ich werde sein schlimmster Albtraum werden.
DU LIEST GERADE
Saints and Sinners
Romance18+ Sankt Petersburg. Zwei Frauen, zwei Wochen Urlaub. Es könnte perfekt sein, eine Erholung aus der Realität, den stressigen Jobs und den Männern. Elena entflieht ihrer Heimat für ein paar Tage, reist mit ihrer besten Freundin an, um zu entspannen...