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Elena

Tatsächlich haben wir gestern ein Restaurant gefunden, gleich neben der Newa. Auf einer Terrasse über dem Fluss schwebend saßen wir stundenlang, haben Wein, Sekt und Wasser getrunken, dazu Pasta gegessen. Zwischen uns auf dem Tisch hatten Windlichter gestanden, über uns waren Lichterketten gespannt. Es war ein schöner Abend. Lynn und ich haben so viel wie lange nicht mehr miteinander gelacht. Beschwipst haben wir das Restaurant verlassen. Da es nicht weit vom Hotel weg war, nur gute acht Minuten, sind wir zurückgelaufen. Noch viele Touristen kamen uns entgegen, die meisten die Party machen wollten. Lynn war gut drauf, wolle auch mitmachen. Aber mein Körper war geschafft und sehnte sich nach dem anstrengenden Tag nach einer Portion Schlaf in dem bequemen Hotelbett. Ich versprach ihr, dass wir Freitag, am kommenden Tag dorthin gehen würden. Den Namen des Clubs kannte ich nicht, aber die Schlange war lang gewesen. Schmollend war sie dann den Restlichen weg neben mir gelaufen. Dabei hatte ich mich unheimlich beobachtet gefühlt. So als würde mich jemand verfolgen oder beschatten.
Ich kann das Gefühl selbst jetzt nicht beschreiben, es war komisch. Ein merkwürdiges Kribbeln auf meinem Rücken und das ständige Gefühl, dass da jemand ist. Ob es am Alkohol lag? Vermutlich. Und selbst jetzt, als ich mit Lynn durch die Stadt schlendere, verspüre ich dieses Stechen auf meinem Rücken. Das Gefühl jemand beobachtet mich, wird größer. Mutig traue ich mich, den Kopf zu drehen, in die Richtung, aus der wir kamen. Neben ein paar Touristen sehe ich einen Mann stehen, den ich zuerst völlig übersehen habe. Er trägt ein dunkles Shirt und eine passende Hose, schwarze Schuhe und Haare. Er kommt mir bekannt vor. Ich fühle mich unwohl unter seinem Blick. Er starrt so intensiv, dass ich dem nicht standhalten kann und mich schnell nach vorn wende. Erschrocken laufe ich enger neben meiner besten Freundin, beiße mir auf die Lippe.

Lynn lugt unter ihrem Sonnenhut hervor, betrachtet mich skeptisch von der Seite. »Ist alles okay? Du genießt es ja gar nicht«, seufzt sie fragend. Ich schüttle den Kopf, bringe nicht genug Mut auf nochmal hinter mich zu blicken. »Jemand beobachtet uns schon seit wir das Hotel verlassen haben«, murmle ich ihr zu. Wir quetschen uns an zwei Frauen vorbei, die mitten auf dem Gehweg eine Pause eingelegt haben.
Ihre perfekte Augenbrauen verschwinden langsam unter ihrer Sonnenbrille, sie neigt den Kopf nach hinten, runzelt die Stirn. »Siehst du schon Geister? Da ist niemand«, sagt sie. Rasch schnippt mein Kopf zurück zu der Stelle, an der ich den Unbekannten gesehen habe. Tatsächlich steht dort niemand mehr. Innehaltend drehe ich mich auf der Stelle. Meine Augen scannen die Menschen um uns ab, ich lasse Lynns Arm langsam los.
»Das gibt es doch nicht. Lynn ich schwöre, dass da jemand war«, erzähle ich verzweifelt. Meine beste Freundin dreht mich am Arm zu sich, zuckt ratlos mit den Schultern. »Ist auch egal, vielleicht hat er dich verwechselt. Lass uns zurück zum Hotel, ich möchte mir noch etwas anderes anziehen, bevor wir losgehen«, schlägt sie bittend vor. Nickend kehre ich den Menschen den Rücken und setze meinen Weg mit ihr fort. Bestimmt hat sie recht.
Hoffe ich.
»Bist du sicher, dass du dich nicht verlesen hast?«, will ich ein drittes Mal wissen. Lynn schaut mich Augenverdrehend im Spiegel an.
»Ja ich bin sicher. Wie sehe ich aus?«
Die Blondine dreht sich um ihre eigene Achse, fährt ihre Kurven mit den lackierten Nägeln entlang. Dabei streicht sie das schwarze Kleid glatt, was sie trägt. Erst vor fünf Minuten ist sie aus dem Bad gekommen, nachdem sie dort ganze sechzig Minuten verbracht hatte. Geduldig sitze ich auf meinem Bett, warte, bis sie endlich fertig ist. Ich habe mein Kleid schon vor einer halben Stunde übergezogen und mir die Haare kurz gewellt. Das ebenfalls schwarze Kleid trage ich heute zum ersten Mal. Es schmiegt sich bei jeder Bewegung eng an meinen Körper, lässt mich hübsch aussehen. Insgeheim hoffe ich mal, dass Lynn sich wirklich nicht verlesen hat. Eine Party ganz in Schwarz? Ich bin noch skeptisch.
»Jetzt schmoll mal nicht so Elena, das wird ein schöner Abend«, versucht sie mich einzuheizen, wackelt mit den Augenbrauen. Sie tanzt gut-gelaunt auf mich zu, ergreift meine Hände und zieht mich auf die Beine. Selbst wenn ich hohe Schuhe trage, ist sie mit ihren größer als ich. Zugegeben beneide ich sie etwas. Meine beste Freundin schaut wunderschön aus. Ihre Augen von Lidschatten umrandet, der im Licht der Lampe glitzert. Ihre vollen Haare sind gebürstet und gelegt. Die goldenen Ohrringe komplimentieren ihre Augenfarbe. Still nicke ich, lächle ihr zu und drehe eine ihrer blonden Haarsträhnen zwischen meinen Fingern. Bedacht lege ich sie ihr über die Schulter, lange nach meiner kleinen Handtasche auf dem Bett. »Du siehst fantastisch aus, lass uns gehen«, komplimentiere ich ihr Outfit und deute Richtung Tür. Lynn kreischt leise auf, summt ein Lied, während sie neben mir das Zimmer verlässt.
Ich hänge mir die feine Tasche um, die wir uns heute Abend teilen. So tun wir es immer, wenn wir Feiern gehen. Darin sind unsere Wertgegenstände und die Handys. Damit Lynn sie nicht verliert, behalte ich die Tasche für heute Abend, denn sie hat mir angekündigt, sich betrinken zu wollen. Es macht mir nichts aus aufzupassen.
»Lass uns ein Stück laufen. Zum Club sind es nur zehn Minuten«, schlägt meine beste Freundin vor. Wir stehen vor dem beleuchteten Hotel, die Straßen sind noch gut befahren. Einverstanden nicke ich, hake mich wie immer bei ihr unter. Etwas frische Luft tut gut. Wir schlendern den Gehweg entlang, überqueren die ein oder andere Brücke auf unserem Weg. Lynn bittet mich, ein Bild von ihr vor dem Geländer zu machen, auf dem sie ihr Kleid präsentiert. Sie sagt, dass sie es später bei Instagram hochladen will.

Tatsächlich hat sie recht und der Club, in den sie nach unserer Ankunft schon wollte, ist nur zehn Minuten entfernt. Vor dem Eingang hat sich eine kleine Schlange gebildet, die darauf wartet, hineingelassen zu werden. Gerade als wir ankommen, setzt sie sich in Bewegung. Erst jetzt fällt mir auf, dass tatsächlich alle in Schwarz gekleidet sind. Lynn hatte Recht und hat sich nicht verlesen.
Siegessicher blickt sie mich an, wackelt mit den Hüften, als wir den Club betreten. Sofort dröhnt die Musik aus allen Ecken. Durch einen düsteren Flur, an dessen Wänden leuchtende LED-Streifen angebracht sind, betreten wir einen großen Raum, voller Menschen, die bereits ausgelassen Party machen. Wir drängeln uns an dem ein oder anderen vorbei, Lynn führt mich zur Theke.
Schreiend bestellt sie uns etwas, das ich wegen der lauten Musik nicht mitbekomme. Mit dem Rücken zur bunt erleuchteten Bar stehend erkunde ich mit meinen Augen den Raum. Zirka dreihundert Menschen tummeln sich in der Mitte der Tanzfläche, auf die die Lichter gerichtet sind. Eine Empore umrundet den Raum, von dessen Geländer, skurrile Lampen hängen. An den Wänden leuchten gemalte Kunstwerke bunt von hinten auf, wirken fast schon neonfarben. Von der Decke hängen gebrochene Spiegel, die jeden Lichtstrahl reflektieren und ihn zurück in den Raum werfen. Auf der Empore entdecke ich eine weitere Bar, mehrere Sitzmöglichkeiten. Vor der Treppe, die hinaufführt, erkenne ich zwei großgebaute Russen mit eisernem Blick und gefalteten Händen. Sie kommen mir bekannt vor, doch woher kenne ich sie?
Lynn stößt mich von der Seite an. Verwundert sehe ich zu ihr, bekomme ein Glas unter die Nase geschoben. »Hier, auf einen guten Abend! Und ein paar heiße Kerle!«, lacht sie und stößt ihres gegen meines. »Ja, auf einen guten Abend«, antworte ich schmunzelnd, nehme einen großen Schluck meines Cocktails. Er ist stärker gemischt als die in Großbritannien, das fällt mir sofort auf. Nach dem zweiten Schluck zieht Lynn mich zu zwei freien Barhockern. Noch bevor mein Glas leer ist und der Song beendet, bestellt sie Shots. Heute wird sich zeigen, ob ich noch trinkfest bin.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt