Elena
»Zuhause? Sie denken das Sie mir damit einen Gefallen getan haben als Sie mich entführt haben?«, frage ich spottend nach. Ich kann nicht fassen, was er da von sich gibt. Ist das sein Ernst? Ich habe hier nichts, rein gar nichts, was mich mit diesem Ort oder dieser Stadt verbindet. Und erst recht habe ich keinen blassen Schimmer, wer zum Teufel er ist. Wenn das ein krankes Spiel ist, dann ist es verdammt nochmal nicht lustig. Ich will nachhause nach London.
Der Italiener, der in seinen Vierzigern zu sein scheint, trägt sein unheimlichen, undurchdringlichen Blick, wie eine Maske auf dem Gesicht. Mir wird klar, dass er jedes einzelne Worte, das seinen Mund verlässt, ernst meint.
»Das hier ist dein zuhause«, stellt er grummelnd klar. Mit dem Zeigefinger deutet er auf die vier Wände, in denen wir uns befinden. Eifrig schüttle ich den Kopf. »Das stimmt nicht. London ist mein zuhause. Und ich weiß nicht was sie von mir wollen oder für wen sie mich halten. Bitte lassen sie mich einfach zu meiner Familie zurück... Ich will einfach nachhause«, flehe ich den Tränen nahe. Bis jetzt habe ich versucht, die Tränen nach meinem Ausbruch vorhin zurückzuhalten. Wie zuvor scheitere ich nach kurzer Zeit daran. Ich kann meine Gefühle in dieser Situation nicht gut kontrollieren. Geschweige denn zurückhalten. Meine Stirn macht mich fertig. Dazu kommt mein pochendes Handgelenk, was vermutlich gebrochen ist. Die ganze Situation macht mich zu einem Wrack. Wenn Miro mich jetzt so sehen würde, dann würde er sich vermutlich fragen, wer die Frau ist, die so am Boden zerstört vor ihm steht. Die Wahrheit ist, dass es pure Angst ist, die mich noch auf den Beinen hält. Ginge es nach meinem Körper, wäre ich schon oben im Flur zusammengebrochen. Mein Körper und Geist sind am Ende mit ihren Kräften.Der Italiener kommt mir wieder einen Schritt näher. Die Ecken des Geländers, die sich noch immer in meinen Rücken bohren, spüre ich mittlerweile fast gar nicht mehr. Zu hundert Prozent bin ich mir sicher, dass ich schon Blutergüsse haben muss. Doch das kümmert mich im Augenblick am wenigsten.
»Hier bei mir ist dein Zuhause.«
»Ich habe keine Ahnung für wen zum Teufel Sie mich halten, aber Sie haben die falsche!«, versuche ich ihm klarzumachen. Der Mann schüttelt den Kopf, kommt mir noch näher.
»Stopp!«, zische ich, »bleiben Sie endlich stehen!«
Er atmet schwer aus. Ich sehe wie seine Hände sich zu Fäusten bilden, er tief Luft holt und kurz wegsieht. Er schluckt hörbar, deutet dann auf mein Handgelenk. »Das sollten wir uns ansehen. Es ist bestimmt gebrochen. Meine Männer sind etwas zu leichtsinnig mit dir umgegangen. Dafür entschuldige ich mich aufrichtig. Sie sollten sich nicht wie Vieh hierher karren, sondern vorsichtig.« Ich sehe weg. Wieso ist er plötzlich so höflich?
»Was wollen Sie von mir?«, frage ich ein letztes Mal. Mit dem eisernen Geländer im Rücken warte ich auf eine Antwort. Meine Beine drohen jeden Moment nachzugeben.
»Was ich von dir will? Dich nachhause holen, das wollte ich. Und jetzt bist du es. Endlich.«
Er hebt die Hände, will mein Gesicht umfassen. Zum Glück schrecke ich rechtzeitig zurück und stoppe ihn so. Unglücklicherweise stolpere ich zwei Schritte nach rechts, drohe umzukippen.
»Elena!«So schnell kann ich nicht reagieren, da hat er mich aufgefangen.
»Pass doch auf.«
»Nehmen Sie ihre Finger von mir!«
Ich boxe ihn gegen die Brust, stütze mich wieder am Geländer ab und halte mir das Handgelenk. Ich muss mir auf die Lippe beißen, um nicht zu fluchen. Dazu droht mein leerer Magen sich zu verkrampfen. Mir wird speiübel.
»Elena bitte ich will dir nur helfen!«, versucht der Mann mich zu überzeugen. Kopfschüttelnd schlucke ich.
»Nein. Ich weiß ja nicht einmal wer Sie sind. Also nein.«
Der Mann lacht auf.
»Du willst wissen wer ich bin? Ich bin dein Vater, Elena«, lässt er die Bombe platzen. Augenblicklich bildet sich ein Kloß in meinem Hals. Ich wende die Augen ab, spüre eine Träne über meine Wange laufen. Plötzlich scheint es alles Sinn zu ergeben. Seine Gesichtszüge, die mir so bekannt vorkommen und seine Augen. Dasselbe grün, wie ich trage. Es scheint so unmöglich, dass ich wild den Kopf schüttle. Sterne tanzen vor meinen Augen, ich kneife sie zusammen und schluchze auf. Mit der gesunden Hand Taste ich meine Stirn ab, spüre, wie müde ich werde. »Ich...«, stottere ich wirr. Mein Körper droht zur Seite zu kippen. Wieder fängt er mich auf. Diesmal wehre ich mich nicht. Ich lasse zu, dass er mich anhebt und trägt, denn da bin ich schon ohnmächtig geworden.

DU LIEST GERADE
Saints and Sinners
Romance18+ Sankt Petersburg. Zwei Frauen, zwei Wochen Urlaub. Es könnte perfekt sein, eine Erholung aus der Realität, den stressigen Jobs und den Männern. Elena entflieht ihrer Heimat für ein paar Tage, reist mit ihrer besten Freundin an, um zu entspannen...