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Miro

»Mein Wagen steht nicht weit weg, Lew hat ihn mir vorhin gebracht«, sage ich und schwinge den Schlüssel in meinen Händen. Elena spielt neben mir den Riemen ihrer Tasche und versucht mit meinen großen Schritten mitzuhalten. Zusammen laufen wir über den Gehweg, durch die von Straßenlampen erhellten Straßen Sankt Petersburgs.
Es ist stockfinster, obwohl nur gute zehn Minuten seit unserem verlassen der Lounge vergangen sind. »Wieso fährt er uns nicht wieder?«, fragt sie mich von der Seite und schielt mich an. »Da mein lieber Bruder uns den Wagen geklaut hat. Stefan hat die beiden zum Mercury gefahren und wird dort auf sie warten«, kläre ich sie auf. Sie nickt verstehend, umschlingt ihren Oberkörper mit den Armen und legt einen Schritt zu, um aufzuholen. »Könntest du langsamer machen? Nicht alle haben so lange Beine wie du«, beschwert sie sich piepsig. Amüsiert sehe ich zu ihr hinab, sie reicht mir knapp bis zur Schulter.
»Ich kann ja nichts dazu, dass du so klein bist«, kontere ich. Sie schnappt empört nach Luft und presst die Lippen mürrisch aufeinander.
»Für meine Familie bin ich durchschnittlich groß.«
»Vielleicht für deine, aber für meine bist du durchschnittlich klein«, reize ich sie. Elena schüttelt nur den Kopf, aber ich sehe das Zucken ihrer Mundwinkel. Sie murmelt etwas Unverständliches, seufzt leise und schiebt sich eine dicke Strähne ihrer Haare hinter die Ohren. Es dauert nur noch weitere zwei Minuten, bis ich meinen Wagen geparkt am Straßenrand erkenne. Mit dem Finger auf dem Schlüssel lasse ich ihn aufleuchten, öffne ihr die Beifahrertür. Sie bedankt sich leise, rutscht in den angenehmen Ledersitz und wartet, bis ich ebenfalls platzgenommen habe. Ich schiebe den Schlüssel ins Zündloch, lasse den Motor aufheulen. Der Audi startet sich sofort, das Radio beginnt leise Musik zu spielen. Genervt drücke ich es aus, obwohl ich es nie anhabe. Lew muss es angehabt haben. Denn ich höre nie Radio, außer wenn sie den Verkehr ansagen, die Staus und Umleitungen. Sonst ruht es immer.
»Willst du ins Hotel?«, erkundige ich mich höflicherer Weise. Sonst setze ich sie am Mercury ab, bei Lynn.
»Ja, wenn das kein Umweg für dich ist.«
»Ist es nicht«, lüge ich. Das Rochevsko-Anwesen liegt am anderen Ende der Stadt, was sie nicht wissen muss. Ich fädle das Auto in den noch regen Stadtverkehr ein, halte die rechte Hand stets an der Kupplung, schaue Starr geradeaus. Ab und zu spüre ich ihre Augen auf mir ruhen, bevor sie wieder nach vorn schweifen. Ihr scheint etwas auf dem Herzen zu liegen. »Sprich schon«, fordere ich sie auf. Ich halte an einer Ampel, neige das Gesicht ihr zu. Ihre Augen schimmern wie Smaragde im Schein der Lampen, ihre Bluse rot im Ampellicht.
»Ich frage mich nur, wieso du das tust«, wispert sie unsicher. Ihre Finger streifen den Saumen ihrer Bluse auf und ab, die Beine überschlagen. Mein rechter Mundwinkel zuckt unaufhörlich. Welch eine dumme Frage Lämmchen, denke ich mir. Wie kommt sie ausgerechnet jetzt darauf?
»Weil ich deine Gesellschaft genieße«, antworte ich trocken und drücke aufs Gaspedal. Die Ampel hat auf grün geschalten. Erneut ruhen ihre Augen auf dem Profil meines Gesichts. Ein ungläubiges, fast unhörbares Schnaufen verlässt ihren Mund.
»Was? Ist der Gedanke so abwegig?«, hake ich nach. Im Spiegel erkenne ich, wie sie lächelt, den Kopf schüttelt. »Nein ich ... bin nur überrascht. Du scheinst mir nicht wie jemand, der die Gesellschaft eines anderen genießt.«
Mit krauser Stirn lege ich einen höheren Gang ein. »Denkst du ... ja? Nur weil ich meinen Bruder nicht leiden kann? Das sollte dir sagen, dass du nicht wie er bist. Dich kann ich nämlich leiden, ganz im Gegensatz zu ihm«, versuche ich zu erklären.
»Was ist vorgefallen zwischen euch?«
Ich schnalze mit der Zunge und biege um eine Kurve, »Lenk nicht vom Thema ab Lämmchen und sag mir, dass du meine Gesellschaft auch genießt. Dann sparen wir uns die peinliche Stille«, lenke ich das Gespräch auf das eigentliche Thema zurück. Ich merke schon, wie sie versucht dem aus dem Weg zu gehen.
»Na gut...«, murmelt sie, »...ich mag es Zeit mit dir zu verbringen... meistens«, nuschelt sie das letzte Wort leise. Ich schnappe gespielt nach Luft, um meine Reaktion etwas zu dramatisieren. »Meistens?«, wiederhole ich ihre Worte ungläubig. Mein Kopf beugt sich kurz in ihre Richtung, bevor ich an einer weiteren Ampel anhalte. Diesmal stehen vier Autos vor uns, also werden wir nicht rüberkommen beim ersten Mal. Es bleibt genügend Zeit für eine Antwort ihrerseits. »Ja. Ich mag es nicht, wenn du...« Ihre Stimme gibt nach. Aber ein Blick reicht aus, um mir zu verstehen zu geben, auf was sie hinauswill. Diesmal grinse ich fies. »Dir hat es gefallen, das kannst du nicht leugnen Elena. Ich habe es in deinen Augen gesehen, die lügen nie«, stelle ich klar. Ich habe es gesehen. Bin Zeuge geworden von dem, was ich mit ihr angestellt habe. Wie ihre Hände fest in meinen Haaren vergraben waren, sie sich auf die Lippe gebissen hatte und das Becken mir entgegengebeugt. Sie wollte, dass ich es tue, dass ich weitermache und nicht aufhöre. So wie ich wollte, dass sie es bei mir tat, dass sie nicht stoppte. Dass sie mit ihren Lippen nie wieder aufhörte.
Eine große Strähne ihrer Haare fallen ihr ins Gesicht, als sie es gen Schoß sinken lässt. Für einen Moment kribbelt es in meinen Finger, sie ihr hinter das Ohr zu streichen. Fest drücke ich sie zusammen, umklammere den Steuerknüppel und zwinge mich, wegzusehen. Was ist nur los mit mir? Ich werde noch ein verweichlichter loser werden, wenn das so weitergeht. Trotzdem liegt mir noch etwas auf dem Herzen, das ich sie fragen will, sobald wir vor dem Hotel zum Stehen kommen. Die Worte meines Bruders vorhin, haben es ausgelöst. Ich habe mir die letzte Stunde immer und immer wieder dieselbe Frage gestellt. Ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass es dumm von mir ist. Aber die Blicke meiner Eltern, wenn sie erfahren das diese umwerfende Frau nur meine Begleitung für den Abend ist, stelle ich mir bildlich vor. Schon eine lange Zeit versuchen meine Eltern mich in eine Ehe zu drängen, die ich nicht will. Die Gala nächste Woche könnte die perfekte Gelegenheit sein, ihnen zu zeigen, dass ich kann, wenn ich will. Ich will nur eben nicht. Der Gedanke, Elena in einem edlen Abendkleid zu sehen, macht mir die Sache noch attraktiver. Wir beide werden etwas davon haben; einen schönen Abend. Dagegen spricht nichts. Sie ist weitaus die Einzige, die ich fragen würde. In meiner Sippe wird gern reich geheiratet, aber die verwöhnten Töchter der Freunde meiner Eltern, würden nie in Frage kommen. Elena ist anders, bringt frischen Wind in die Sache. Noch dazu schätze ich die Gespräche mit ihr sehr. Sie wird diesen langweiligen Abend nicht langweilig machen.
Fünfzehn Minuten vergehen bis ich in einer Parkbucht vor dem Hotel halte, unweit vom beleuchteten Eingang entfernt. Die heiße Britin schnallt sich langsam ab, hängt sich ihre kleine Tasche um und streicht sich die Haare über die Schultern. »Danke für die Fahrt. Ehrlich gesagt wäre ich ungern in ein Taxi gestiegen«, lächelt sie dankbar. »Gerne, das habe ich mir schon gedacht. Keiner fährt bei dieser Uhrzeit gerne mit einem Taxi, schon gar nicht in einem fremden Land«, antworte ich ehrlich. Nicht mal ich würde mich jetzt in ein Taxi setzen. Die Dinger sind gruselig, man weiß nie, wer der Fahrer ist und was für kranke Spielchen er vielleicht treibt.
»Ich möchte dich noch etwas fragen, bevor du gehst«, räuspere ich mich zuletzt. Ihre Hand hängt schon am Türöffner, bereit um auszusteigen.
»Ja? Was denn?«, fragt sie neugierig und zieht ihre Finger zurück, um sie auf ihrer Jeans abzulegen.
»Zwar habe ich zu Anfang gesagt das du dich melden sollst, wenn wir uns treffen wollen... aber ich würde dich gerne zu einer Gala einladen. Naja, mehr eine Familienfeier«, korrigiere ich mich. Die waldgrünen Augen der hübschen Britin werden größer, als sie sich meiner Worte bewusst wird. »Familienfeier?«, fragt sie ungläubig, schaut, als hätte sie einen Geist gesehen. Mit fester Stimme antworte ich mit einem; »Ja.«
»Nun Ja, du sagtest doch zu deinem Bruder das-«
»Vergiss das«, unterbreche ich sie schnell, »...ich würde dich gerne dabeihaben und es wird nicht allzu langweilig mit dir. Diese Partys sind sonst der reinste lahme Verein«, erkläre ich. Ein unschlüssiges Seufzen verlässt ihre vollen Lippen. »Ich weiß nicht, eine Familienfeier?«, grübelt sie leise, streift sich die Haare über die Schultern. Meine linke Hand ist locker ums Lenkrad geschlossen, während ich sie betrachte. Ihre Konturen werden golden vom Licht der Laternen erleuchtet, verleihen ihr einen sommerlichen Teint. Im Vergleich zu mir ist sie blass, was mich nicht wundert. Bei dem Wetter, welches immer bei meinem Aufenthalt in London herrscht, ist es nicht unüblich, dass sie so blass ist. Aber es passt zu ihren braunen Haaren und dem roten Lippenstift, den sie öfters trägt.
»Es ist das Jubiläum meiner Eltern. Sie sind nun vierzig Jahre verheiratet und ich würde es begrüßen, wenn sie mich dort nicht mit einer der komischen Frauen von ihren Freunden verheiraten wollen. Also tust du mir bitte den Gefallen?«, flehe ich. Das tue ich sonst nie. Ich bin gewohnt zu bekommen, was ich will, ohne Fragen zu müssen. Elena ist eine Herausforderung für mich. Als keine Antwort kommt, stöhne ich auf. »Ich revanchiere mich. Also sei Freitagabend Punkt Sieben fertig, ich hole dich ab«, beschließe ich. Mit funkelnden Augen blickt sie hinüber, nickt zaghaft. »In Ordnung«, wispert sie mit einem schmalen Lächeln auf den Lippen. Auch auf meinen bildet sich eines. Zufriedenheit macht sich in mir breit, zu wissen, dass ich es geschafft habe, sie an Board habe. Elena öffnet die Tür meines Audis langsam, schwingt ihre Beine hinaus, schaut noch einmal zurück. »Gute Nacht Miro, wir sehen uns Freitag«, verabschiedet sie sich mit einem warmen Lächeln, erhebt sich elegant aus dem tiefen Sportwagen. »Du auch, melde dich«, antworte ich. Sie beugt sich noch einem hinab, nickt lächelnd und schließt die Tür mit einem sanften Klicken. Ruhe kehrt ein, nur der Motor brummt stetig. Als sie im Hotel verschwunden ist, parke ich aus, drehe eine Runde über den Parkplatz und fädle mich in den Verkehr ein. Dabei denke ich an kommenden Freitag und kann das Grinsen nicht verkneifen. Es wird großartig.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt