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Miro

Mürrisch drehe ich mich auf der Récamiere in meinem Zimmer. Auf meinem Bauch liegt die Mappe, die ich vorhin durchblättert habe, bevor ich eingeschlafen bin. Scheiße wie konnte das passieren? Stöhnend setze ich mich auf. Die Mappe fällt zu Boden. Nach zwei langen Meetings bin ich einfach eingeschlafen. Verdammt. Dabei wollte ich Elena eine Nachricht schreiben. Müde fische ich nach meinem Telefon, welches ich nicht gleich finde. »Wo steckt das blöde Ding?«, murre ich genervt. Es befindet sich weder in meiner Hosentasche noch neben mir auf dem Sofa. Achtlos werfe ich die zwei Kissen von der Récamiere auf den Boden, finde mein schwarzes Telefon dahinter vor. Ich erhebe mich, entsperre es und gehe in mein Badezimmer. Die Deckenleuchte erhellt sich sofort, als ich die Fließen betrete. In meinen Nachrichten steht Elena ganz oben. Vor zwei Stunden hat sie mich gefragt, ob wir noch skypen. Ich bin so ein Arsch. Wie konnte ich einfach einschlafen?
Kurzerhand wähle ich ihre Nummer und Klemme mir das Telefon zwischen Ohr und Schulter. Mit den Händen öffne ich meinen Gürtel. Es wählt drei Mal, bis sie abhebt.
»Ja?«
»Ich bin's.«
Ich höre sie ausatmen.
»Alles okay bei dir?«, fragt sie. Im Hintergrund höre ich den Fernseher, der augenblicklich leiser wird. »Ja. Ich bin vorhin eingeschlafen, deswegen wird es erst so spät«, erkläre ich ihr, entledige mich meiner Hose. »Schon Gut. Ich bin auch erst vor zehn Minuten zur Tür herein«, erzählt die Britin. Vor dem Spiegel bleibe ich stehen und lege meine teure Uhr neben dem Waschbecken ab. Dabei lächle ich über ihre Worte.
»Wie war dein Tag? Regent es nicht?«, erkundige ich mich neugierig. Vor ein paar Tagen hat sie mir von dem bewölkten Himmel und dem schlechten Wetter erzählt. Da ist der Sonnenschein hier viel besser.
»Es hat vor einer halben Stunde aufgehört. Hoffen wir mal das bleibt so«, lacht sie gedämpft. Langsam knöpfe ich mein Hemd auf, lege das Handy neben meine Uhr.

»Schön. Vielleicht bleibt es so, bis zu meinem Besuch«, hoffe ich. Plötzlich raschelt es in der Leitung. Es hört sich an, als hätte sie sich in ihrem Bett aufgesetzt. »Du kommst nach London?«, fragt sie ungläubig nach. »Übers Wochenende, ja. Es gibt einige Immobilien, die ich mir anschauen muss, einige Geschäftspartner, bei denen ich meinen Vater vertreten soll«, erkläre ich ihr. Ihre Antwort lässt nicht lange auf sich warten.
»Das klingt super. Hast du denn schon ein Hotel?«
Grinsend versenke ich das weiße Hemd im Wäschekorb.
»Auf was willst du hinaus?«
»Das du auch vorbeikommen kannst. Meine Wohnung ist zwar nicht so groß wie euer Anwesen, aber ich habe ein Gästezimmer«, verrät sie. »Ich werde sehen was sich machen lässt«, verspreche ich ihr. Ich weiß, dass meine Meetings und Termine durchaus bis in die Nacht gehen können, damit will ich sie nicht belasten. Ich weiß das sie ebenfalls zur Arbeit muss und sie das wahrscheinlich nur stresst. Wenn ich genau weiß, wann ich wo hinmuss, werde ich ihr meine Entscheidung mitteilen.
»Erzähl mir von deinem Tag. Wie war die Arbeit?«, wechsle ich das Thema. Elena scheint sich wieder zu bewegen, denn das Rascheln ihrer Decke wird lauter, kurz darauf ganz still. »Es hat ruhig angefangen, am Morgen waren nicht sonderlich viele Kunden da. Wir haben eine neue Lieferung Kaffeebohnen bekommen. Gott - du musst im Laden sein, wenn die neuen Bohnen ankommen, es ist wie Weihnachten und Geburtstag zusammen. Dieser Geruch...«, seufzt sie theatralisch, »...es riecht so verdammt gut.«
»Werde ich, wenn du mir einen Kaffee machst?«
»Natürlich, darauf kannst du wetten.«
»Gut«, lache ich. Meine Finger fahren langsam durch meine Haare, die Müdigkeit steckt mir trotz meiner guten Laune in den Knochen. Meine Schultern sind verspannt und mein Kopf pocht. Es ist erst einundzwanzig Uhr, doch ich bin bereit, ins Bett zu gehen. Gott ich werde alt.

»Erzähl mir mehr, was gab es noch spannendes?«, bitte ich sie. Ich brauche Ablenkung. Sie ist meine Ablenkung. Sei es von der Arbeit oder meinem Leben. Die letzten zwei Wochen ohne sie sind seltsam gewesen. Ich vermisse sie und die Orgasmen, die sie mir verschafft. Allein bei dem Gedanken daran regt sich etwas.
»Ich hatte einen merkwürdigen Kunden heute«, beginnt sie in sich gekehrt. Mit gerunzelter Stirn blicke ich auf das Telefon hinab, auf der weißen Marmorplatte.
»Er sah aus wie ein Geschäftsmann und kam mir so bekannt vor. Kennst du dieses Gefühl? Wenn du denkst du hast einen Menschen schon mal gesehen, aber kannst dir nicht erklären woher?«, fragt sie grübelnd. Ich nicke, selbst wenn sie es nicht sehen kann. Still schalte ich auf FaceTime und warte, bis sie die Anfrage annimmt. Ich lehne das Handy gegen den Spiegel und stütze mich mit den Unterarmen auf den Waschtisch. Es dauert nicht lang, da erscheint sie mir auf dem Display.

Ohne Schminke auf dem Gesicht liegt sie in ihrem Bett, das Licht gelöscht. Nur das Display erhellt ihr Gesicht schwach. Sie lächelt sanft. Bei ihr müsste es eine Stunde früher sein, aber sie scheint ebenso ausgelaugt wie ich.
»Ich kenne das Gefühl. Aber wieso war die Begegnung komisch?«, will ich verwirrt wissen. Elena kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Er hat mich komische Dinge gefragt, über meine Mutter«, wispert sie. Sofort beginnt mein Herz zu stolpern, nicht aus Freude, sondern aus purer Aufregung. Sogleich muss ich an meinen Besuch bei Zakhar denken. Hatte er etwa recht mit dem, was er mir erzählte? Mir läuft ein eiskalter Schauer über den Rücken. Mit Fäusten stemme ich mich vom Waschbecken auf, mahle auf dem Kiefer und fahre mir über die Wange. Dieser Mistkerl hatte recht, wird mir langsam klar.
»Miro? Ist alles in Ordnung? Du siehst nicht gut aus«, fragt Elena mich besorgt. Ihre sonst so glatte Stirn hat sich in tiefe Falten gelegt, ihre Augen strahlen Besorgtheit aus. Schnell fange ich mich wieder und nicke, obwohl es gelogen ist. »Alles Gut. Ich wollte nur duschen gehen. Du siehst auch so aus, als ob du jetzt schlafen wolltest. Deswegen will ich dich nicht weiter aufhalten«, rede ich mich schnell heraus. Elena nickt und senkt ihre Augen auf die Bettdecke.
»Okay verstehe... dann gute Nacht«, nuschelt sie enttäuscht, zwingt sich ein letztes Lächeln für mich auf. Ich verdammter Idiot. Sie verletzen, ist das Letzte, das ich will.
»Schlaf gut, hören wir uns morgen Lämmchen?«
»Gerne, melde dich.«

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt