49

4.8K 222 2
                                    

Miro

Zwischen Elena und mir herrscht eiserne Funkstille. Sie reagiert weder auf meine Nachrichten noch auf meine Anrufe. Mit ziemlicher Sicherheit weiß ich, dass sie sauer ist. Ich habe die letzte Woche viel weniger Zeit für sie gehabt, als ich es eigentlich wollte. Denn sie bedeutet mir viel. Ich will Zeit mit ihr verbringen, wenn es vorerst auch nur über Skype ist, da wir drei Flugstunden voneinander entfernt leben. Ich fühle mich etwas schuldig wegen meiner wenigen Zeit. Obwohl ich weiß, dass sie es versteht. Zum ersten Mal seit drei Tagen kommt in mir der Gedanke auf, das vielleicht doch etwas passiert sein könnte. Seit Zakhar mir einige pikante Dinge erzählt hat, bin ich mir mit allem unsicher, was sie betrifft. Obwohl ich sicher bin, dass das meiste ihr ebenfalls unbekannt ist. Sie hat keinen blassen Schimmer. Elena ist unwissender als ich. Es fällt mir schwer, nichts zu sagen und die Klappe zu halten. Zuerst muss ich mehr darüber wissen. Mehr Dinge, die nur Zakhar mir offen erzählt. Aus welchen Gründen auch immer. Er und mein Vater sind nicht gut aufeinander zu sprechen, seit ich denken kann. Ich weiß nur, dass die beiden vor meiner Geburt in einen heftigen Streit gerieten und seitdem Todfeinde sind. Was sein Verhalten mir gegenüber nur noch skurriler macht. Ich verstehe den Mann nicht. Er ist mir ein verdammtes Rätsel.
»Was liegst du hier zwischen den staubigen Dingern?«, fragt mein Vater mich mit gerunzelter Stirn. Er hat vor einer Minute die Bibliothek betreten und mich seitdem nur angestarrt. Langsam erhebe ich mich von dem Ledersofa vor dem Kamin. Heute ist ein kühler Tag, regnerisch und eine dicke Wolkendecke hängt über dem Anwesen. Deswegen habe ich mich in die Bibliothek verzogen, mir ein Feuer entfacht und ein paar Stunden Ruhe und Frieden genossen. In denen habe ich einige Arbeit aufgeholt, mit dem knisternden Holz im Hintergrund und einem Glas gutem alten Schnaps aus der Hausbar.

»Ich habe gearbeitet, ohne Mutters Workout Musik im Hintergrund. Sie macht diese komischen Pilates Übungen vor dem Fernseher und jauchzt als würde sie einen Berg erklimmen«, erkläre ich ihm nüchtern. Darauf lacht er und streicht sich nachdenklich über den Bart. »Ja, das hat sie mir erzählt als sie mir diesen gesunden Drink vorbeigebracht hat. Die Rosen haben sich an ein paar Vitaminen erfreut«, erzählt er. Ich lege meine Mappe und den Kugelschreiber auf den niedrigen Holztisch vor dem Sofa und beobachte meinen Vater. Er läuft die Reihen der Bücher entlang, passiert fünf Regale. Gründlich inspiziert er alles, lehnt sich gegen die Fensterscheiben zu meiner Linken. Mit überkreuzten Beinen und den Armen vor der Brust verschränkt, starrt er ins Feuer. »Du weißt das sie nur gut mit dir meint«, erinnere ich ihn daran. Mom tut das nicht aus Spaß, sondern zu seinem wohl. Er hat viele gesundheitliche Probleme und sollte anfangen, etwas gesünder zu werden.
»Fang du nicht auch noch damit an«, bittet er. Ich schnaube und lege den Arm neben mir auf dem Rand des Sofas ab. Mit dem Oberkörper zu ihm gerichtet, spreche ich weiter.
»Sie tut das, weil Sie dich liebt. Mutter will nur dein bestes.«
»Denkst du das weiß ich nicht? Aber es fällt schwer etwas abzulegen, was man überhaupt nicht ändern will. Ich und deine Mutter sind jetzt schon so lange verheiratet, ich weiß das sie das für mich tut«, spricht er nachdenklich. Heute wirkt er in sich gekehrt, viel ruhiger als sonst. Er wird älter.
»Vielleicht verstehst du das, wenn du selbst einmal verheiratet bist, Miro. Ich bin mir sicher, dass du es dann verstehst«, murmelt er. Unsere Augen treffen sich. Seine sehen aus wie meine. Wir haben die gleiche Farbe, ja sogar dieselbe Form. Wenn man unsere Babyfotos vergleicht, sehen wir aus wie Zwillinge. Erschreckend, aber faszinierend.
»Mutter versucht immer noch mich zu verkuppeln«, erinnere ich mich grummelnd. Vater lacht kurz auf und nickt zustimmend. »Ja, aber seit ein paar Wochen hält sie die Beine stiller als sonst. Ihr hübsches Köpfchen sagt mir das sie etwas aushackt«, bemerkt er. Also bin ich nicht der Einzige, dem das aufgefallen ist. »Tut sie. Vielleicht hat sie eingesehen das es nie passieren wird und konzentriert sich auf Eldaro«, spekuliere ich laut. Mein alter Herr schüttelt den Kopf und stößt sich von der Scheibe ab. Er schlendert über den gemusterten Teppich auf mich zu, neigt sich zu der Flasche Schnaps und dem zweiten, noch sauberen Glas, um sich etwas einzuschenken.
»Denke ich nicht. Sie mag die Touristin einfach sehr, die du mitgebracht hast«, meint er. Ich hebe eine Augenbraue. Eine Eigenschaft, die ich ab und zu kontrollieren kann.
»Elena?«, stelle ich sicher. Mir scheint es doch etwas skeptisch. Schließlich hat sie sonst so sehr darauf beharrt, dass ich eine Russin heirate. Vater trinkt einen Schluck und sinkt in den Sessel schräg neben dem Sofa. »Und du? Wie findest du sie?«, frage ich ihn neugierig. Die Frage liegt mir schon seit dem Ball in Puschkin auf der Zunge. Es ist lange her das wir ein Vater-Sohn-Gespräch hatten, was ich nun voll auskosten muss. Ab und zu brauche ich das. Selbst mit Anfang dreißig.

Vater streicht sich symbolisch über seinen Drei-Tage-Bart.
»Sie scheint gebildet und ist sehr hübsch.«
Er wählt seine Worte genau.
»Aber?«, hake ich nach. Es gibt doch immer das Berüchtigte aber.
  »Du weißt was dass aber ist, mein Sohn.« Ich wende mein Gesicht ab. Starrend verschmelzen meine Augen mit dem knisternden Feuer im Kamin. Der Raum verblasst um uns, ich beiße mir auf die Wange. Zakhars Worte hallen immer wieder durch meinen Kopf. Und ich weiß, dass er Recht hat.
»Ich mag Sie aber«, flüstere ich ehrlich. Es ist das erste Mal, das ich meine Gefühle einem anderen Menschen gegenüber, vor meinem Vater gestehe. Ein Kribbeln jagt durch meinen Körper, als ich an Sie denke, und ihr Gesicht bildlich vor mir sehe. Sogar in meinen Träumen taucht sie auf wie eine Fata Morgana. Oder der Engel, der über alles wacht, wie eine Heilige.

»Ich kann dir nur das raten, was mein Vater auch mir geraten hat, als es um deine Mutter ging; Hör auf dein Herz, das ist alles was zählt. Wenn du etwas wirklich willst, dann wirst du einen Weg finden es wahr zu machen.«
Dies sind vielleicht die ehrlichsten und bedeutendsten Worte, die ich je aus seinem Mund gehört habe.

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt