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Miro

Ich brauche einen Moment, um mich selbst zu beruhigen. Meine warme Hand liegt an ihrer Wange. Ich kann meine Augen nicht von ihr nehmen, während sie mich anschaut. Mein rauer Daumen fährt sanft über ihre volle Unterlippe. Ich finde keine Worte für das, was ich gerade spüre. Elena ist besonders. Sie ist etwas Außergewöhnliches. Wir scheinen wie die fehlenden Teile eines Puzzles zu sein. Ich glaube nicht, dass mich je eine Frau so beeindruckt hat wie sie.
»Wir sollten zurück«, durchbreche ich unsere angenehme Stille, nehme meine Hand von ihr. Sie ihre von mir. Ich schließe meine Hose wieder, reiche ihr ein Taschentuch und lege meine Hände ans Lenkrad. Tief durchatmend schiebe ich den Schlüssel zurück ins Zündschloss. Die Britin sitzt neben mir, lächelt verschmitzt, während sie die Beine überschlägt und sich die Finger abwischt. Mit einem Fuß drücke ich aufs Gaspedal, parke rückwärts aus dem Feldweg aus und nehme die Straße Richtung Stadt. Die letzten paar Minuten passieren Revue in meinem Kopf. Sie ist unglaublich ...
»Fährst du mich eigentlich zurück?«, erkundigt Elena sich vom Beifahrersitz. Nickend lege ich den nächsten Gang ein. »Ja, wir sind nur eine Umleitung gefahren. Im Zentrum ist eine Baustelle, da hätten wir sonst sicher eine Stunde gestanden«, erkläre ich ihr. Verstehend nickt sie. »Ich dachte schon du willst mich kidnappen und im Wald verscharren«, scherzt sie. Ich lache. »Hätte ich das gewollt dann hätte ich es schon längst getan, oder nicht?«
»Wer weiß«, zuckt sie mit den Schultern. Grinsend schüttle ich den Kopf. »Liegt es eigentlich an deinen Medikamenten?«, frage ich.
»Was?«
Mit krauser Stirn hat sie den Kopf schief gelegt. »Deine Sprüche. Ich glaube sie haben dir Fentanyl gegeben gestern Abend«, spekuliere ich. Leider habe ich den zweiten Arzt nicht verstanden, er sprach im starken Dialekt und nuschelte. Ich schätze, dass er aus dem östlichen Teil des Landes kommen musste. Vielleicht Sibirien.
»Hm, ich denke nicht.«
»Denkst du.«
»Weiß ich«, korrigiert sie. Meine Mundwinkel zucken verdächtig. »Okay, verrate mir, aber ob du Hunger hast. Auf dem Weg liegen einige Läden«, erzähle ich. Sie scheint kurz über meine Worte nachzudenken, denn es wird still im Wagen. Nach fünf Minuten scheint sie eine Antwort gefunden zu haben.
»Ein wenig.«
Das reicht, um nach rechts abzubiegen. Als wir das Schild zur Burgerkette passieren, schaut sie verdutzt. »Was?«, frage ich, »denkst du ich war da noch nie?«
»Ich muss zugeben das ich nicht gedacht habe das du sowas isst«, gesteht sie ehrlich mit einem Hauch Verwunderung. Amüsiert parke ich in der Schlange des Drive-ins und sehe sie an.
»Ich bin immer für eine Überraschung gut, nicht wahr?«
Darauf lachen wir beide bloß.
Zehn Minuten später beißt sie genüsslich in einen Burger, auf dem Parkplatz des Restaurants. »Scheiße ist das Gut«, nuschelt sie mit vollem Mund und schlägt sich die Hand vor die Lippen. Schmunzelnd beiße ich von meinem Burger ab. Ihr scheint es zu schmecken, was mich freut. Nachdem sie nur Krankenhausessen zu sich genommen hat, sieht sie aus, als könnte sie ein halbes Schwein vertilgen. »Wenn ich noch einen von diesen Dingern esse, bekomme ich gleich noch einen Orgasmus im Auto«, nuschelt sie. Ich verschütte fast meine Cola, muss dreimal husten. Ihre Worte kamen so unerwartet, dass ich mich glatt verschluckt habe. »Du musst nur sagen, wenn ich dir einen verpassen soll«, biete ich an. Elena zieht ihr Bein auf den Sitz und schüttelt leider den Kopf. »Heute nicht, aber ich komme auf das Angebot zurück«, versichert sie mir zwinkernd. Sie ist schon wieder ganz die Alte, was freut mich. Bis auf das Pflaster an ihrer Stirn und die blauen Flecke am Handgelenk scheint es ihr gut zu gehen.
Elena stibitzt sich eine Pommes von mir, schiebt sie sich zwischen ihre vollen Lippen und nimmt gleich noch eine hinterher.
»Hey du hast selbst welche«, meckere ich.
Schulterzuckend stiehlt die Britin sich glatt noch eine dritte.
»Ich wurde angefahren, also darf ich das.«
Ihre Augen funkeln mich gutgelaunt an, wie tausend Sterne. So schnell kann ich nicht schauen, da hat sie noch eine genommen und dippt sie in das Soßenschälchen auf meinem Bein. »Also langsam reicht es«, brumme ich gespielt. Schmunzelnd beißt sie sich auf die Lippe und packt ihren zweiten Burger aus dem Papier. »Das war die letzte, versprochen«, versichert sie mir, lehnt sich schräg gegen den Sitz. Mit dem Oberkörper und den Beinen zu mir gedreht, hält sie mit ihren Burger unter die Nase. »Als Entschädigung«, bietet sie mir an. Ohne unseren Blickkontakt zu unterbrechen, neige ich mich nach vorne, nehme einen Bissen von ihrem Essen und lehne mich zurück in den Sitz.
»Danke.«

Es wird stiller zwischen uns. Als die ersten Tropfen des Regens auf die Scheibe fallen und leise Geräusche hinterlassen, seufzt sie entspannt und gesättigt auf. »Irgendwie fühle ich mich schlecht wegen Lynn...«, gesteht die hübsche Brünette mir. Verwirrt beobachte ich sie. »Wie meinst du das?«, hake ich nach. Elena schluckt den letzten Bissen ihrs Fast Foods hinunter und knüllt das Papier zusammen. »Sie hat sich sehr auf den Urlaub gefreut und nun haben wir kaum Zeit miteinander verbracht, die Zeit ist fast vorbei. Ich fühle mich schuldig«, erklärt sie mir leise. Die Haare fallen ihr ins Gesicht, als sie den Blick Richtung Boden wendet und den Müll in die Tüte stopft. Da kommt mir eine Idee.
»Was hältst du davon, wenn Lew, einer meiner Leute, euch eine Tour gibt? Er holt euch ab und fährt euch an jeden Ort, den ihr besuchen wollt«, schlage ich ihr vor. Ihre Augen weiten sich ungläubig. »Wirklich? Das würdest du tun?«, fragt sie überrascht nach. Meine Mundwinkel heben sich zuckend.
»Natürlich« antworte ich amüsiert. Elenas Lächeln erreicht ihre Augen. »Das wäre sehr lieb, Miro. Wirklich vielen Dank«, murmelt sie und atmet tief durch. Sie wirkt erleichtert, bekommt das Lächeln nicht von den Lippen.
Kurzerhand beugt sie sich über die Mittelkonsole, legt ihre Hand an meine Wange und drückt ihre Lippen auf die andere. Sie hinterlässt ein warmes Kribbeln auf meiner Haut. »Mach langsam«, erinnere ich sie. Elena sinkt wieder in den Beifahrersitz, nickt, während sie sich die Haare über die Schultern schiebt.
»Danke Miro. Ich weiß es zu schätzen das du dich um mich kümmerst«, bedankt die Britin sich. Meine Augen fahren in Zeitlupe über ihr Gesicht. Die kleinen Grübchen, die sich bilden, als sie lächelt, entgehen mir nicht.
Mein Herz flattert auf.

»Du bedeutest mir eben etwas. Schon als du mich damals angerempelt hast fand ich dich interessant«, gebe ich zu und suche ihre Augen. Sie schaut mich an, versinkt fast in meinen. »Ich dich auch... und Lynn hat gehofft du bist ein reicher Russe, der Single ist«, gesteht sie. Wieso überrascht mich das nicht? »Tja-«, beginne ich und lege eine Hand ans Lenkrad, »da hat sie wohl recht gehabt.«
»Und sie hat sich deinen Bruder geschnappt«, fügt sie hinzu. Ich starte den Wagen, betätige den Scheibenwischer, der den strömenden Regen von der Scheibe wischt und mir klare Sicht verschafft.
»Es scheint mir, die beiden sind Gleichgesinnte.«
»Sie haben beide gerne Bedingungslosen Sex und Partys«, zählt die Britin auf.
»Vielleicht sind wir nur die Nebenfiguren in ihrer Geschichte.«

Die Räder setzen sich in Bewegung, ich fädle uns in den regen Stadtverkehr ein. Elenas Augen liegen auf meinem Gesicht. Ich schüttle meinen Kopf verneinend.
»Die beiden haben ihre, und wir unsere... Was hältst du davon, wenn Lew die Tour morgen mit euch macht? Ich habe noch etwas vor und er eh nichts zu tun«, wechsle ich das Thema. Es kommt mir ganz gelegen, dass die beiden ein paar Stunden mit meinem besten Freund unterwegs sein werden. Denn wenn ich mich um die Sache mit Zakhar kümmere, muss ich sie in guten Händen wissen. Leider hat er seine Männer in der ganzen Stadt und ich will es nicht drauf anlegen, dass sie erneut entführt oder verletzt wird.
»Sicher, Lynn wird sich tierisch freuen.«

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