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Miro

Kaum zu fassen, was Mutter für einen Aufwand betrieben hat. Drei Gänge und teuren Wein. Sogar Großmutters alte Kerzenhalter hat sie auf dem Tisch platzieren lassen. Fehlt nur noch der Pfarrer, der uns verheiraten will. Sie ist noch immer nicht von dem Trip herunter, das ich heiraten soll. Am liebsten wäre ihr eine russische Frau, aber auch mit Elena liebäugelt sie sehr. Ich hoffe, sie lässt ihre blöden Angewohnheiten heute mal. Alles, was ich will, ist dieses Essen zu genießen. Elenas gekränkter Blick, als ich ihre Abreise angesprochen habe, ist mir nicht entgangen. Ich werde sie ehrlich vermissen. Die letzten zwei Wochen hat sie einen Miro gesehen, den kaum jemand zu Gesicht bekommt.
»Setzt euch«, fordert Mutter uns auf. Ich deute Elena neben mir Platz zu nehmen, sie lächelt meine Mutter an und sinkt in den Stuhl. »Möchtest du Wein?«, bietet sie ihr an. »O nein danke, ich würde ungern betrunken im Flugzeug sitzen«, versucht die Britin höflich abzulehnen, kickt mich unterm Tisch sachte gegen das Bein. Sie braucht offensichtlich Hilfe. »Sie nimmt außerdem noch Tabletten vom Unfall«, füge ich schnell hinzu. Mutters Augen wandern sofort zu ihrer Stirn. »O stimmt ja, das hatte ich fast vergessen. Wie geht es dir nun? Hast du noch schmerzen? Gina bring ihr ein Wasser«, weist sie ihr Küchenmädchen an. Dann fällt ihr Blick wieder auf die hübsche Dunkelhaarige neben mir.
Elena streicht sich wie in Zeitlupe durch die Haare. »Neben ein paar blauem Flecken und Kopfschmerzen, dank der Platzwunde, geht es mir ganz gut. Hätte Miro nicht den Krankenwagen gerufen, wer weiß was dann passiert wäre.«
Ihre Stimme wird zum Ende leiser. Trotzdem zwingt sie sich ein kleines Lächeln auf die Lippen, um zu verstecken, wie brüchig ihre Stimme geworden ist.
»Verstehe... hat sich etwas Neues ergeben in dem Fall? Miro wolltest du nicht mit der Polizei sprechen?«, fragt Mutter uns. Ich lehne mich zurück und schüttle den Kopf. »Es hat sich nichts ergeben, sie untersuchen den Fall, aber es gibt nichts Neues«, erkläre ich ihr. In diesem Moment schneit mein Vater zur Tür herein, er muss mitbekommen haben, über was wir sprechen, denn er wirft mir einen vielsagenden Blick zu, bevor er sich räuspert, und alle Augen auf ihm liegen. Elena erhebt sich sofort.
»Bleib nur sitzen, meine Liebe«, hält er sie schnell auf und legt ihr eine Hand auf die Schulter. Er schenkt ihr ein kurzes Lächeln, welches sie nur überfordert, erwidert. »In Ordnung«, murmelt diese. Ich spüre, wie nervös sie ist. Mein Vater scheint ihr Angst zu machen. Nein - sie hat Respekt vor ihm. Ich kann es in ihren Augen sehen. Mit seinem grimmigen Auftreten muss er einschüchternd wirken. Dabei ist er sehr nett, wenn man ihn näher kennt.

Der alte Herr lässt sich in seinen Stuhl mir gegenüber fallen, lehnt sich schnaubend zurück. »Hat mein Sohn dich schon herumgeführt?«, möchte er gerne wissen, während ihm die Küchenhilfe Wein einschenkt. Elena breitet die Stoffserviette auf ihren Beinen aus, als uns die Vorsuppe serviert wird. Ich kann nicht anders als für einen Moment ihre Oberschenkel zu betrachten, muss leise schlucken. Verdammt werde ich sie und ihren Körper vermissen.
»Ja ihr Sohn hat mich in die äußerst großzügige Bibliothek geführt. Ich war beeindruckt«, antwortet sie meinem Vater. Dieser kreist sein Weinglas in der Hand und fixiert seine Augen auf mich. »Er hat ja auch sehr viel Zeit darin verbracht, als er Kind war.« Mein Kopf schnippt nach oben, meine Augen treffen seine. »Themenwechsel«, schlage ich schnell vor. Ich hasse, es darüber zu sprechen. Vater grinst wissend. »Hört auf zu streiten«, ermahnt uns meine Mutter und haut ihrem Ehemann gegen den Oberarm, »nicht beim Essen!«
»Lana...«, murrt mein Vater leise. Diesmal bin ich derjenige, der sich amüsiert zurücklehnt. Mit der rechten Hand greife ich mir den Löffel neben dem Teller, nehme etwas Suppe aus der Schüssel. »Guten Appetit«, wünsche ich ihnen und fange an.

»Weißt du eigentlich, wo dein Bruder steckt?«, will Mutter nach dem Essen von mir wissen. Elena neben mir und kaut noch auf ihrem letzten Stück Erdbeere. »Im Mercury«, lasse ich Sie wissen. Wieso Sie diese Information haben will, ist mir schleierhaft. Sonst scheint es Sie auch nicht beim Essen zu kümmern. Mit gehobenen Augenbrauen steht mein alter Herr aus seinem Stuhl auf und umrundet den Tisch. Am Kamin hinter meinem Stuhl hält er inne und starrt ins Feuer. »Elena?«, fragt er an Sie gerichtet, wirft ein Stück Holz nach. Mein Gast tupft sich die Lippen ab, neigt ihren Oberkörper in seine Richtung. »Ja?«, antwortet sie nach kurzer Stille.
»Deine Freundin, ist die auch so wie mein Sohn?«
»Sie meinen Eldaro?«, vergewissert die Britin sich. Vater nickt und wartet auf ihre Antwort. Elenas und meine Augen treffen sich. Ich kann die Unsicherheit in ihnen erkennen. Sie hat keinen blassen Schimmer, was sie antworten soll. »Naja...«, stottert sie deshalb erstmal. »Also, ja?«, schlussfolgert mein Vater. Elena presst die Lippen aufeinander und nickt still. Vater schnaubt und leert sein Glas mit einem Zug. Eine Sekunde später lacht er laut auf. »Vielleicht bekommst du ja dann doch deine tausend Enkel, Svetlana«, lacht er angetrunken. Elena beißt sich auf die Unterlippe, um nicht zu schmunzeln, und selbst ich kann mir keines verkneifen, als meine Mutter aufsteht und mit schnellen Schritten auf ihren Mann zugeht. »Ich glaube das reicht jetzt mal mit dem Alkohol, wir wollen doch nicht, dass es dir morgen schlecht geht. Schließlich musst die in die Firma«, belächelt sie sein Verhalten. Vater legt ihr seinen Arm um den Rücken, zieht sie an sich und sieht uns an.
»Elena, es hat mich sehr gefreut, aber ich sollte jetzt ins Bett gehen«, gluckst er. »Mich ebenfalls Mister Rochevsko. Danke für das köstliche Fleisch und das gedünstete Gemüse«, bedankt sie sich bei meinen Eltern. Meine Mutter umarmt sie noch ein letztes Mal, bevor sie Vater in Richtung Flur schiebt. »Besuche uns bald wieder«, sagt sie zuletzt, bevor die beiden um eine Ecke Richtung Schlafzimmer verschwinden. »Ganz sicher!«, ruft Elena ihnen nach und sinkt zurück in den Stuhl.
Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass es langsam Zeit wird zu gehen. Räuspernd erhebe ich mich, strecke der Brünetten meine Hand entgegen.
»Dann werde ich dich zum Flughafen bringen«, beschließe ich. Sie nimmt sie an, umgreift meine Finger und zieht sich an meiner Hand auf die Beine. Meine Finger kribbeln als Sie sie berührt. Ein Gefühl was ich erst seit zwei Wochen kenne.
»Aber vorher zeige ich dir noch den Garten«, füge ich hinzu.
»Gerne.«

Quer durch den Flur führe ich Elena durch das große Wohnzimmer hinaus auf die Terrasse. Von dort in den dunklen Garten. Wir folgen dem Steinweg ein paar Minuten, bis das Haus in der Ferne zurückliegt und einstig der Mond und die Sterne auf uns hinabscheinen. Auf dem feuchten Rasen halte ich inne und sehe auf die Britin hinab. Ihre Augen leuchten, als sie mich anlächelt. »Danke für den Abend. Ich habe es genossen«, flüstert sie und schließt den Abstand zwischen unseren Körpern. Ihre Hände wandern spürbar mein Hemd hinauf, bis zu meiner Brust.
»Du hast meinen Aufenthalt in dieser Stadt so viel besser gemacht und am Ende des Tages, habe ich Erinnerungen fürs Leben gemacht«, gibt sie preis. Der Wind weht uns um die Ohren, pustet ihr die Haare ins Gesicht. Schmunzelnd gebe ich meine Hand, streiche ihr die dunkle Haarpracht hinters Ohr. Dabei fallen die Strähnen weich und flüssig durch meine Finger, ich erinnere mich augenblicklich an die Nacht im Auto zurück. Wie meine Hände in ihren Haare verfangen waren, als sie es mir besorgt hatte.
»Ich will nicht gehen«, gesteht sie leise. In der Finsternis erkenne ich ihre glänzenden Tränen, in denen sich der Mond spiegelt. Gott ich ertrage es nicht, sie so zu sehen. »Hör auf zu weinen Lämmchen«, murmle ich. Meine Stirn legt sich angestrengt in Falten, mein Herz bricht als ihr Schluchzer die Nacht erfüllt. Ich tue das Beste, was ich in diesem Moment tun kann, sie umarmen. Ihre Schluchzer versiegen an meinem Hals, ihr warmer Atem löst Gänsehaut auf mir aus. Mit ihren Armen hält sie sich fest an mir. »Ich werde dich besuchen«, verspreche ich ihr. Es wird nicht lange dauern, bis ich zu einem Termin nach London muss. Dort bin ich in den letzten Jahren gelegentlich. Wir besitzen dort einige Immobilien über die Firma. Sachte streiche ich ihr durch ihre Haare und küsse ihren Ansatz. Die Britin bedeutet mir viel. Sehr viel als ich es gerade zugeben kann. Tief in meinem Herzen weiß ich es allerdings.
»Und jetzt höre auf zu weinen, ich habe noch ein Geschenk für dich«, offenbare ich und schiebe sie ein paar Zentimeter von mir. Elena nickt eifrig und wischt sich über die Augen.
»Du hast recht... oh Gott reiße dich zusammen!«, zischt sie zu sich selbst und bringt uns zum Lachen. Tief durchatmend schnieft sie ein letztes Mal, holt tief Luft und wartet auf das, was ich ihr gleich präsentieren werde. Mein Geschenk ziehe ich langsam aus dem Futter meiner Hosentasche, lege es langsam in ihre Hand. Sie sieht hinab, sieht wieder auf und wieder hinunter auf ihre Finger. »Ein Schlüsselanhänger?«, fragt sie mich lächelnd. »Ja. Ich dachte du brauchst ein kitschiges Andenken an deinen Urlaub hier«, erkläre ich ihr. Elena dreht den Anhänger zwischen ihren Fingern, zieht mich, ohne zu zögern, zu sich. Kaum hat sie den Abstand geschlossen, küsst sie mich so leidenschaftlich wie immer. Und mir wird klar, ich werde diese Frau nie vergessen.  

Eine knappe Stunde später erreichen wir das Hotel in der Innenstadt. Nach unserem Kuss im Garten haben wir es geradeso ins Gästezimmer geschafft, bevor wir übereinander hergefallen sind wie hungrige Tiere. Sie hat meinen Namen so laut gestöhnt, dass sie die Lampe vom Nachttisch geworfen hat, als sie mit der Hand dagegen stieß. Sie hat nach Luft geschnappt und sich mir hungrig entgegengebeugt als könne sie nicht genug von mir bekommen. Ich musste ihr schwören das sie mich besucht, sonst würde sie mir die Hölle heiß machen. Ich habe es ihr tausendmal versprochen, während ich jeden Millimeter ihres Körpers geküsst habe. Nach unserer aufregenden Nacht lagen wir ganze zehn Minuten still da. Die Grillen haben gezirpt, Elenas Hand lag auf meinem Herzen. Keiner von uns wollte es unterbrechen, aber wir mussten.
Ich bin mit dem Wagen die Straße entlang gerast, damit sie nicht zu spät kommt, habe schließlich gerade noch pünktlich neben dem Hotel geparkt. Nun sitzen wir hier, sie hat spürbar Angst auszusteigen. Nachdenklich fummelt sie an ihrem Armband, welches ich ihr Geschenk habe. »Ich werde es nicht durch den Zoll bekommen...«, nuschelt sie Lippenbeißend. Von der Seite betrachte ich Sie und nicke. Ich bin mit dem bewusst. »Gib es mir«, bitte ich sie leise, »ich lasse es dir zuschicken. Ich kenne einen Weg, keine Sorge«, versichere ich ihr ruhig. Unter keinen Umständen will ich, dass sie es verliert. Es ist ein Geschenk von mir, was vom Herzen kommt. Das Metall des Verschlusses klickt leise. Darauf spüre ich die kühlen Diamanten in meiner Hand.
»Danke für alles Miro... und umarme deinen Bruder von mir«, bittet sie mich.
»Nur wenn du mich ein letztes Mal küsst«, verlange ich dafür. Sie lächelt ehrlich, zieht mich am Kragen zu sich über die Mittelkonsole. Meine Lippen senken sich auf ihre, ich schmecke den süßlichen Geschmack des Nachtischs, den wir vor ein paar Stunden hatten. Meine Nase erfüllt ihren Duft, das blumige Parfüm.
»Jetzt geh schon... bevor ich dich nochmal flachlege«, raune ich heißer voller Lust. Elena löst sich von meinen Lippen, kichert leise und tätschelt meine Wange.
»Ich wünschte ich hätte noch Zeit dafür. Wir wiederholen das in London«, sagt sie. Ich nicke. »Einverstanden. Schreibe mir, wenn ihr gelandet seid. Das Armband wird dich sicher erreichen.«

Saints and SinnersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt