Elena
»Er hat was?«, kreischt Lynn aufgeregt. Sie sitzt mir gegenüber am Tisch, stopft sich ein Stück Waffel zwischen die Lippen. Neben uns rauscht die Newa leise, Besteck klappert von den Tischen um uns. Wir befinden uns wieder auf der Terrasse des Restaurants, in dem wir schon letztens gegessen haben. Im Tageslicht sieht es anders als in der Dunkelheit aus. Die Lichterketten sind erloschen, aber bunte Blumen schmücken die Tische. Kleine Boote überfahren den Kanal Richtung Hafen und wieder hinein, unter den unzähligen Brücken hindurch. Unser Tisch befindet sich direkt neben dem Geländer.
Lynn hat Waffeln, Speck, Toast und Obst bestellt, welches wir uns teilen. Dazu Saft, Wasser und Tee. Sie ist gestern erst spät in der Nacht wiedergekommen, völlig angetrunken und nach Eldaro riechend. Ich habe sein Parfüm immer noch in der Nase. Und seine Jacke hängt noch über dem Stuhl neben ihrem Bett. Sie hat sie getragen, als sie ins Zimmer gestolpert ist.
»Ja«, murmle ich mit vollem Mund, »... er hat mich zum Jubiläum seiner Eltern eingeladen am Freitag.«
Lynn schnappt nach Luft und steckt sich gleich ein Stück Melone in den Mund. Tief ausatmend lehnt sie sich zurück. »Mensch, der geht ja richtig ran. Warst du schon mit ihm im Bett? Wenn nicht dann wird das sein Plan sein«, vermutet sie. Ich schüttle den Kopf. Wenn sie wüsste, was wir sonst so alles getrieben haben ...
»Denkst du das wird so eine Party für Reiche? Ich meine, seine Familie scheint eine Menge Kohle zu haben«, nuschelt sie mit vollem Mund. »Hast du nicht gesehen wie schick die beiden immer gekleidet sind? Natürlich haben sie Geld. Ich hoffe mal, dass seine Eltern nett sind. Gott, soll ich ihnen etwas mitbringen? Schließlich ist es ihre Feier und so ein Jubiläum ist eine große Sache«, frage ich meine beste Freundin ratlos. Lynn leert ihr Wasserglas schnell, um mir zu antworten. »Was willst du solchen reichen Leuten denn schenken? Die haben doch alles.«
Diesmal seufze ich.
»Du hast recht, aber es wäre unhöflich, wenn nicht, oder?«
»Du kennst sie doch gar nicht, bist nur seine Begleitung. Wenn dann sollte er ihnen was schenken«, erwidert Lynn.
»Ach hast ja recht, ich will nur nicht unhöflich erscheinen«, gestehe ich. In meinen Gedanken spiele ich noch damit, ihnen etwas mitzubringen. Wenigstens ein paar Blumen, oder? Ich möchte nicht unhöflich rüberkommen. Es wäre mir unangenehm. Nachdenklich nehme ich mir eine Gabel Rührei vom Teller und schiebe es mir in den Mund. Meine Augen richten sich auf den Fluss, über den ein Boot fährt. Die vielen Möwen aus dem Hafen sind gedämpft im Hintergrund zu hören, werden fast vom Gemurmel der Gäste übertönt. Es ist nicht sonderlich laut hier, um einiges leiser als in London. Dort sind das stetige Hupen und Brummen der Autos gar nicht mehr wegzudenken.
»Und was willst du anziehen?«, lenkt Lynn ihre Aufmerksamkeit wieder auf sich. Ihre perfekt gezupften Augenbrauen sind in die Höhe gehoben, die Stirn kraus. Ich stochere in meinem Frühstück.
»Miro hat mir eine Adresse geschickt, bei der ich ein Kleid finden werde«, erkläre ich ihr. »Super, sollen wir da mal hin? Ich will unbedingt etwas shoppen gehen, das können wir dann gleich verbinden«, schlägt sie begeistert vor. Bei den großen Augen und dem strahlenden Lächeln kann ich ihr unmöglich einen Wunsch ausschlagen. Deswegen nicke ich. »Natürlich. Lass uns aufessen und dann gehen.«Eine halbe Stunde schlendern wir nun schon durch die Stadt. Wir haben ein paar Läden abgeklappert, Lynn trägt zwei Papptüten mit sich, in denen ihre neuen Kleidungsstücke liegen. Zwei Oberteile, eine Hose, drei Kleider und eine dünne Jacke. Ich musste sie daran erinnern das wir noch weiter wollen und sie dort bestimmt auch etwas findet, damit sie nicht den Laden leer kauft. Ich habe nur einen Cardigan für die Arbeit und ein schlichtes Oberteil gefunden.
»Ist es noch weit?«
Sie späht auf mein Telefon, auf dem das Navi geöffnet ist. »Nein nur noch zweihundert Meter. Sieh mal da vorne ist schon das Schild!«, sage ich. Mit der rechten Hand deute ich geradeaus auf das Geschäft vor uns. An der gelben Fassade prangt der Name des Kleidergeschäftes. »O, eine Boutique, da hat er ja etwas Schönes ausgesucht. Sieh mal die großartigen Kleider Elena«, staunt die Blondine vor dem Schaufenster. Begeistert reißt sie die Augen auf, schiebt sich die schwarzgetönte Sonnenbrille von der Nase und zieht mich am Arm hinein.
Eine kleine Klingel ertönt, sobald wir die Tür öffnen und eintreten. Staunend betrachte ich die vielen Kleider die gereiht an den Wänden hängen. Eine hohe Decke mit drei Kronleuchtern erhellen den Raum, gibt einen schönen Kontrast zur weißen Einrichtung. Auf der hübschen Kasse steht eine antike Lampe, daneben steht eine ältere Frau mit hochgesteckten Haaren und lieben Blick.
»Guten Tag, wie kann ich ihnen helfen?«, begrüßt sie uns in gebrochenem Englisch. Sieht man uns etwa an das wir Touristen, sind? Ich öffne die Lippen, um etwas zu sagen, werde von Lynn unterbrochen die schon losplappert und ein paar Schritte auf sie zu geht. »Guten Tag, meine Freundin sucht ein eleganteres Abendkleid für Freitag.«
![](https://img.wattpad.com/cover/261535665-288-k621034.jpg)
DU LIEST GERADE
Saints and Sinners
Romance18+ Sankt Petersburg. Zwei Frauen, zwei Wochen Urlaub. Es könnte perfekt sein, eine Erholung aus der Realität, den stressigen Jobs und den Männern. Elena entflieht ihrer Heimat für ein paar Tage, reist mit ihrer besten Freundin an, um zu entspannen...